Rennflugzeug

Flugzeug-Reportage: Robert L. „Hoot“ Gibson und seine Cassutt

Was macht ein ehemaliger Commander mehrerer Space-Shuttle-Missionen und Ex-Kampfjetpilot in seiner Freizeit? Fliegen natürlich! Und mit einem umgebauten Cassutt-Racer Rekorde aufstellen – zumindest, wenn man Hoot Gibson heißt

Von Redaktion

Wie er sich fühlte, als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte? „Schwer, bleischwer“, antwortet Robert L. Gibson, der – nach einem in den USA populären Stummfilmstar – von allen „Hoot“ genannt wird. „Als ich den Kopf neigte, bin ich umgefallen. Gleichgewichtsstörungen.“ Die Schwerelosigkeit im All erlebte der Ex-Astronaut fünfmal an Bord der Raumfähren Atlantis, Challenger, Columbia und Endeavour, davon viermal als Kommandant. Gibson, ein Routinier der Raumfahrt, steht vor seinem Hangar auf dem Flugplatz von Murfreesboro im US-Bundesstaat Tennessee und spricht über seinen Aufenthalt im All so wie andere darüber, was es in der Kantine zu essen gab. „Dort oben bist du wie Peter Pan, als wenn du fliegen könntest“, fährt er fort und stellt ein uraltes Radio an. Jazz, die Lieblingsmusik des Hobby-Gitarristen, erfüllt den Hangar. Fängt nicht auch das Weltbild an zu wackeln, wenn man aus dem Weltraum zurückgekehrt ist?

Diese Frage geht ihm zu sehr ins Philosophische: Man sei ja nur etwa 200 Meilen von der Erde entfernt und sehe einen Ausschnitt einer gewaltigen Kugel. Womit er wohl ausdrücken will, dass man sich noch nicht wirklich aus dem Einflussbereich des heimatlichen Planeten gelöst habe. Bescheidenheit kann sich der ehemalige hochdekorierte Geschwader-Kommodore leisten, hat er doch eine Bilderbuchkarriere absolviert: Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik verpflichtete er sich bei der Navy, wo er später auf den Flugzeugträgern Coral Sea und USS Enterprise Dienst tat. „Ja, wir haben militärische Ziele in Nordvietnam bombardiert„, sagt er mit fester Stimme und erinnert sich mit Unbehagen an diesen Teil seines Lebenslaufs vor über 30 Jahren. „Die Politik hat uns dort hingeschickt. Zu Hause mussten wir das ausbaden. Wir wurden nicht gerade mit Ehrungen überschüttet …“

Nichts für wenig routinierte Piloten: Der grüne Giftzwerg hört bei 70 Knoten auf zu fliegen

Die Zeit als Führer eines Geschwaders in Südost-Asien auf F-4 Phantom und F-14 Tomcat mag er dennoch nicht missen – und auch nicht seine mehr als 300 Flugzeugträger-Landungen. Selbst nach 25000 Flugstunden und 36 Tagen im All liebt Gibson das Fliegen heute noch genauso wie am Tag, als er mit 17 das erste Mal im Cockpit saß. In Jeans, Turnschuhen und obligatorischer Fliegerjacke macht sich Gibson jetzt an einem winzigen giftgrünen Flugzeug zu schaffen, das Kenner sogleich an einen Cassutt-Formel-1-Racer erinnert. „Es war ursprünglich eine Cassutt. Ich nenne sie jetzt Gibson Cassutt.“ Das ist wohl berechtigt, der Besitzer hat den Racer nach dem Kauf 1983 nicht nur neu aufgebaut, sondern 1990 eine vollkommen neue Tragfläche konstruiert. „Der Flügel ist für 13 g ausgelegt. Ich hatte noch allerhand Kohlefaser übrig, da habe ich halt noch eine Schicht draufgelegt“, schmunzelt der studierte Flugzeug-Ingenieur. Die Fläche hat einen Kohlefaser-Hauptholm und ist mit nur sechs Prozent Profildicke dünn wie eine Rasierklinge.

Diese Tragfläche hat er nicht ohne Hintergedanken gebaut. Es galt schließlich, einen neuen Höhenweltrekord aufzustellen: in der Propellerklasse C1A im Horizontalflug. Das Ergebnis: 27040 Fuß oder 8241,792 Meter. Am 31. Januar 1991 war das. Damit nicht genug. Am 4. April 2004 fügte der Ex-Militärpilot einen Geschwindigkeitsweltrekord hinzu: 237,9 Meilen gleich 382,8629 km/h über 100 Kilometer geschlossene Strecke. Jazz scheppert noch immer aus dem alten Radio im Hangar, als Gibson seinen winzigen Flieger ins Freie rollt, um einen kleinen Demoflug zu absolvieren. „Die Maschine hat eine ungemein kleine Seitenruderdämpfungsfläche. Das ist ein echtes Problem. Das Heck schlägt dauernd aus, und du musst ständig mit den Pedalen korrigieren.“ Allzu sehr scheint es dem jugendlich wirkenden 59-Jährigen, der heute seine Brötchen als Airline-Kapitän verdient, nicht zu stören.

Er überlegt zwar, die Fläche eines Tages zu vergrößern. Doch bis dahin muss es auch so gehen. Das Höhenleitwerk ist seiner Meinung nach ebenfalls zu klein – auch das wird irgendwann korrigiert. Könnte ein Spornradpilot, der sonst etwa eine Cessna 185 fliegt, mit diesem Giftzwerg zurecht kommen? Gibsons Hangarnachbar verneint das vehement, und auch der Besitzer meint diplomatisch, dass es außer ihm drei sehr erfahrene Piloten mit dem Racer versucht hätten. „Die haben das alle nicht gemocht. Besonders gestört hat sie, dass das Heck beim Start sofort ausbricht, sobald das Spornrad Bodenkontakt verliert“. Der Racer sei extrem sensibel in den Rudern, erläutert Gibson, befestigt eine Kette am Rumpfheck und legt zwei Klötze vor die nahezu vollverkleideten Räder. Dann dreht er den Prop ein paar Mal durch, und der von Mattituck getunte Lycoming-Vierzylinder nimmt nach dem Einschalten der Zündung sofort brabbelnd seine Arbeit auf.

Gibson löst die Kette, zwängt sich seelenruhig in das ziemlich beengte Cockpit und gibt, nachdem er sich den alten Jethelm übergestülpt hat, ein bisschen Gas. Die Cassutt hoppelt über die Holzklötzchen und knattert Richtung Rollbahn. Mit einem schneidenden Auspuffton zischt der Racer ein paar Minuten später über die Piste und macht sich nach einem steilen Steigflug an die Verfolgung des Fotoflugzeugs. Für Gibson ist das natürlich nur ein Spazierflug, verglichen mit dem stressigen Einsatz bei seinen verschiedenen Space Shuttle-Missionen oder Airraces. Kaum zehn Minuten später setzt die Gibson Cassutt wieder mit beachtlicher Geschwindigkeit auf und rollt zurück zum Hangar.

Gerade so groß, wie es die Formel- 1-Regeln vorschreiben: Bei der Gibson Cassutt folgt die Form exakt der Funktion

Dort entsteigt ein entspannter Pilot mit glänzenden Augen dem kleinen Pylon Racer. Kein Wunder, schließlich ist er nicht nur erfahrener Formel-1-Pilot, er mischte früher auch in der Unlimited- Klasse bei den Reno Air Races mit. Was macht der vierfache Vater, verheiratet mit einer Ex-Astronautin, nach seiner aktiven Zeit als Airline-Pilot, die 2006 endet? Die Antwortet überrascht nicht wirklich: „Fliegen! Als Demopilot für Beechcraft auf dem Business-Jet Premier 1.“

Text: Axel Westphal; Fotos: Cornelius Braun; fliegermagazin 1/2006

Technische Daten
Gibson Cassutt
  • 6,25 m
  • 6,13 qm
  • 5,18 m
  • 265 kg
  • Lycoming O-200, 120 PS
  • 45 Liter (Vollgas)
Schlagwörter
  • Rennflugzeug
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