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Internationale Motorflugrallye 2010: Tunesien

Endlose Steppen, karge Gebirgszüge, lebensfeindliche Wüsten – Fliegen in Nordafrika, das heißt: Abenteuer in fantastischen Landschaften. Teilnehmern der Tunesian Air Rallye wird dabei sogar die Organisation abgenommen

Von Redaktion

Überall Sand. Wir sitzen in der Falle. Himmel und Erde scheinen langsam zu verschwinden. Wie eine Schlinge hat sich ein ockerfarbenes Band um unsere Piper gelegt. In Flugrichtung müsste jetzt ein Gebirgszug auftauchen. Ich prüfe unsere Position auf der Karte, Michel Becarie, der als Pilot in Command links neben mir sitzt, starrt konzentriert ins diffuse Nichts vor uns. Umdrehen? Der Gedanke ist schnell verworfen – hinter uns liegt der Chott el Djerid, der größte Salzsee der Sahara; auch dort ist der Horizont verschwunden.

Plötzlich ein Schatten direkt vor uns. Wie durch einen Schleier ist ein Relief zu erahnen. Dann taucht ein kahler Bergrücken aus dem Sandmeer auf. Golden leuchtet er im Licht der tief stehenden Sonne, trotz seiner Kargheit wirkt er freundlich und einladend. Erleichterung. Der Spuk ist vorbei. Wir haben wieder Bodensicht. Die 27. Internationale Motorflugrallye von Tunesien führt uns in eine Welt aus Sonne, Sand und Salzwüsten. Teilnehmende Piloten können sich dabei ganz aufs Fliegen konzentrieren, so wie in den frühen Jahren der Luftfahrt: keine Überfluggenehmigungen, keine Zollformalitäten, keine Landegebühren, um die man sich kümmern muss. All das erledigt der Tunesische Luftfahrtverband R.A.I.T., Veranstalter und Organisator der Tour. Insgesamt 16 Maschinen sind diesmal dabei.

Überall Sand: Wie eine Schlinge hat sich ein ockerfarbenes Band um unsere Piper gelegt

Von der Hauptstadt Tunis aus führt die Route in neun Tagen über Tozeur und Djerba bis nach Monastir. Alle teilnehmenden Crews reisen mit ihren eigenen Maschinen an. Teilnahmebedingungen für die Flugzeuge: Abfluggewicht bis maximal 6000 Kilo, ein gültiges Lufttüchtigkeitszeugnis sowie eine gültige Versicherung und ein VHF-Funkgerät. Das ist alles. Auch ULs sind also willkommen, wenn sie die lange Anreise übers Mittelmeer nicht scheuen. Das Gesicht der Internationalen Motorflug-rallye ist Riadh El Fazaa. 1983 organisierte der Fliegerarzt und Pilot aus Tunis die erste Tour in seiner Heimat. Später folgten ähnliche Versuche in benachbarten Ländern.

Hollywood in Tunesien: Drehort für „Krieg der Sterne“ nahe Tozeur, im Film Anakin Skywalkers Heimatplanet Tatooine (Foto: Samuel Pichlmaier)

Außer der Rallye in Tunesien konnte El Fazaa aber nur in Ägypten eine vergleichbare Tour etablieren. Dort findet 2010 zum siebten Mal eine Motorflugrallye statt. Am Anfang von El Fazaas Erfolgsgeschichte stand die Idee, durch solche Veranstaltungen die private Luftfahrt in Tunesien zu fördern und Einheimische für die Fliegerei zu begeistern. Die Voraussetzungen für eine breit aufgestellte Privatluftfahrt, wie man sie in den meisten europäischen Ländern heute kennt, sind aber in erster Linie eine stabile Wirtschaft, Wohlstand und eine funktionierende Infrastruktur, also Flugplätze, Flugschulen und Luftsportvereine.

Zivile Luftfahrt in Tunesien: nur eine einzige private Flugschule

Bis heute gibt es in Tunesien jedoch nur eine einzige private Flugschule und sieben zivile Flugplätze, alle kontrolliert: Tunis, Monastir, Djerba, Tozeur, Sfax, Tabarka und Gafsa. Als achter Platz soll demnächst Enfidha in der Nähe von Hamameth hinzukommen. Die wenigen einheimischen Piloten sind nicht in Aeroclubs organisiert, haben meist eigene Maschinen und fliegen oft nur im Ausland. Daran konnte bislang auch die Internationale Motorflugrallye nichts ändern. Bewirkt hat sie aber etwas anderes: eine tiefe Verbundenheit vieler europäischer Piloten mit dem nordafrikanischen Land.

Die Rallye-Flieger kommen aus Italien, England, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz, aber auch aus Tunesien und Ägypten. Zuweilen wirkt die bunte Truppe wie eine verschworene Gesellschaft, eine Art „Flying Society“. Viele kennen sich seit etlichen Jahren und teilen einen reichen Schatz an gemeinsamen Erlebnissen. Neulinge sind aber sehr willkommen; sie werden herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen. Und das nicht nur beim Fliegen über den rauen Gebirgszügen, Steppen und Wüsten, sondern auch bei Wein und Dromedar-Gulasch nach tunesischer Art.

So viele Flugzeuge: Die Nachwuchs-Controller haben alle Prüfungstermine während der Rallye

Zumindest indirekt fördert die Veranstaltung die tunesische Zivilluftfahrt aber doch: Die Luftfahrtbehörde des Landes legt seit einigen Jahren alle Prüfungstermine für ihre Nachwuchs-Controller genau in jene Woche, in der die Rallye stattfindet. Einziger Grund: Zu dieser Zeit haben die Lotsen etwas mehr Flugbewegungen zu überwachen als sonst. Die Prüflinge können sich also bestens bewähren.

Afrikanisches Häusermeer: Das Zentrum von Gafsa liegt nur wenige Meilen nördlich des Chott el Djerid, des größten Salzsees der Sahara (Foto: Samuel Pichlmaier)

Wir steuern unser nächstes Etappenziel an: die Insel Djerba, tunesischer Vorposten im Golf von Gabès und beliebtes Urlaubsziel. Wir fliegen in östlicher Richtung. Weiter südlich verschwimmen Himmel und Horizont noch immer unter einem sandfarbenen Schleier. Irgendwo dort in der Ferne breitet sich die schier endlose Sahara aus. Im Norden erstreckt sich eine trockene, menschenleere Ebene.

Fliegen während der Rallye: Die Wegpunkte zwischen den Etappen müssen zu einem genau berechneten Zeitpunkt im Tiefflug passiert werden

Vor uns leuchten rotbraune Bergrücken, wie schlafende Riesenechsen liegen sie unter der brennenden afrikanischen Sonne. GPS-Navigation und gutes Kartenmaterial sind in dieser Gegend überlebenswichtig, mehr noch als anderswo. Schließlich wäre ein Irrflug über der Wüste und womöglich eine Notlandung wegen Spritmangels hier ungleich gefährlicher als in mitteleuropäischen Breiten, wo die Zivilisation meist nicht weit ist. VFR- und Anflugkarten für die Tour stellt der tunesische Luftfahrtverband zur Verfügung.

Präzise Navigation und eine gute Flugvorbereitung sind aber auch bei den Wettbewerbsaufgaben gefragt. Die Wegpunkte zwischen den Etappen müssen zu einem genau berechneten Zeitpunkt im Tiefflug passiert werden. Das Zeitfenster lässt nur wenige Minuten Spielraum für eine Suche nach den meist auffälligen Landmarken – bei schlechtem Timing droht Punktabzug. Trotz der ehrgeizigen Ziele, die man sich an jedem Morgen aufs Neue setzt, ist der Wettkampf eher ein freundschaftliches Kräftemessen. Im Vordergrund steht die gemeinsame Herausforderung über der Wüste, Erfahrungen auszutauschen und die anderen Piloten an den eigenen Erlebnissen teilhaben zu lassen.

Wunderschön: Im Anflug auf den Flughafen kommen wir noch einmal übers offene Meer

Jetzt haben wir die tunesische Mittelmeerküste erreicht. Staubiges Land mit spärlicher Vegetation trifft hier auf eine türkisfarbene Ebene aus Wasser, die sich bis zum Horizont erstreckt. Der zerfließt jetzt nicht mehr in Sandfarben, sondern in hellen Blautönen. Wir suchen die Küste nach einer markanten Ausbuchtung ab: der Hafen von Djerba, unser letzter Wegpunkt für den Navigationswettbewerb an diesem Tag. Ein einsamer rostbrauner Frachter am Kai, der seine Ladung wohl schon vor langer Zeit gelöscht hat, weist uns den Weg zum Hafenbecken.

Afrikanisches Häusermeer: Das Zentrum von Gafsa liegt nur wenige Meilen nördlich des Chott el Djerid, des größten Salzsees der Sahara (Foto: Samuel Pichlmaier)

Wir passieren es trotz einiger Unwegbarkeiten auf der zurückliegenden Strecke genau zum berechneten Zeitpunkt – etwas Glück gehört eben auch dazu. Entspannt blicken wir zurück auf den schmalen Wasserstreifen zwischen der Insel und dem afrikanischen Kontinent. Im Anflug auf den Flughafen kommen wir noch einmal übers offene Meer, unter uns schimmert es grün-blau, Untiefen bilden bizarre Formen auf dem sandigen Grund. Die Wüste scheint jetzt weit weg. Aber am Abend, bei einem Glas Wein und Meeresrauschen im Hintergrund, wird sie den Abenteuergeschichten des Tages eine feine sandfarbene Note geben.

Text und Fotos: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 1/2010

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