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Cessna 172-Absturz auf Lofoten-Reise: Gefangen in der Wetterküche von Norwegen

Drei deutsche Crews fliegen im Verband nach Norwegen. Für die Piloten einer der Cessnas endet die Lofoten-Tour mit einer Geländekollision

Von Redaktion

Mit den Clubkameraden ganz weit weg – viele Vereinspiloten planen einmal im Jahr eine solche große Tour ins Ausland. Das Erlebnis in der Gruppe stärkt die Gemeinschaft und bringt obendrein wertvolle Flugerfahrung. Drei Crews aus dem südbayerischen Rosenheim wollen im Sommer 2012 zu den Lofoten im Norden Norwegens fliegen. Die Route zu der Inselgruppe entlang der skandinavischen Schärenküste führt über eine der schönsten Landschaften Europas, die aber auch als Wetterküche bekannt ist. Nach einem problemlosen Hinflug wollen die Piloten am 10. August den Rückweg antreten. Tagesziel auf dem Flug nach Süden ist Bergen, mit Zwischenstopp auf dem Flugplatz Værnes bei Trondheim.

Zwei Cessna 172 und eine Cessna 182 starten um 9 Uhr Ortszeit nacheinander vom Leknes Airport auf der südlichsten Hauptinsel der Lofoten. Wegen der unterschiedlichen Reisegeschwindigkeiten fliegen sie nicht im Verband, halten jedoch, soweit möglich, Funkkontakt. Eine der 172er, eine Cutlass RG, hebt als Nummer zwei ab, an Bord sind drei Piloten. Sie wollen das Tagesziel im Sichtflug erreichen und haben eine Flugzeit von zwei Stunden und 45 Minuten bis Værnes berechnet. Keiner von ihnen besitzt eine IFR-Berechtigung.

Die Cessna 172RG fliegt entland der norwegischen Küste, die anderen beiden Kleinflugzeuge über Land

Am Vorabend haben sie die Route geplant: Die Piloten wissen, dass über der Region Trøndelag auf der Strecke eine Warmfront vorhergesagt ist, doch lässt die Vorhersage ausreichend gutes Wetter für Sichtflüge erwarten. Während die beiden anderen Cessnas eine direkte Route über Land wählen, entscheidet sich die Crew der „RG“ nach dem Start für die längere (und schönere) Strecke entlang der Küste. Entgegen der Vorhersage verschlechtert sich die Sicht auf dieser Route nach Süden erheblich.

Küstenlandschaft: Von Norden kommend fliegt die Cessna die Küste entlang nach Süden. „Havaristed“ bezeichnet den Absturzort, „siste Radarplott“ den letzten aufgezeichneten Radarkontakt (Foto: Archiv)

Um 11.03 Uhr meldet der Lotse vom Flugplatz Rørvik seinem Kollegen in Brønnøysund, von dem er die Küstenflieger gleich übernehmen soll, nur noch zwei Kilometer Sicht, die Wolkenuntergrenze ist auf 1500 bis 1600 Fuß gesunken. Gemeinsam beschließen die Lotsen, die deutsche Cessna direkt an das Air Traffic Control Center (ATCC) Bodø zu übergeben.In der folgenden Kommunikation mit Brønnøysund und Bodø erfährt der Cessna-Pilot nichts zur aktuellen Wetterlage. Allerdings zeigt er im Funkverkehr auch keine Zeichen von Stress oder beginnender Desorientierung, sondern wirkt zu jeder Zeit professionell und ruhig. Auch im weiteren Verlauf wird der PIC weder bei den Lotsen von AFIS Rørvik und Brønnøysund noch bei Bodø ATCC um Hilfe bitten. Trotz der vermutlich prekären Sichtverhältnisse vertraut die Crew offenbar dem eigenen Können und den Wetterinformationen aus der Flugvorbereitung.

Im weiteren Verlauf des Küstenflugs: Mit VFR kein Durchkommen

Ein Augenzeuge auf einer Insel 30 Kilometer nordöstlich von Rørvik berichtet später, er habe vermutet, dass der Pilot der vorbeifliegenden Cessna gute Ortskenntnisse haben müsse, denn das Flugzeug sei in geringer Höhe durch Wolkenfetzen geflogen. Um 11.42 Uhr schlägt die Luftaufsicht Bodø dem Piloten dann doch eine Route über Land vor: „You will have better visibility, better weather and better chances to get southbound because along the coast it’s bad right now.“ Der Pilot bestätigt, dreht aber nur eine kurze Schleife vom Jøssundfjord nach Süden. Dann folgt er wieder der Küste und funkt: „We tried, but visibility is very low, so we are continuing along the coastline.“ Doch ein Weiterflug entlang der Küste ist jetzt die denkbar schlechteste Variante.

Auch eine Umkehr nach Norden ziehen die Piloten an Bord offenbar nicht in Betracht. Der Lotse in Bodø weiß nach telefonischer Rücksprache mit seinen Kollegen im südlicheren Ørland mittlerweile, dass die Küstenroute für VFR-Flüge unpassierbar ist. Seine Worte sind aber für die deutsche Crew wohl zu vage, als er ihnen mitteilt, dass die Sicht weiter südlich ganz bestimmt nicht mehr besser wird. Gegen 11.56 Uhr gerät die Cessna vermutlich in erste Regenschauer. Bodø hat dem Piloten das vollständige aktuelle METAR für Ørland übermittelt: Sicht bei Regen vier Kilometer, Wolkenuntergrenze 1000 Fuß, einzelne Wolken in 500 Fuß.

Während die anderen beiden Einmots ihr Ziel erreicht, die Cessna 172RG steckt in Schwierigkeiten

Zu dieser Zeit landet eine der beiden anderen Cessnas bereits in Værnes. Es ist die schnellste der drei Maschinen; sie war VFR „on top“ über die kürzere Route geflogen. Ihre Piloten ahnen nichts von den Schwierigkeiten, in denen ihre Clubkameraden stecken. Sie selbst offenbar auch nicht. Auf die Frage nach der voraussichtlichen Ankunftszeit in Værnes antwortet der „RG“-Pilot noch immer zuversichtlich: „In 65 minutes.“ Die Cessna wechselt auf die Frequenz von Ørland und fliegt jetzt zeitweise so tief, dass das Radar Flughöhe und Geschwindigkeit nicht mehr anzeigt. Um 12.04 Uhr meldet der PIC die Position nahe dem Kaura-Leuchtturm. Ørland gibt zurück, dass die Sicht nördlich des Flugplatzes nun etwas besser wird.

Aufgeprallt: Die Spuren an der Absturzstelle sprechen für einen Aufschlag aus steilem Winkel mit nicht allzu hoher Geschwindigkei (Foto: AIBN)

Der Lotse informiert außerdem um 12.10 Uhr die norwegische Luftwaffe in Ørland, dass es notwendig sein könnte, ein deutsches Sportflugzeug die Basis anfliegen zu lassen. Einer Sicherheitslandung steht damit nichts mehr im Weg – doch der Cessna-Pilot will noch immer nach Süden, bittet wenige Minuten später um die Freigabe für „special VFR to Trondheim“ und erhält sie. Es ist der letzte Funkkontakt zur deutschen Crew. Ein Ehepaar in einem Haus am Ufer des Binnensees Sovatnet hört ungewöhnliche Motorengeräusche und beobachtet die Cessna, die tief fliegend auf das hinter dem See ansteigende Gelände zusteuert. Die Frau wundert sich, warum das Flugzeug nicht nach rechts wegkurvt. Mit einem dumpfen Knall prallt die Maschine gegen den Berg, niemand an Bord überlebt.

Cessna 172RG: Bitte um Freigabe für „special VFR“

Für das norwegische Accident Investigation Board (AIBN) ist der Unfall exemplarisch für die Probleme, mit denen Piloten beim rasch wechselnden Wetter im Land rechnen müssen. Über dem hügeligen Gelände mit teils aufliegender Bewölkung und ohne ausreichende Sicht sei es für VFR-Piloten unmöglich gewesen, sicher weiterzufliegen. Offenbar habe die Crew der „RG“ dem Wettergeschehen zu wenig Beachtung geschenkt und Alternativen nicht genutzt – und die lebensbedrohliche Situation unterschätzt. Allerdings weisen die Untersucher auch darauf hin, dass die Flugwettervorhersage des Landes möglicherweise noch rascher auf Wetterwechsel reagieren sollte. Das AIBN hat eine entsprechende Sicherheitsempfehlung herausgegeben (SL No. 2013/05T).

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2013

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