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Flugzeugabsturz in Egelsbach: Anflug nicht stabilisiert?

Steigt die Arbeitsbelastung im Cockpit, kann die individuelle Belastungsgrenze eines Piloten schnell überschritten sein – besonders, wenn er ein Hochleistungsflugzeug allein steuert. So endete der Anflug einer Turboprop auf Egelsbach tragisch. Eine Unfallanalyse!

Von Martin Schenkemeyer
Die Turboprop wird beim Aufschlag völlig zerstört. Drei Personen an Bord kommen dabei ums Leben.

An einem schönen Frühlingstag im März 2019 plant der 53-jährige Pilot mit zwei Passagieren von Cannes in Frankreich (LFMD) nach Frankfurt-Egelsbach (EDFE) zu fliegen. Die Reise endet in einem Flugzeugabsturz in Egelsbach.

Bei den Mitfliegern handelt es sich um Natalia Filjowa und ihren Vater. Die damals 55-Jährige zählt mit einem geschätzten Vermögen von über 600 Millionen US-Dollar zu den reichsten Frauen Russlands. Zusammen mit ihrem Ehemann ist sie nicht nur Miteigentümerin von S7, der größten privaten Airline Russlands. Über seine Firmengruppe besitzt das Paar auch den Hersteller der Maschine, in der die Millionärin reist.

Die Epic LT ist ein US-amerikanischer, einmotoriger Tiefdecker mit sechs Sitzplätzen. Er wird von einer PT6-Propellerturbine angetrieben und besteht überwiegend aus Kohlefasern. Nur ein paar Dutzend der Bausatz-Flugzeuge waren seinerzeit zum Verkehr zugelassen. Nach einer Insolvenz des Flugzeugbauers sicherte die russische Übernahme die Finanzierung für die inzwischen erfolgte Musterzulassung der High-End-Turboprop.

Luftraumverletzung unter VFR: Anweisungen missachtet

Die Epic mit der Registrierung RA-2151G wurde von einer Tochtergesellschaft der Airline S7 betrieben.

Rund anderthalb Stunden vor Abflug fährt der Pilot zum Flughafen in Cannes und betankt das Flugzeug. Um 13.45 Uhr erscheinen auch die beiden Passagiere, und kurze Zeit später befindet sich die Epic in der Luft. Um 15.19 Uhr nimmt der Flugzeugführer Kontakt mit Langen Radar auf. Er erhält die Anweisung, auf 4000 Fuß zu sinken und den VFR-Meldeunkt Delta südwestlich von Egelsbach anzusteuern. Außerdem bekommt er die Information, dass die Piste 08 in Betrieb ist. 16 Nautische Meilen südlich von Egelsbach erfolgt der Flugregelwechsel von IFR zu VFR.

Der Radarlotse übergibt die Turboprop-Maschine daraufhin an Egelsbach Info. Er warnt den Piloten vor dem Luftraum C des Flughafens Frankfurt (EDDF) nicht zu verletzen, der oberhalb 3500 Fuß beginnt. Wenig später verletzt der Pilot die Luftraumgrenze in 4100 Fuß.

Neuer Transpondercode: Flugzeugabsturz Egelsbach

Nach der Kontaktaufnahme mit Egelsbach bekommt der Pilot vom dortigen Flugleiter unter anderem einen neuen Transpondercode zugewiesen. Diesen ließt er weder zurück noch stellt er ihn ein. Der Flugleiter gibt im Nachhinein an, darauf verzichtet zu haben, den Transpondercode erneut durchzugeben, um den Piloten nicht zusätzlich zu belasten.

Kurz darauf kommt es zu einer weiteren Luftraumverletzung. Die Maschine fliegt nun in 2500 Fuß erneut in den Luftraum C ein, der nahe Egelsbach in 1500 Fuß beginnt. Als der Flugleiter den Piloten darauf hinweist, bestätigt der mit »Roger, continue descent« und sinkt weiter.

Kontrollverlust über Tiefdecker: Aufprall auf den Boden

Der Pilot dreht zu früh in Richtung Piste. Statt über der Bahn durchzustarten und eine volle Platzrunde weiterzufliegen, überzieht er in einer engen Linkskurve.

Der Tiefdecker nähert sich nun dem Flugplatz mit einer Geschwindigkeit von 170 Knoten an. Als er sich nur noch 1000 Meter südwestlich der Pistenschwelle zur »08« auf nordöstlichem Kurs befindet, fragt der Flugleiter den Piloten, ob dieser den Platz sehen könne. Dieser verneint. Der Flugleiter schlägt ihm vor, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Er gibt ihm den Hinweis, dass er bereits im rechten Queranflug auf Piste 08 ist.

Als sich das Flugzeug ungefähr 300 Meter südlich der Schwelle befindet, sendet der Pilot einen unverständlichen Funkspruch. Er beginnt nach links zu kurven. In geringer Höhe kreuzt er dabei die Piste und fragt schließlich, ob er einen Vollkreis fliegen könne. Der Flugleiter bejaht dies und weist den Piloten an, die Linkskurve fortzusetzen, ohne die westlich gelegene Autobahn zu überfliegen. Wenig später verliert der Pilot die Kontrolle über den Tiefdecker, der schließlich aus geringer Höhe auf den Boden aufprallt. Das Flugzeug gerät sofort in Brand, alle drei Insassen kommen ums Leben.

Anflug nicht stabilisiert: Flugzeugabsturz Egelsbach

Nur wenige hundert Meter von der Schwelle der »08« entfernt stürzt die Epic in ein Spargelfeld.

Im Betriebshandbuch des Unternehmens war festgelegt, dass ein Landeanflug abzubrechen ist, wenn er in einer Höhe von 500 Fuß über Grund nicht stabilisiert ist. Das Flugzeug sank kurz vor dem Absturz auf eine Höhe von 230 Fuß über Grund. Die Geschwindigkeit reduzierte sich da- bei laut Radaraufzeichnung auf geringe 94 Knoten, was in einem Strömungsabriss mit Trudeln mündete. Von einem stabilisierten Anflug in 500 Fuß konnte also keine Rede sein. Dennoch wurde kein Fehlanflugverfahren eingeleitet.

Hinzu kommt das problematische Trudel-Verhalten der Epic LT. Im Flughandbuch wird beschrieben, dass bei einem Abkippen über eine Tragfläche die Betätigung des Seitenruders den Übergang ins Trudeln fördert. Das Ziehen des Höhenruders kann zum Flachtrudeln führen, das nur sehr schwer zu beenden ist. Als Experimental verfügte die Unfallmaschine weder über eine optische oder haptische noch über eine akustische Überziehwarnung.

Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen: Gründe des Absturzes

Schließlich geht die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung mit den Anflugverfahren und der Luftraumstruktur rund um Egelsbach hart ins Gericht. So kommt sie zu dem Schluss, dass die Kriterien für einen stabilisierten Anflug für strahl- und propellerturbinengetriebene Luftfahrzeuge beim Anflug auf Piste 08 nicht erreichbar sind. Die Distanz zwischen Pistenschwelle und der westlich verlaufenden Autobahn A5 sei so gering, dass Flugzeuge nach dem Beenden der Endanflugkurve keinen stabilisierten Anflug mit akzeptablem Anflugwinkel durchführen können.

Letztlich resümiert die BFU, dass der Unfall darauf zurückzuführen ist, dass der Pilot einen nicht stabilisierten Anflug fortgesetzt hat. Anstatt durchzustarten, der Bahnrichtung zu folgen und die Platzrunde abzufliegen. Die hohe Arbeitsbelastung bedingt durch die komplexe Luftraumstruktur rund um Egelsbach und das späte Erkennen des Flugplatzes dürfte dazu geführt haben, dass er der Fluggeschwindigkeit nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Eine Überziehwarnung hätte den Piloten möglicherweise rechtzeitig aufmerksam machen können.

Flugzeugabsturz Egelsbach: Acht Monate später Musterzlassung

Die Musterzulassung hat das Flugzeug unter der Bezeichnung E1000Q trotz des Zwischenfalls acht Monate später erhalten.

Autor: Martin Schenkemeyer

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Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

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