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Flugsicherheitstraining im Süden von Frankreich: Über den Gipfeln der Alpen

Hohe Berge, enge Täler, kurze und steile Pisten – Fliegen im Gebirge ist traumhaft, aber auch riskant. Also nichts für unerfahrene Piloten. Doch mit Gebirgseinweisung macht die Herausforderung Spaß

Von Redaktion

Kommt rechts an den Hang, hier gibt’s drei Meter Steigen!“ Was Manfred Spitz über Funk durchgibt, ist keineswegs ein Tipp an absaufbedrohte Segelflugkollegen. Die Adressaten sind wir: Piloten von Motormaschinen, ULs und Motorseglern. Mein Co Steffen Kühn und ich sitzen in einer Cessna 152. Nur noch 30 Meilen sind wir von unserem Tagesziel im südfranzösischen Gap entfernt, auf 4000 Fuß.

Die Dichtehöhe hat’s in sich an diesem heißen Maitag, und vor uns erheben sich die mächtigen Berge des Nationalparks Ecrins. Hier ragen die Gipfel der Hautes-Alpes bis auf knapp 10 000 Fuß empor. Aber da müssen wir nicht drüber – durch das Drac-Tal genügen 4500 Fuß, um den Flugplatz an der Durance zu erreichen. In der Thermik, die Manfred mit seinem Reisemotorsegler gefunden hat, klettern wir mühelos auf 5500 Fuß, sodass wir komfortabel ins Drac-Tal einsteigen können.

Auf dem Weg nach Frankreich: Mein Co Steffen Kühn und ich sitzen in einer Cessna 152

Zum elften Mal ist nun schon eine Gruppe deutscher Piloten vom Rhein zur Durance unterwegs. Angefangen hatte alles im Jahr 2004 mit einer Frage von Carl Otto Wessel, dem Geschäftsführer des Luftsportverbands Rheinland-Pfalz: „Warum wollen wir nicht mal mit Motorflugzeugen, Motorseglern und ULs eine Reise in die französischen Alpen unternehmen?“ Bis zu 40 Maschinen pro Flugsicherheitskurs nahmen seither an den jeweils zweimal im Jahr stattfindenden Veranstaltungen teil.

Vorsichtige Annäherung: Ausflug zum Mont Blanc – mit 15 778 Fuß der höchste Berg der Alpen
(Foto: Günter End)

Carl Ottos Argument für die von ihm geförderte Weiterbildung: „Man kann viel übers Fliegen im Gebirge lesen, aber es ist etwas anderes, selbst dort gewesen zu sein“. Unerfahrenen Piloten ist davon abzuraten, auf eigene Faust im Gebirge zu fliegen. Ohne Einweisung sind die Risiken einfach zu groß. Natürlich kann man sich vor Ort von einer Flugschule einweisen lassen, aber die Kosten sind meist hoch.

Bis zu 40 Maschinen pro Flugsicherheitskurs nahmen seither an den jeweils zweimal im Jahr stattfindenden Veranstaltungen teil

Als Alternative bietet sich ein Trainingslager wie das des Rheinland-Pfälzischen Luftsportverbands an. Hier geht es nicht darum, dem legendären französischen Piloten Henri Giraud nachzueifern, dem der Gebirgsflugplatz (Altiport) Alpe-d’Huez gewidmet ist. Vielmehr soll einem möglichst großen Kreis von durchschnittlich erfahrenen Piloten das Wissen und Können vermittelt werden, um im Gebirge sicher zu fliegen. Im Grunde steckt in den meisten Flachlandpiloten der Wunsch, die Alpen zu erkunden und die unvergleichlichen Landschaftseindrücke, die man vielleicht am Boden gesammelt hat, aus der Luft zu ergänzen.

Ein Vorzug der südfranzösischen Alpen besteht darin, dass dort das Wetter meist stabiler ist als bei uns. Dieses Mal sind wir 35 Crews, die meisten mit ULs. Ein halbes Dutzend Motorsegler und ungefähr gleich viele Motorflugzeuge ergänzen die Gruppe. Auch mein ehemaliger Flugschüler Walter Klocker aus Hohenems in Vorarlberg ist mitgekommen. Als er sich über das Training erkundigte, meinte er vorsichtig: „Meine Flugerfahrung von 100 Stunden ist doch sicher nicht ausreichend, oder?“ Ich ermutigte ihn, trotzdem nach Bad Sobernheim zu kommen, wo sich die Teilnehmer vier Wochen vor dem Termin zu einer Vorbesprechung trafen. Dort erhielten sie Tipps und Unterlagen über das Gebirgsfliegen.

Flugsicherheitstraining: Dieses Mal sind wir 35 Crews, die meisten mit ULs

Treffpunkt für die Tour ist Bremgarten unweit von Colmar an der französischen Grenze. Am 10. Mai geht’s los. In mehreren Gruppen durchfliegen wir an diesem Sonntagvormittag die Kontrollzone von Basel. Copilot Steffen ist erleichtert: „Gut, dass ich den Sprechfunk mit Basel Tower nicht erledigen musste.“ Ich deute ihm an, dass er auf dem Rückflug an der Reihe sei – so sind Fluglehrer nun mal. Über Montbéliard und die landschaftlich reizvolle Region Franche-Comté geht es vorbei an Besançon zu unserem Etappenziel Bourg-en-Bresse.

Extremlandung: Die 450-Meter-Piste von Alpe-d’Huez liegt in 6000 Fuß und hat bis zu 16 Prozent Steigung (Foto: Günter End)

Weil es sonntags offiziell keinen Sprit gibt, hilft uns wie immer Denise Gagneux, eine befreundete Pilotin – als Clubmitglied hat sie Zugang zur Tankstelle. Bevor wir über Ambérieu und La Tour-du-Pin Kurs auf Grenoble nehmen, gibt Carl Otto noch ein Wetterbriefing für die Strecke durchs Gebirge nach Gap. Bei tiefliegenden Wolken besteht die Möglichkeit, weiter im Westen über das Rhône-Tal auszuholen und Gap von Süden her anzufliegen; dort ist das Gebirge zur Küste hin flacher. Doch heute ist das nicht nötig – es bläst zwar mächtig, sodass wir mit Turbulenzen rechnen müssen, aber große Umwege brauchen wir nicht zu machen. Die Navigation im Gebirge unterscheidet sich wesentlich von der im Flachland.

Die Teilnehmer sammeln sich in Bremgarten und fliegen zusammen nach Frankreich

Nur Kompass und Karte sind jetzt noch unsere Hilfsmittel. Funknavigation kann man in den engen Gebirgstälern meist vergessen, und GPS eignet sich bestenfalls zur Unterstützung – geradlinige Streckenverläufe zwischen den Wegpunkten entsprechen selten der möglichen oder der besten Route. Angesichts der Hindernishöhe und der Hitze gilt es, meteorologisch zu navigieren: Wir schauen, welche Hänge von der Sonne aufgeheizt werden und wo der Wind drauf steht – thermisch oder dynamisch, irgendwo geht meistens was.

Bei der Aufwindsuche verderben viele Köche ausnahmsweise nicht den Brei: Gemeinsam zu suchen, führt am schnellsten zum Erfolg. Etwa 15 Meilen vor Gap heißt es, die ATIS abhören, Funkkontakt mit dem Flugplatz aufnehmen und Abstände von zirka einer Meile zwischen den Flugzeugen einzunehmen. Heute ist die Piste 21 in Betrieb, was einen flachen Queranflug über abfallendes Gelände erfordert.

Zuladung: UL-Crews kämpfen häufig mit dem Limit

Wir reihen uns in den Platzverkehr ein. Jetzt ist exaktes und vorausschauendes Fliegen mit gleichbleibender Geschwindigkeit gefragt. Der Flugplatz Gap-Tallard ist die ideale Basis für unsere Unternehmungen. Er hat nicht nur eine Werft – bei so vielen Flugzeugen geht schon mal was kaputt –, sondern auch ein Hotel mit Fahrradverleih, Schwimmbad, Sauna und kabellosem Internetzugang. Gérôme Gallet, der Wirt des RésidenCiel, ist ein begeisterter Pilot und inzwischen unser Freund. Beim gemeinsamen Abendessen im Land-gasthaus La Micanelle tauschen alle angeregt ihre Erlebnisse aus. Auch das Thema Zuladung kommt zur Sprache: Da UL-Crews häufig mit dem Limit kämpfen, sind E-Klasse-Maschinen willkommen, um Gepäck abzunehmen. Diesmal wären noch Kapazitäten frei gewesen, wie die Frau eines TB-10-Piloten verrät: „Wenn ich gewusst hätte, dass wir doch nicht so viel mitnehmen müssen, wäre mein Schminkkoffer nicht zu Hause geblieben!“

Entspannte Weiterbildung: Auf dem Altiport La Motte-Chalançon beobachten Piloten den Start eines Kollegen (Foto: Günter End)

Der Montagmorgen beginnt mit einem ausführlichen Briefing. Dann tasten wir uns langsam an die Praxis heran: Platzrunden am 15 Minuten entfernten Sonderlandeplatz Aspres-sur-Buëch stehen auf dem Programm. Einige UL-Piloten wollen mehr. Carl Otto und ich fliegen mit ihnen zum Altiport La Motte-Chalançon. Wer hier mit etwas anderem als einem Ultraleichtflugzeug landen will, braucht eine „Autorisation de Site“, eine Platzeinweisung, die nur von einem dazu berechtigten französischen Fluglehrer erteilt werden kann. Unsere UL-Gruppe hat mit dem steilen, 600 Meter langen Grasplatz kein Problem.

Fliegen in Frankfreich: auf Englisch funkt an Frankreichs kleinen Plätzen niemand

Für den Rest der Woche nehmen wir uns Tagesaufgaben vor, die auf das Wetter abgestimmt sind. Ein Ausflug führt uns zum Flugplatz Saint Pons bei Barcelonnette. Davor überqueren wir den Lac de Serre-Ponçon. Der 20 Kilometer lange Stausee – 1960 zur Verhinderung der jährlichen Durance-Überschwemmungen angelegt – ist ein Anziehungspunkt für Wassersportler und Erholungssuchende. Im Gegenanflug auf Saint Pons, dicht am Hang, huschen die Hotels und Chalets unter unseren Flügeln durch. Wir melden brav „vent arrière“, „étappe de base“, „final“ und „piste dégagée“ (Gegenanflug, Queranflug, Endanflug, Piste verlassen) – auf Englisch funkt an Frankreichs kleinen Plätzen niemand.

Die Kleinstadt Barcelonnette ist eines der Verwaltungszentren im Département Alpes-de-Haute-Provence und hat mediterranes Flair. Einige der prachtvollen Villen stammen von Bürgern, die im 19. Jahrhundert nach Mexiko ausgewandert waren, dort zu Reichtum kamen und in ihre Heimatstadt zurückgekehrt sind. Von Barcelonnette aus steuern wir auf nördlichem Kurs St. Crépin an. Der Flugplatz am Westufer der Durance liegt auf 3000 Fuß, zwar 700 Fuß tiefer als unser Startflugplatz, doch dazwischen muss der Col de Vars überquert werden, ein 6920 Fuß hoher Pass.

Starke Turbulenzen im Queranflug und 20 Knoten Gegenwind im Endanflug erfordern volle Konzentration

Jetzt kommt es darauf an, unter Ausnutzung des Hangaufwinds die schwindenden Kräfte des Motors zu kompensieren. Auf keinen Fall sollte man die Passhöhe überfliegen, wenn nicht mindestens 1000 Fuß zusätzlicher Höhe zur Verfügung stehen. In sicheren 8500 Fuß lassen wir den Tête de Paneyron rechts an uns vorbeiziehen und beginnen mit dem Sinkflug. In St. Crépin zeigt der Windsack eine steife Brise.

Schnell mal ans Mittelmeer: Vom Flugplatz Gap bis zum Golfe de St. Tropez sind’s nur 125 Kilometer
(Foto: Günter End)

Starke Turbulenzen im Queranflug und 20 Knoten Gegenwind im Endanflug erfordern volle Konzentration und exaktes Fliegen. Ein Fußmarsch ins Dorf und hinauf zur Burgruine erlaubt uns, den Flugplatz noch einmal aus der Vogelperspektive zu betrachten. Überall liegt Lavendelduft in der Luft. Auf dem Rückweg nach Gap überfliegen wir die Festungsanlage Mont-Dauphin, eine von neun Festungen, die im Auftrag Ludwig XIV. zur Abwehr der savoischen Truppen Ende des 17. Jahrhunderts errichtet wurden. Zunehmende Vertrautheit mit dem Hochgebirge weckt bei den Teilnehmern des Flugsicherheitstrainings anspruchsvollere Wünsche.

Nach und nach kommen die anderen rein – am Ende stehen zehn Flugzeuge oben auf dem Abstellplateau

Aus dem Kreis der UL-Piloten kommt die Frage: „Wer fliegt mit uns nach Alpe-d’Huez?“ Alpe-d’Huez – das ist nicht nur ein berühmtes Etappenziel der Tour de France, sondern auch ein spektakulärer Altiport. Seine Schwelle liegt auf 5940 Fuß, das obere Ende auf 6100 Fuß. Dazwischen erstreckt sich eine 450 Meter lange Piste, deren Steigung bis zu 16 Prozent beträgt. Gemeinsam mit neun weiteren Maschinen nähern wir uns über das Drac-Tal dem Gebirgsdorf. Zwei Minuten vor dem Meldepunkt Whiskey versuchen wir, auf 120.60 MHz Kontakt mit der Flugleitung auzunehmen. Es ist niemand da; später erfahren wir, dass der Dienst auf dem Turm eingestellt wurde.

Zur Erkundung überfliegen wir die Piste in 6600 Fuß. Bei einem zweiten Anflug auf der vorgeschriebenen Route geben wir per Blindmeldung alle Abschnitte durch. Wir legen einen Punkt fest, an dem der Sinkflug beginnt, und einen weiteren, an dem wir die letzte Möglichkeit zum Abbruch sehen: zirka 300 Meter vor der Schwelle. Die letzte Rechtskurve, dann liegt die Piste vor uns. Abfangen, gleichzeitig Gas geben und mit viel Leistung im ansteigenden Teil der Piste aufsetzen – geschafft.

Landung der WT-9 Dynamic: Abfangen, gleichzeitig Gas geben und mit viel Leistung im ansteigenden Teil der Piste aufsetzen

Nach und nach kommen die anderen rein; am Ende stehen zehn Flugzeuge oben auf dem Abstellplateau. Die meisten von uns können ihr Glück kaum fassen. Am nächsten Tag wollen wir zum Mittelmeer. Von Gap aus folgen wir der Durance nach Süden. Sisteron gleitet unter uns durch, wir steuern das Digne-VOR an, passieren Puimoisson und steigen auf 5500 Fuß in Richtung Le-Luc-VOR. Von Marseille Information erhalten wir eine Freigabe für das Flugbeschränkungsgebiet an der Küste. Über dem Golf von St. Tropez gehen wir tiefer.

Neben dem Flugplatz La Môle erkennen wir auf einer Anhöhe das Schloss von Antoine de Saint-Exupéry. Eine sanfte Linkskurve, und unter uns liegt das azurblaue Mittelmeer. Zehn Minuten später landen wir in Cannes, wo wir mit 20 Euro Landegebühr wegkommen – erstaunlich wenig für einen Flughafen dieses Rangs. Ziele weiterer Ausflüge sind Fayence und Avignon. Doch abgegrast haben wir die Region damit noch lange nicht.

Text und Fotos: Günter End, fliegermagazin 1/2010

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