Gebrauchte Sechssitzer: Fliegende Packesel
Irgendwann überkommt jeden Piloten die Sehnsucht nach mehr Platz. Gebrauchte Sechssitzer können die Lösung sein. Eine Übersicht der gängigen Modelle
Ob nun das dritte Kind mitfliegen soll, der Familienhund oder die Skiausrüstung: Irgendwann überkommt jeden Piloten die Sehnsucht nach mehr Platz. Einmotorige Sechssitzer können die Lösung sein. Eine Übersicht der gängigen Modelle.
Überladung bringt Gefahren
Die Werbefotos verkaufen die Illusion perfekt: Im Hintergrund eine Kolbeneinmot mit einladend geöffneter Tür, davor ein Stapel Reisetaschen, die Campingausrüstung und sogar ein Jet Ski für den Spaß im Wasser, umgeben von einer aufgeregten Kinderschar. Jetzt nur noch einpacken, und dann ab in den Familienurlaub. Wer’s glaubt, wird nicht selig, sondern bringt sich und seine Lieben womöglich in ernste Gefahr. Dennoch: Der Wunsch nach mehr Zuladung kommt bei den meisten Piloten schon bald nach Scheinerwerb auf – wenn sie nämlich das erste Mal drei ausgewachsene Kumpel in »172« oder Archer mitnehmen wollen und dafür eine Weight & Balance-Berechnung machen. Viersitzer? Von wegen! Auch der Bedarf an mehr als vier Sitzplätzen stellt sich schnell ein, wenn die Kinder und deren Freunde mitmöchten.
Welches Flugzeug passt zu mir?
Wer sich im Gebrauchtmarkt umschaut, stellt schnell fest: Wenn man von offensichtlichen Exoten sowie den Modellen mit Druckkabine, also Piper Malibu/Mirage oder Cessna P210, absieht, dann bleiben vier Baureihen, die in guter Auswahl am Markt zu finden sind: Die Beechcraft Bonanza 36, die Piper-Sechsitzer sowie Cessna 210 und 206. Je nach Alter und Ausstattung liegen die Preise dieser Flugzeuge meist im Bereich zwischen 70 000 und 150 000 Euro. Wichtigster Faktor ist das Baujahr: Maschinen aus den siebziger Jahren sind zum Teil deutlich für unter 100 000 Euro zu haben; Modelle aus den Achtzigern liegen oft ein wenig darüber. Bis auf die 210 sind alle vorgestellten Muster auch als »junge Gebrauchte« aus diesem Jahrhundert zu haben – allerdings zu deutlich höheren Preisen.
Beechcraft Bonanza 36
Sie ist die Grande Dame der Sechssitzer: Die elegante BE36 erschien 1968 als gestreckte Version der klassischen Viersitzer-Bonanza – allerdings von Anfang an auf Basis der Variante ohne V-Leitwerk. Interessant wurde das Modell 1970 mit der A36, für die Beech erstmals „club seating“ anbot, also die typische Bestuhlung, bei der die Passagiere in der zweiten Reihe nach hinten blicken und so denen in der dritten Reihe gegenüber sitzen. Erst mit dieser Anordnung kommt in einem Sechsitzer so richtig das Gefühl auf, es gäbe mehr Platz – auch wenn sich die Passagiere über die passende Verknotung ihrer Beine einigen müssen.
Die Bonanza fliegt sich trotz ihrer Größe ausgesprochen angenehm – mit Sicherheit am besten von allen hier vorgestellten Modellen. Dass alles von Beech teurer ist als der Wettbewerb, ist eher ein Vorurteil. Doch die Bonanza kann andere Probleme mit sich bringen: Voll beladen neigt sie dazu, hecklastiger zu sein, als es die Schwerpunktgrenze erlaubt. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Schwerpunkt mit zunehmendem Spritverbrauch im Flug immer weiter nach hinten wandert. Eine sorgfältige Schwerpunktberechnung für Start und Landung ist ein Muss bei allen diesen Flugzeugen.
Es gibt Beladungen, die mit der Bonnie nicht sicher fliegbar sind, auch wenn das MTOW ausreicht. Unser Rechenbeispiel, das wir im Folgenden auch auf die anderen Muster anwenden wollen: Sechs Erwachsene mit einem Gewicht von je 80 Kilo sollen mitfliegen, dazu noch sehr sparsame 20 Kilo Gepäck, macht zusammen 500 Kilo Nutzlast. Zwar sind 620 Kilo und mehr Zuladung je nach Ausstattung bei einer Bonanza 36 durchaus zu finden, man könnte also locker genug Sprit für zwei bis drei Stunden Flugzeit tanken – doch selbst wenn die Passagiere ihr Gepäck nach vorn zwischen die Beine nehmen, liegt bei den meisten Bonanzas der Schwerpunkt bei dieser Beladung zu weit hinten. Haben die Passagiere unterschiedliche Gewichte, kann eine geschickte Platzzuweisung die Lösung bringen.
Doch offenbart sich hier ein Grundproblem all dieser Muster: Ebenso wenig wie die Cessna 172 ein »echter« Viersitzer ist, schaffen es die Sechssitzer, wenn alle Plätze mit schweren Jungs gefüllt werden. Das gilt umso mehr für die Varianten mit dem Zusatzgewicht eines Turboladers. Viele Bonanza-Besitzer resignieren und entfernen einfach einen der hinteren Sitze, um so das ohnehin knappe Gepäckfach zu vergrößern.
Die A36 wurde anfangs mit einem 285-PS-Continental ausgeliefert, später mit dem 300 PS starken IO-550. 170 Knoten Reisegeschwindigkeit sind damit zu schaffen, die Turbo-Varianten überschreiten 200 Knoten. Auf die A36 folgte das Modell B36, heute wird die aktuelle Bonanza mit Garmin-Glascockpit als G36 angeboten.
Ein echtes Plus der 36 ist die große Doppeltür hinten rechts, die den Passagieren Zugang zu ihren Clubsitzen gewährt. Pilot und Co steigen vorne rechts durch eine gemeinsame Tür ein.
Die Bonnie erlaubt stilvolles und schnelles Reisen mit viel Platz – wenn man ihre Grenzen respektiert.
Piper PA-32 Cherokee Six/Lance/Saratoga
Wer eine Warrior fliegen kann, der kommt auch mit den Sechsitzern von Piper klar – im Grundsatz stimmt das schon. 1965 verlängerte Piper den Rumpf der damals noch jungen Cherokee-Linie zur Cherokee Six mit 260 PS. Im Jahr darauf erhielt der Sechssitzer einen angemessenen 300-PS-Lycoming und hieß fortan PA-32-300. 1976 begann die Verwirrung um Modellnamen: Die neue Variante mit Einziehfahrwerk (PA-32R-300) hieß Lance.
Während der Rest der Welt das Discofieber entdeckte, kam in der Fliegerei plötzlich eine Vorliebe für T-Leitwerke auf. Auch Piper folgte dieser Mode und stattete 1978 die Lance und die neue Turbo-Lance (PA-32R-300T) damit aus. Der Nachteil dieser Maschinen ist, dass das oberhalb des Propellerstroms liegende Höhenruder erst ab etwa 80 Knoten wirksam ist, was bei Start und Landung berücksichtigt werden muss und die Strecken erheblich verlängert. Der Vorteil: Diese Modelle sind günstig.
Schon 1980 war wieder Schluss mit dem T-Tail, auch wurde der typische Rechteckflügel durch eine aerodynamisch günstigere Trapezform ersetzt. Fortan hieß die Sechsitzer-Linie Saratoga, in der Modellnummer wurde 300 durch 301 ersetzt.
Anfangs gab es vier Varianten: Saratoga und Turbo-Saratoga mit Festfahrwerk sowie beide Modelle mit Einziehfahrwerk und dem Namenszusatz SP. Die Festfahrwerks-Versionen wurden bald eingestellt, feierten allerdings von 2004 bis 2007 eine kurze Auferstehung unter dem Namen Piper 6X. Die Einziehfahrwerks-Saratoga wurde bis 2008 gebaut. Wie bei den viersitzigen Cherokees gelangt man über eine Tür vorne rechts auf die erste Sitzreihe. Die Plätze in Clubanordnung dahinter erreicht man über eine große Tür auf der linken Seite, neben der eine nach oben schwenkende Klappe den Gepäckraum freigibt. Wenn man die hinteren Sitze ausbaut, entsteht ein wahrhaft riesiger Stauraum, der für einen Jet Ski wohl tatsächlich ausreicht – auch wenn die Passagiere dann nach hinten blicken müssen.
Die Piper-Sechsitzer lösen das Schwerpunktproblem auf elegante Weise, wodurch die Maschinen auch noch außergewöhnlich leise werden: Zwischen Motor und Cockpit findet sich ein vorderer Gepäckraum.
Unsere sechs Rechenbeispiel-Erwachsenen mit ihrem schmalen Gepäck sind für eine durchschnittliche Achtziger-Jahre-Lance kein Problem. Zweieinhalb Stunden können sie bei 155 Knoten Reisegeschwindigkeit fliegen. Bei jüngeren Saratogas, gerade denen mit Turbo, kann die Zuladung allerdings bis auf 550 Kilo sinken – in den meisten Fällen zu wenig für sechs Erwachsene.
Wie von den viersitzigen Pipern gewohnt, fliegt sich die Modell-Linie nicht gerade spritzig. Die schweren Sechssitzer sind sogar noch behäbiger. Auch ist Geschwindigkeit nicht ihre Stärke. Doch glänzen sie mit Geräumigkeit – die Kabine ist bis einschließlich der zweiten Reihe 1,21 Meter breit – und einem sehr verträglichen Flugverhalten.
Cessna 210 Centurion
Das Wichtigste zuerst: Für die 210 gibt es keine Clubanordnung der hinteren Sitze. Und: Die Centurion hat – wie die gute alte 172 – nur zwei Türen vorne links und rechts. Wer in die dritte Reihe will, muss über Sitzlehnen klettern. Das sind die Nachteile.
Die Vorteile: Die Centurion bietet eine sehr gute Kombination aus Zuladung und Geschwindigkeit. Unsere 500-Kilo-Mannschaft bringt eine durchschnittliche 210 mit 680 Kilo Zuladung kaum aus dem Gleichgewicht. 170 Knoten schafft der Continental IO-520, der je nach Modell zwischen 285 und 310 PS leistet. Die Turbovariante erreicht 200 Knoten.
Allerdings: Geräumig ist die Centurion nicht. Vorne entspricht die Kabinenbreite der 182, in der dritten Reihe wird es Erwachsene nach kurzer Zeit zu eng.
Zwar brachte Cessna schon 1960 die erste 210 auf den Markt, doch erst mit dem Modell 210K wurde 1970 ein brauchbarer Sechssitzer daraus. Frühe Modelle haben noch abgestrebte Tragflächen, doch die üblichen 210 sind freitragend. Die geringe V-Stellung der Flügel erfordert Sorgfalt beim Betanken: Die Flächentanks erscheinen bereits voll, wenn die Kapazität noch längst nicht erreicht ist. Das eigenwillige Einziehfahrwerk von Cessna bedarf fachkundiger Wartung, um zuverlässig zu arbeiten.
Cessna 206 Stationair
1963, als die 210 noch Flügelstreben hatte, brachte Cessna eine Variante mit Festfahrwerk heraus, die 205. Sie entwickelte sich über wenige Jahre zur 206 Stationair, die es in verschiedenen Varianten gab – und gibt: Das Muster wird seit Ende der neunziger Jahre wieder gebaut. Einige Modelle hatten zwei Türen vorne und eine weitere hinten, doch schnell setzte sich die auch heute noch gebaute Variante durch: Sie hat eine Pilotentür vorne links und eine breite Doppeltür hinten rechts. Auch bei der 206 gibt es keine Clubanordnung der Sitze. In Europa eher selten ist die 207, eine gestreckte Variante mit sieben oder sogar acht Sitzen und stärkerem Motor.
130 bis 160 Knoten schafft die 206 je nach Modell und Motorisierung – die langsamste Maschine in unserem Vergleich. Dafür schleppt sie am meisten: Bis über 800 Kilo Zuladung erreichen die älteren Modelle mit spartanischer Ausstattung, die Schwerpunktlage ist unproblematisch. Auch eignet sich die Stationair als Hochdecker mit Festfahrwerk am besten für unbefestigte Pisten. Umso mehr muss ein Gebrauchtkäufer die Lebensläufe der Angebote hinterfragen: Maschinen im Buschfliegereinsatz haben oft stark gelitten. Ebenso häufig ist der Einsatz der 206 ohne Sitze als Absetzmaschine für Fallschirmspringer – auch kein leichtes Flugzeugleben.
Fazit
Beladungsprobleme sind mit einem Sechssitzer keineswegs gelöst. Weiterhin muss Nutzlast gegen Benzinvorrat abgewogen und Weight & Balance sorgfältig berechnet werden. Doch bietet die erhöhte Zuladung ebenso wie die Sitzplatzzahl wesentlich mehr Optionen – und sei es nur die, drei ausgewachsene Kumpel tatsächlich samt Gepäck mitnehmen zu können.
In der Anschaffung sind gebrauchte Sechssitzer überraschend günstig – dass allerdings der Unterhalt der großen Motoren teurer ist als im 160- bis 200-PS-Bereich, sollte niemanden überraschen. Als bester Kompromiss zwischen Geräumigkeit, Zuladung und Speed erscheinen die Piper-Modelle – aber wer andere Prioritäten setzt, findet auch einen schnelleren oder einen schickeren Packesel.
Text: Thomas Borchert, Fotos: Archiv fliegermagazin 01/2012
Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.
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