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Geländekollision in schlechtem Wetter: Flugunfall einer Aquila A210 in Norddeutschland

Bei der Überführung eines einmotorigen Flugzeugs vom Typ Aquila A210 wählt der Pilot trotz großer Erfahrung eine Route, die ihn in schlechtes Wetter führt

Von Redaktion

Es erscheint zunächst paradox, aber ein großer Erfahrungsschatz birgt auch ein gewisses Sicherheitsrisiko in sich: Man vertraut den eigenen Fähigkeiten so sehr, dass man sogar offensichtliche Gefahren falsch einschätzt. Ein solches Phänomen spielte bei einem Flugunfall eine Rolle, der sich am 8. Dezember 2017 ereignet hat.

An diesem Tag startet in Braunschweig eine Aquila A210. Ihr Pilot ist bereits 78 Jahre alt und gilt als außerordentlich erfahren. Er hat zu dieser Zeit 29 000 Flugstunden im Cockpit verbracht, zudem ist er langjähriger Prüfer und ein vom Luftfahrt-Bundesamt anerkannter Sachverständiger. Mit an Bord ist ein zweiter Pilot, das Ziel der beiden Männer ist der Flugplatz Osnabrück-Atterheide (EDWO). Dort wollen sie ein Flugzeug des gleichen Typs von einem Wartungsbetrieb abholen. Während der zweite Pilot mit der „Shuttle-Maschine“ von Osnabrück allein nach Braunschweig zurückfliegen wird, will der 78-Jährige die andere Aquila dorthin überführen.

Der Pilot der Aquila A210 ist sehr erfahren

Auf dem Hinweg südlich des Wiehen- und Weser-Gebirges zeichnen sich die für einen VFR-Flug ungünstigen Wetterbedingungen ab: In der Nacht ist eine Kaltfront von Nordwesten hereingezogen, sie zieht weiter in Richtung Südosten. Aus dunklen Wolken fällt gebietsweise schauerartiger Niederschlag als Regen, Schneeregen oder gar Schnee, der Westwind bläst mit 20 Knoten, in Böen mit 30. Im Tagesverlauf soll sich das Wetter nicht bessern, es sind Gewitter vorhergesagt.

Hindernisse und Auswege: Rote Kringel markieren hoch aufragende Windräder, der kleine rote Kreis die Unfallstelle. Links darunter: das Segelfluggelände Bisperode-West (Foto: BFU)

Um 11.34 Uhr landen die beiden Piloten in Osnabrück-Atterheide. Der zu überführende Tiefdecker steht schon abflugbereit und mit ausreichendem Spritvorrat in den beiden Flächentanks auf dem Vorfeld. Wegen des schlechten Wetters wählt der „Shuttle-Pilot“ für seinen Rückflug eine Route nördlich des Gebirgszugs. Er macht sich um die Mittagszeit auf den Rückweg, da um 13 Uhr ein Flugschüler in Braunschweig auf ihn wartet. Die Überführungsmaschine startet etwas später um 12.15 Uhr, und ihr Pilot entscheidet sich für dieselbe Route wie auf dem Hinflug: südlich des Wiehen- und Wesergebirges und entlang der Ortschaften Melle, Porta Westfalica, Rinteln und Hameln. Er kennt die Route in- und auswendig.

Aquila A210: Überführungsflug in Schlechtwetter

Die Sichtflugbedingungen haben sich in der Zwischenzeit jedoch nicht gebessert: Regen- und Schneeschauer nehmen zu, es bilden sich zwei Gewitterzellen entlang des Flugwegs. Die zuerst gestartete Aquila erreicht Braunschweig kurz vor 13 Uhr, muss jedoch wegen eines lokalen Gewitters zunächst nach Norden ausweichen. Ihr Pilot wundert sich, dass der Pilot der zweiten Aquila sich noch nicht über Funk gemeldet hat.

Als er später mit seinem Flugschüler einige Platzrunden dreht, ist die zweite Maschine immer noch nicht aufgetaucht. Nach mehreren Telefonaten mit Flugplätzen entlang der Route, die keine Hinweise auf den Verbleib des zweiten Piloten ergeben, meldet die Flugleitung in Braunschweig ihn als vermisst.

Die zweite Aquila wird vermisst

Daraufhin beginnen SAR-Hubschrauber und Rettungskräfte am Boden mit der Suche nach dem Flugzeug, doch sie bleiben bis zum Einbruch der Nacht erfolglos. Erst am folgenden Tag entdeckt ein Jäger Trümmerteile an einer Felswand an der Westseite des Ith, eines Mittelgebirgszugs bei Bisperode. Kurze Zeit später wird die Leiche des Piloten aus dem Cockpit geborgen. Am Absturzort sichern die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) das Wrack.

Der Rumpf und die Kabine bis zum Leitwerk sowie das Brandschott liegen in etwa 400 Metern MSL leicht unterhalb einer Felserhebung. Der Notfunksender (von dem kein Signal empfangen wurde) wie auch die Batterie, das Triebwerk und das Instrumentenpanel sind vom Rumpf abgerissen und liegen mehrere Meter vom Hauptwrack entfernt. Aus dem starken Zerstörungsgrad und der Lage des Wracks schließen die Ermittler, dass die Maschine mit hoher Geschwindigkeit, ohne Verzögerung oder Ausweichmanöver in den Bergwald flog.

Die zuerst gestartete Aquila erreicht Braunschweig kurz vor 13 Uhr

Die meteorologischen Aufzeichnungen lassen darauf schließen, dass das ansteigende Gelände zum Zeitpunkt des Unfalls mit großer Wahrscheinlichkeit von aufliegender Bewölkung verdeckt war. Darüber hinaus zeigen die Radaraufzeichnungen der Route kurz vor dem Absturz ein typisches Bild für einen sogenannten controlled flight into terrain (CFIT): Der Flugweg der Unfallmaschine passt sich in geringer Höhe dem umliegenden Gelände an, bis es zur Geländekollision kommt.

Trümmerfeld: Erst am Tag nach dem Absturz wird die zerstörte Aquila an der Westseite des Ith entdeckt. Der tote Pilot wird umgehend geborgen, das Wrack der Maschine kann dagegen erst einige Tage später abtransportiert werden (Foto: BFU)

Hinweise auf einen technischen Defekt finden die Ermittler nicht, Experten schließen nach teilweise aufwändigen Untersuchungen der Wrackteile Blitzschlag und ein Feuer im Flug ebenfalls aus. Die Obduktion der Leiche ergibt keine physische Beeinträchtigung, die ursächlich für den Absturz gewesen sein könnte. Dass ein derart erfahrener Pilot die marginalen Bedingungen für einen Sichtflug und seine eigenen Fähigkeiten und Optionen falsch einschätzt, ist indes kein ungewöhnliches Phänomen. Psychologen und Flugsicherheitsexperten ziehen eher den umgekehrten Schluss: Große Selbstsicherheit ist Teil des Problems.

Trügerisch: Große Selbstsicherheit von Piloten

Die britische Luftfahrtbehörde CAA veröffentlichte dazu im Jahr 2013 die Sicherheitsbroschüre „Pilots – It’s Your Decision“ (Safety Sense Leaflet 23). Darin heißt es: „Warum glauben gerade überaus erfahrene Piloten, dass sie bei marginalen Sichtflugbedingungen immer noch sicher fliegen und ihre Mindestflughöhe einfach ignorieren können? Ein Grund könnte sein, dass sie selbst oder ähnlich erfahrene Piloten aus ihrem Bekanntenkreis so etwas schon ein oder mehrere Male erfolgreich getan haben und heil davongekommen sind.“

Auch dem hocherfahrenen Aquila-Piloten hätte seine Ortskenntnis dieses Mal retten können: Auf seinem Weg gab es einige Flächen, die für eine Außenlandung geeignet gewesen wären – und das Segelfluggelände Bisperode-West.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 1/2019

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