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„Aus Gewissensgründen“: Ex-LBA-Juristin schmeißt beim LBA hin

Ex-LBA-Juristin Nina Coppik erzählt im Interview von Missstände im Referat L6. Fehler bei Medicals, lange Verfahren und fragwürdige Gutachten belasten Piloten.

Von Isabella Sauer
Nina Coppik war eineinhalb Jahre lang als Juristin bei der deutschen Luftfahrtbehörde, dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) angestellt. Sie arbeitete im Referat L6.
Nina Coppik war eineinhalb Jahre lang als Juristin bei der deutschen Luftfahrtbehörde, dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) angestellt. Sie arbeitete im Referat L6. Bild: Montage (LBA, LinkedIn, Privat, fliegermagazin)

Das Referat L6 des Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) ist für die flugmedizinische Tauglichkeit von Piloten zuständig. Genau dort arbeitete die Volljuristin und PPL-Schülerin Nina Coppik rund anderthalb Jahre – bevor sie ihren sicheren Beamtenposten „aus Gewissensgründen“ kündigte. Ihre Entscheidung machte sie auf LinkedIn öffentlich, verbunden mit deutlicher Kritik: fehlende Befunde, fachfremde Begutachtungen, zähe Verfahren.

Im Gespräch mit dem fliegermagazin schildert Coppik die Missstände ausführlich: „Ich habe schwerpunktmäßig Widerspruchs- und Klageverfahren betreut betreffend die flugmedizinische Tauglichkeit von Pilotinnen und Piloten. Und da ist es ja so: Du gehst als Klasse-1-Pilot jedes Jahr zum Fliegerarzt, als Klasse 2 ein bisschen seltener. Meistens kann der selbst entscheiden, ob du tauglich oder untauglich bist.“

Aus ihrer Sicht wird dabei jedoch zu oft gegen grundlegende Prinzipien verstoßen. „Bevor man jemanden untauglich macht, sind Verhältnismäßigkeit und vollständige Sachverhaltsaufklärung Pflicht“, sagt sie. Das LBA weist die Kritik zurück und verweist auf eine laufende ministerielle Prüfung.

Dass Coppiks Vorwürfe einen Nerv treffen, zeigt die Resonanz in den sozialen Netzwerken: Unter ihrem ersten LinkedIn-Beitrag zu diesem Thema finden sich bereits über 170 Kommentare, mehr als 30 Reposts und hunderte Reaktionen. Mittlerweile hat sie zudem eine 137 Seiten starke Präsentation mit dem Titel „Die Untauglichmacher“ veröffentlicht, die einen Überblick über die Verfahren im LBA geben soll.

Worum es konkret geht – Kritik am LBA Referat L6

Im Referat L6 landen die Fälle, in denen die Routineuntersuchung beim Fliegerarzt Auffälligkeiten zeigt – vom kardiologischen Befund bis zum nicht bestandenen Farbsehtest. Bei Klasse-1-Lizenzen (ATPL/CPL) entscheidet in bestimmten Konstellationen das LBA per Bescheid; Widerspruch und Klage sind möglich. Bei Klasse 2 (PPL) entscheidet zunächst der Fliegerarzt, kann aber L6 konsultieren. Kommt es zum Streit, lässt sich eine Zweitüberprüfung beantragen – dann ergeht erstmals ein Bescheid.

Komplexe Fälle werden außerdem in einem fliegerärztlichen Ausschuss – bestehend aus ehrenamtlichen Fachärzten – beraten. „Der Ausschuss tagt monatlich, ist ab fünf Mitgliedern beschlussfähig, das Votum ist aber nicht bindend“, erklärt Coppik.

Unterschiedliche Wege: Klasse 1 und Klasse 2

Berufspiloten (Klasse 1): Liegt eine Diagnose vor, die nicht vom Fliegerarzt allein entschieden werden darf, wird an die medizinischen Sachverständigen des LBA verwiesen. Dort ergeht ein Bescheid – Widerspruch und anschließend Klage sind möglich. „Häufig wird in diesem Widerspruchsverfahren der fliegerärztliche Ausschuss mit einbezogen“, sagt Coppik. Das Gremium aus Fachärzten verschiedener Disziplinen tagt monatlich; beschlussfähig ist es ab fünf Mitgliedern, der Pool umfasst etwa zehn Personen. Das Votum ist nicht bindend – die Entscheidung liegt beim LBA.

Privatpiloten (Klasse 2): Hier entscheidet zunächst der Fliegerarzt. Muss er konsultieren, holt er beim behördlichen Sachverständigen eine Empfehlung ein; ein behördlicher Bescheid entsteht erst mit einer beantragten Zweitüberprüfung. Erst ab diesem Zeitpunkt sind Widerspruch und Klage möglich. Coppik bringt es auf den Punkt: „Bei der Klasse 1 hast du sofort einen Bescheid, bei der Klasse 2 erst, wenn du aktiv eine Zweitüberprüfung beantragst.“

Nina Coppik ist war Juristin beim LBA und macht derzeit ihre PPL-Ausbildung.Nina Coppik ist war Juristin beim LBA und macht derzeit ihre PPL-Ausbildung.
Nina Coppik ist war Juristin beim LBA und macht derzeit ihre PPL-Ausbildung. Bild: Privat

Kritik ans LBA von Nina Coppik: „Untauglichkeit ist Ultima Ratio“

Nach Coppiks Darstellung werden verwaltungsrechtliche Grundsätze in der Praxis „häufig nicht“ konsequent beachtet. „Ich habe zu oft gesehen, dass jemand untauglich geschrieben wird, weil ein Befund fehlt – Befunde müssen angefordert werden. Das ist der Amtsermittlungsgrundsatz“, sagt sie. Zugleich erlebt sie das Gegenteil: „Manchmal werden auch uralte Befunde nachgefordert – und das nicht gesammelt, sondern in kleinen Schritten. Da kommen Piloten dann mit der vierten Nachforderung in Folge, weil jedes Mal nur ein weiterer Facharztbericht verlangt wird.“ Das verlängere Verfahren unnötig – zumal jeder Arzttermin Zeit koste.

Schwer wiegt für sie auch die fachliche Zuteilung: „Dann begutachtet eine HNO-Ärztin kardiologische Fragen.“ Externe Fachgutachten würden „zu selten“ genutzt, obwohl sie bei speziellen Fragestellungen angezeigt seien. Hinzu kämen Fristprobleme: „Fristen des Verwaltungsgerichts wurden in der Praxis nicht immer eingehalten.“

Normativ verweisen die Regeln – Part-MED mit der EU-Verordnung 1178/2011 sowie AMC/GM der EASA – ausdrücklich auf Spielräume. Wenn da steht ‘appropriate limitations may apply’, muss ich begründen, warum ich sie nutze – oder warum nicht. Und may heißt nicht must“, so Coppik. Ihr Leitgedanke: „Untauglichkeit ist Ultima Ratio.“

Untauglichkeit: Schwere Folgen in der Realität

Die Verfahren ziehen sich nach ihrem Eindruck zu oft – mit existenziellem Druck für Betroffene: „Ich hatte gestandene Kapitäne am Telefon, die den Tränen nahe waren, weil sie seit Monaten kein Geld verdienen. Da hängen Hauskredite und Familien dran.“ Als Hauptursache sieht sie Organisation und Priorisierung, nicht allein fehlende Köpfe: „Natürlich ist Personalmangel eine Komponente. Entscheidend sind aber klare Strukturen, Schulungen – und Empathie für die Betroffenen.“ Auch die Kommunikation sei ausbaufähig: Sachstandsanfragen bleiben liegen; Akten werden nicht zügig zugeteilt. Da bräuchte es einen klaren Geschäftsverteilungsplan.“

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Zur Dimension nennt sie eine vorsichtige, persönliche Einordnung: In Braunschweig arbeiteten „zwei“ ärztliche Sachverständige in Vollzeit; weitere seien auf Außenstellen und Honorarbasis verteilt. „Insgesamt lass von knapp zehn Leuten ausgehen“, sagt sie – ausdrücklich als Schätzung.

Der Blick ins Verfahren

Für Leser, die selten mit der Materie zu tun haben, ordnet Coppik die Stufen bei einem Verfahren ein: Bei Klasse 1 ergeht die behördliche Entscheidung früh – „Widerspruch, dann Klage“. Bei Klasse 2 ist der Bescheid erst Teil der Zweitüberprüfung – „dagegen kann man dann ebenfalls in den Widerspruch und klagen“.

Der zuvor erwähnte Ausschuss sei formal unabhängig und werde vom LBA organisiert: „Die Mitglieder sind Fachärzte aus unterschiedlichen Disziplinen.“ Wichtig sei ihr aber, dass Fachfragen „auch fachlich passend“ adressiert werden – notfalls extern. Und eben nicht an den HNO-Arzt geht, der einen Cardio-Fall einordnen soll.

Was sagt das LBA?

Das LBA weist die Vorwürfe zurück. In einer öffentlichen Stellungnahme heißt es, man weise die „Unterstellungen“ zurück. Die angesprochenen Vorgänge beträfen sechs Fälle, die – unter Wahrung des Datenschutzes – zur verwaltungsverfahrensrechtlichen Prüfung dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegt worden seien.

Die Prüfung laufe. Zu strukturellen Detailfragen äußerte sich die Behörde bislang nicht. Das fliegermagazin hat beim LBA ein Interview angefragt.

Was sich aus Coppiks Sicht ändern muss

Coppik skizziert keine Generalabrechnung, sondern Handwerk: klare Organisation, messbare Fristen, fachgerechte Zuweisung. Fälle mit drohender Untauglichkeit sollten standardmäßig ein externes Fachgutachten erhalten. Zudem brauche es verpflichtende Verwaltungsschulungen für die ärztlichen Gutachter der Behörde – „mit Prüfung, nicht nur mit Anwesenheit“. Und „vorsichtig formuliert“ sieht sie auf Leitungsebene Bedarf, „damit Vorgaben wirklich umgesetzt werden“.

Persönlicher Schritt – große Resonanz

Nina Coppiks öffentlicher Post auf LinkedIn hat eine Welle ausgelöst. „Mein Postfach glüht; ich bin selbst entsetzt, wie schlimm manche Schilderungen sind“, sagt sie.

Den Abschied aus dem Beamtenverhältnis habe sie „sehr gut überlegt“: „Ich konnte das mit meinem Fliegerherz und meinem Berufsethos so nicht mehr vereinbaren.“ Künftig will sie sich „auf der richtigen Seite, nämlich der des fliegenden Personals“ engagieren. Sie arbeitet jetzt als Volljuristin und ist Referentin bei der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO).

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Über den Autor
Isabella Sauer

Isabella Sauer ist Jahrgang 1991, studierte in Bamberg Kommunikationswissenschaft und absolvierte anschließend ein Volontariat bei Auto Bild. Seit ihrer Jugend ist sie journalistisch tätig und arbeitete für große Verlagshäuser, darunter Axel Springer und die Funke Mediengruppe. Print, Digital, Social Media - für Isabella hat jeder Inhalt das Potenzial, vielfältig aufbereitet zu werden. Und wie kam sie zum fliegermagazin? Das Thema Mobilität interessierte sie immer schon sehr. Ob Auto, Bahn, Camper, Airliner oder Fahrrad: Die Welt lässt sich aus vielen Perspektiven entdecken. Nun geht es für Isabella Sauer in die Luft. Seit Mai 2025 hat sie eine Privatpilotenlizenz (PPL).

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