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Goodwood Revival 2012: Zeitreise mit historischen Flugzeugen

Rennen mit historischen Fahrzeugen, alte Flugzeuge am Boden und in der Luft, Akteure und Zuschauer in traditioneller Kleidung und ein Ambiente wie einst – das Goodwood Revival ist eine aufregende Zeitreise

Von Peter Wolter

Sie sind aber nicht in diesen Klamotten soeben hier gelandet, aren’t you?“ Der Mann, der mir im „Hurricane Café“ einen Platz neben sich und seiner Begleiterin anbietet, grinst, als ich mich setze. Er selbst trägt eine … ja, könnte eine historische Fliegeruniform sein, und erwartet jetzt offensichtlich eine Geschichte, warum ich einen alten Overall und eine Lederhaube mit Fliegerbrille trage. „Nein nein – aber gestern.“

Meine Antwort überrascht den Briten und freut ihn zugleich. Im Nu sind wir beim Thema: „… ah Limbach.“ Seine Slingsby T-61 A habe einen Stamo-Motor, und der sei ja so etwas wie ein Vorgänger des Limbach. Ein paar Sätze weiter sind wir bei seiner Uniform – „die hat mein Vater im Krieg getragen, er flog Spitfire“ –, und als ich mich verabschiede, besteht Peter White darauf, dass ich bei meinem nächsten Englandtrip unbedingt Enstone anfliegen müsse, da gebe es immer ein Bett und ein Dach überm Kopf „for you and your lady“. Einladender konnte die Sache nicht beginnen: Als wir am Vortag in Goodwood gelandet waren, brachte uns ein Soldat im Willys Jeep zum Begrüßungszelt für Piloten.

Battle of Britain Memorial Flight: die einzige flugfähige Lancaster in Europa, flankiert von zwei Spitfire (Foto: John Colley)

Locker bleiben! Und noch vor dem Aussteigen hatte das Revival eine Kostprobe seines Programms geboten: Militär? Nein, lachte der Fahrer, er wohne da drüben im Nachbarort und helfe hier bloß mit beim Revival. Die Uniform und der Jeep, das sei ein Teil der Show. Dass die gleich nach dem Aufstehen beginnt, merke ich am anderen Morgen im „Globe Inn“: Die Gemeinschaftsdusche auf dem Flur funktioniert nicht. Ein anderer Gast hilft bei der Fehlersuche, wortlos. Irgendwann zerrt er mit aller Kraft an einer Strippe – Pilot ist der nicht, so macht man jedes System kaputt. Doch jetzt geht die Dusche, und der Fremde sieht mich zum ersten Mal an: „Is the red Healey yours?“ Gemeint ist ein Austin Healey mit ausländischem Kennzeichen im Hinterhof des Pubs, in dem wir wohnen. Es scheint das Einzige zu sein, woran Besucher denken, wenn sie am Revival-Wochenende in Chichester aufwachen: Autos. Vielleicht auch Motorräder. Und Flugzeuge.

Historisches Spektakel am Fluplatz Chichester/Goodwood

Die Fahrt mit dem Shuttlebus vom Stadtzentrum zur Rennstrecke, die um den Flugplatz herumführt, lässt ahnen, dass es um mehr geht. Wir sitzen in einem alten Doppelstöcker, umgeben von Damen in gepunkteten Vierziger-Jahre-Kostümen mit Schleifen im Haar und Herren in klassischen Tweed-Jackets, auf dem Kopf Schiebermützen oder elegante Hüte. Einige tragen auch Uniformen, doch man sieht den Gesichtern an, dass hier keiner im Dienst ist. Wir kommen uns vor wie auf dem Weg zu einer Faschingsparty.

Um die Nordostkurve herum geht es in Richtung Fußgängertunnel, der ins Innere des Geschehens führt. Irgendetwas stimmt hier nicht … Oldtimer-Traktoren mit Anhängern fahren altmodisch gekleidete Zuschauer zu entfernt gelegenen Tribünen, ein kleiner Mann mit strähnigen gegelten Haaren und Reitpeitsche trägt eine italienisch aussehende Faschistenuniform (später erfahre ich, es sei auch jemand als Hitler zu sehen gewesen), Rocker mit ihren Bräuten, alle in nietenverziertem Leder, schlendern friedlich an Parka und Krawatte tragenden Mods vorbei; ein Hippie hält einen monströsen Joint in der Hand und grüßt mit Victory-Zeichen honorig wirkende Herrschaften, die aus einem Sherlock-Holmes-Film sein könnten …

Sämtliche Verköstigungsstände erinnern an längst vergangene Zeiten, Fish and Chips erhält man in Nachdrucken von Fünfziger-Jahre-Zeitungen; es gibt eine Vintage High Street mit Cafés und Geschäften wie in alten Tagen, darunter einen Tesco-Supermarkt mit original-verpackten Produkten aus den sechziger Jahren. Tausende von Hortensien schmücken das Gelände, sogar die Schikane vor Start und Ziel ist mit Blumen bepflanzt, wie früher; die Tribünen, die Boxen, das Fahrerlager – einfach alles sieht aus wie am Set eines historischen Films. Zum Drehbuch gehört offensichtlich der „Revival Guide to Dress and Style“, ein 100-seitiges Handbuch, „to make getting the right look easier, even for the non-fashionistas“.

Verwirrend: Barbarellas, Boxenluder, Stewardessen? Mit der DC-3 aus Schweden sind sie jedenfalls nicht gekommen (Foto: Peter Wolter)

Die Idee zu dieser jedes Jahr im September inszenierten Show hatte Charles Gordon-Lennox, Earl of March and Kinrara, gemeinhin Lord March genannt. Der 57-Jährige führt den Familiensitz Goodwood Estate, ein fast 5000 Hektar großes Areal im südenglischen West Sussex, zu dem unter anderem eine Pferderennbahn gehört, zwei Golfplätze, ein Flugplatz und der Goodwood Race Circuit. Lord Marchs Großvater Freddie March, ein Luftfahrtingenieur und Rennfahrer, hatte 1948 die Rennstrecke rings um den Flugplatz eröffnet, nachdem die Royal Air Force abgezogen war. Bis 1966 fanden hier Rennen statt, doch dann entsprach Goodwood nicht mehr den Anforderungen der Zeit. 1998 ließ Lord March die Rennstrecke wieder aufleben. Dabei achtete er darauf, dass alles exakt so restauriert wurde, wie es 1966 zurückgelassen worden war.

Als wir durchs Fahrerlager schlendern, dröhnt von der Start-und Ziel-Geraden ohrenbetäubendes Achtzylinder-Gebrüll herüber: Cobras! Aus Anlass des 50-jährigen Geburtstags dieses Sportwagens wurde der Shelby Cup ins Leben gerufen. Im Mai war Cobra-Schöpfer Carroll Shelby gestorben – ihm ist die Rennserie gewidmet. Der kleine englische Roadster mit dem großen amerikanischen Motor verkörpert wie kein anderes Fahrzeug die Sehnsucht nach Kraft und Schönheit, und gleichzeitig lässt er die Kehrseite ahnen, das unterschwellig lauernde Böse.

Als die Horde Richtung Südkurve verschwindet, ist es, als ob die Apokalypse gerade noch mal abgewendet wurde. Wie kultiviert wirkt dagegen der Ferrari 250 GTO mit seinem geschmeidigen Design, dem Zwölfzylinder-Motor mit kleinen Einzelhubräumen und obenliegender Nockenwelle. Auch diese Ikone des Rennsports ist 50 Jahre alt geworden und wird deshalb beim Revival gefeiert. Jeden Tag flanieren 15 Exemplare der italienischen Kostbarkeit über die Rennstrecke. Nur 39 GTOs wurden jemals gebaut, einer von ihnen wechselte jüngst für 35 Millionen Dollar den Besitzer – das teuerste Auto der Welt, früher gesteuert von der Rennfahrerlegende Stirling Moss.

Nachgespielt: So muss ein Alarmstart ausgesehen haben, als der Flugplatz noch Westhampnett hieß (Foto: Mike Caldwell)

Große Namen? Die Liste im 2012er-Programmheft ist beeindruckend: Rauno Aaltonen, Jochen Mass, Jackie Stewart, Jean Alesi, Derek Bell, Arturo Merzario (der Niki Lauda aus dessen brennendem Ferrari rettete) und viele mehr. Einige der Promis fahren selbst Revival-Rennen, allein bei den Autos sind acht Klassen am Start.

Die Zweirad-Zunft ist ebenfalls präsent, hat aber weniger Bedeutung als der Automobilsport. Dennoch: Wenn die Fahrer der Barry Sheene Memorial Trophy nach einem Le-Mans-Start mit Motorrädern aus den fünfziger Jahren um den Kurs heizen, ist das mindestens so faszinierend wie ein heutiges MotoGP-Rennen. BSA, Matchless, Gilera, MV Agusta, Norton, BMW, Velocette – hier knattern sie mit einem, zwei oder vier Zylindern um die Wette.Die Flugzeuge freilich haben da mehr zu bieten: Von den Maschinen, die am Battle of Britain Memorial Flight teilnehmen, hat keine einen Motor mit weniger als zwölf Zylindern. Zwei Spitfire flankieren dabei eine Avro 683 Lancaster. Im engen Verband zieht das Trio weite Kreise übers Gelände.

Für ein paar Minuten ist der Himmel die Bühne, auf der die Musik spielt, nicht die Rennstrecke.Westhampnett, wie der Flugplatz Chichester/Goodwood im Zweiten Weltkrieg hieß, war ein Schauplatz bei der Luftschlacht um England – da lag es auf der Hand, beim Revival an die Vergangenheit der britischen Luftwaffe zu erinnern. Sicher – fliegerisch bieten Duxford oder Old Warden mehr. Doch es ist schon außergewöhnlich, sieben britische Propellerjäger gleichzeitig am Himmel zu sehen oder ein Duo aus Mustang und Thunderbolt, vor allem wenn es sich um eine frühe, seltene P-47 „Razorback“ handelt, bei der die Rumpfkontur hinter der Kabine in einen hochgezogenen Rücken übergeht. Erst im April war die Maschine in Duxford wieder in die Luft gekommen, nachdem sie dort vor sechs Jahren zur Restaurierung eingetroffen war.

Einmal in einer Spitfire sitzen – Goodwood macht’s möglich

Auch eine fliegende Lancaster ist extrem selten. Von diesem viermotorigen Bomber, der seine Fracht vor allem bei Nachtangriffen über deutschen Großstädten abwarf, gibt es weltweit nur noch zwei flugfähige Exemplare – eins in Kanada und die in Goodwood gezeigte „Phantom of the Ruhr“, die in Coningsby stationiert ist. „Freddy March Spirit of Aviation“ heißt der Bereich zwischen Piste 14/32 und Fahrerlager, wo die Flugzeuge ausgestellt sind. Zu den Stars zählt hier eine Royal Aircraft Factory BE2c – obwohl es ein Nachbau ist. Das Original von 1914 hat Geoffrey de Havilland entworfen. Als Antrieb diente ein Achtzylinder-Reihenmotor mit 90 PS. Einige Exemplare des filigranen Doppeldeckers kamen 1914 mit der British Expeditionary Force nach Frankreich, wurden aber nicht im Luftkampf eingesetzt, da ihre Manövrierfähigkeit zu wünschen übrig ließ. Dafür schätzten die Piloten die hohe Flugstabilität bei Aufklärungseinsätzen.

Zurück in die Goodwood-Gegenwart. Hoppla, zur Seite! Wir steuern gerade den Ausgang an, da flüchtet ein offensichtlich prominentes Paar vor Paparazzi und kreischenden Fans durch den Fußgänger-Tunnel. Dann kommen wir an einer Baustelle vorbei, wo sich ein Arbeiter mit der Schaufel abrackert, von seinem Auftraggeber schikaniert, und woanders versucht ein Makler vor seinem Real-Estate-Pavillon, Besuchern Grundstücke aufzuschwatzen – die es in Wirklichkeit genauso wenig gibt wie die Baustelle und den Promi-Hype im Tunnel.

Passende Passanten: Die Dragon Rapide war bei BEA bis 1964 im Einsatz – ob Elvis jemals damit geflogen ist? (Foto: Martin Naß)

Alles Fake! Dafür zuständig ist die Goodwood Actors Guild, 80 Schauspieler, die Überraschungstheater aufführen und so aus einer bloß in der Vergangenheit schwelgenden Motorsportveranstaltung ein kulturelles Happening machen. Da kommt man ins Grübeln: die rumhängenden Rocker und die Bobbies, die sie vertreiben, der Airline-Kapitän mit den Stewardessen im Schlepptau, Hitler und Hippie: Sind das nun Besucher oder Profis? Wie auch immer – es geht um das Spiel mit Moden, Stilen und Accessoires, und weil so viele es spielen, möchte man kein Spielverderber sein.

Den alten Overall und die Lederhaube behalte ich an, als ich wieder ins Flugzeug steige. Hoffentlich haben die Abfertigungsleute in Calais schon mal was vom Goodwood Revival gehört.

Flugplatz Chichester/Goodwood: Informationen für Piloten

Flugplatz Chichester/Goodwood liegt in West Sussex, 5 NM nördlich der Küste. Der Platz hat drei gekreuzte Grasbahnen mit 613 bis 1300 Meter Länge. Eine Broschüre mit allen Infos für Piloten, einschließlich Lande- und Abstellgebühren bei Veranstaltungen (z. B. 220 Pfund für eine Cessna 172, 110 Pfund für ein UL) ist erhältlich unter www.goodwood.co.uk/downloads/aviation/2012-aviation-special-events-arrangements-v2.pdf.

Früh anmelden, der Vorverkauf 2013 läuft bereits! Auf dem Gelände gibt es 600 Plätze für Camper. Ein Platz misst 9 x 7 Meter und kostet 155 Pfund unabhängig von der Nutzung (mehrere Zelte, Wohnmobil). Nahegelegene Unterkünfte sind zu finden auf: www.visitchichester.org, www.chichesterweb.co.uk, www.visitsussex.org. Früh reservieren – Monate vorher ist alles ausgebucht! Weitere Infos zum Revival und anderen Events in Goodwood: www.goodwood.co.uk

fliegermagazin 12/2012

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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