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Landung auf Ski in den Schweizer Alpen: Gletscherfliegen mit Piper PA-18 Super Cub

Einsame Schneefelder hoch in den Schweizer 
Alpen – was für Landeplätze, was für eine Kulisse! 
Unter Anleitung eines Gebirgspiloten werden 
die ersten eigenen Landungen und Starts auf 
einem Gletscher zum unvergesslichen Erlebnis

Von Redaktion

Du steigst jetzt vorne ein.“ Mein Herz schlägt schneller. Anschnallen. Motor starten. Noch bewegt sich die PA-18 nicht. Wir stehen am oberen Ende des Petersgrats quer zum Hang. Ringsum erheben sich die Gipfel der Berner Alpen, alle weit über 3000 Meter hoch. 10 170 Fuß zeigt der Höhenmesser vor mir an. Es ist das erste Mal, dass ich ein Flugzeug auf Ski steuere. Vom hinteren Sitz gibt mir Hans Anweisungen: „Du drehst die Maschine talwärts und gleitest los. Sobald wir 50 Meilen pro Stunde draufhaben, ziehst Du das Flugzeug leicht vom Schnee weg. Dann gleich nachdrücken und dem Hang folgen, bis Du etwa 70 Meilen abliest. Anschließend gehst du in den normalen Steigflug über. Dabei fliegst Du die ganze Zeit vom Hang weg.“

Knüppel nach hinten, Gashebel ein Stück nach vorn, wir rutschen los, Seitenruder voll links, wir drehen in Richtung Tal, jetzt Vollgas, Knüppel nachlassen – wir nehmen schnell Fahrt auf, das Heck kommt hoch, wie auf Schienen folgt die Piper den Landespuren, an denen ich mich orientiere. 50 Meilen, ich ziehe ganz leicht, wir heben ab, ich drücke nach, doch … Wir sind zwar gestartet, aber es geht nicht rauf, sondern runter, der Bodenabstand wird größer, obwohl wir keine Höhe machen – als ob eine große unsichtbare Hand den weißen Hang unter uns wegzieht. Bevor ich das Gefühl habe, richtig zu fliegen, öffnet sich unter uns ein luftige Nichts, das erst tief unten am Talboden endet. In Sekundenschnelle sind wir einige hundert Meter über Grund, ohne Steigrate und Höhengewinn, sondern vom Gelände geschenkt. In einem weiten Linksbogen fliege ich über das Lötschental hinaus und erlebe eine neue Dimension des Glücks.

Landung mit viel Gas: Hans Fuchs setzt seine PA-18 auf den Kanderfirn. Bei der ersten Landung wendet er oben und startet sofort durch (Foto: Christoph Barszczewski)

Als Hans Fuchs von meiner Leidenschaft fürs Gebirgsfliegen erfahren hatte, lud er mich ein, mit ihm ein paar Landungen auf Gletschern seiner Heimat durchzuführen und das auch selbst auszuprobieren. Meine Freude darüber, von dem erfahrenen Schweizer Gebirgspiloten in seiner PA-18 Super Cub mitgenommen zu werden, war riesig. Ein Aprilmorgen bei Hans in Hergiswil am Vierwaldstätter See. Beim Frühstück beobachten wir, wie sich trotz der vorhergesagten Hochwetterlage der Himmel zuzieht. Ein Mix aus Dunst und Nebel reicht bis in etwa 3000 Fuß Höhe, oben begrenzt von einer dünnen geschlossenen Stratusdecke. Wir fahren trotzdem zum Flugplatz Beromünster und versuchen unser Glück.

Plötzlich taucht vor uns die Silhouette der Berner Alpen mit den berühmten Bergmassiven auf: Eiger! Mönch! Jungfrau!

Gegen zehn Uhr starten wir mit der gelben Super Cub und kämpfen uns bei maximal fünf Kilometer Sicht nach Süden in Richtung Berge durch. Zwar sehen wir ab und zu über uns den Umriss der Sonne, die durch die dünnen Wolken scheint, aber es gibt keinen Ausweg nach oben. Erst am Rand der Berner Kontrollzone finden wir endlich einen aus der Suppe heraus. Plötzlich taucht vor uns die Silhouette der Berner Alpen mit den berühmten Bergmassiven auf: Eiger! Mönch! Jungfrau! Zwei Farbwelten, soweit das Auge reicht: unten Weiß und ein wenig Schwarz, oben sattes Blau, dazwischen die Zickzacklinien der Höhenzüge und Gipfel. Was für ein Kontrast zum unterirdischen Wetter bis vorhin!

Kurz blitzt die Sonne zu uns herauf, als Spiegelung im Brienzer See, und schon nähern wir uns überm Lauterbrunnental dem alpinen Dreigestirn, von dem bloß der Eiger die 4000-Meter-Marke um wenige Meter unterschreitet. Wir sind in einer anderen Welt. Es ist, als wohne man einer besonderen Vorführung bei, obwohl mir diese gewaltigen Felsmassive das Gefühl geben, zu etwas Vertrautem zurückzukehren. Doch diesmal sind sie nicht unser Ziel. Mein Kopf kommt kaum nach, als Hans auf verschiedene Winterlandeplätze zeigt, darunter Männlichen, angeklebt wie ein Adlernest an den Sattel des gleichnamigen Bergs westlich von Grindelwald, oder Blumental oberhalb von Mürren, eine Piste, die wie in einem überdimensionierten schneegefüllten Plantschbecken liegt.

Anflug aufs Wildhorn: Die sehr steile Landefläche liegt links unterhalb des 3248 Meter hohen Gipfels
(Foto: Christoph Barszczewski)

Der Piper-Pilot reichert den Zauber dieser Gegend durch Geschichten an. „Es gibt einen einzigen Piloten“, erzählt er, „der im Winter vom Männlichen fliegt – so kurz und schwierig ist die Piste. Er heißt Paul Schär. Als 20-Jähriger begann er bei seinem Onkel, dem berühmten Gletscherpiloten Ty Rufer, Versorgungsflüge zu übernehmen, das war vor vierzig Jahren. Jetzt zählt er zu den ältesten und erfahrensten Gletscherpiloten in der Schweiz. Im Winter bietet er vom Männlichen zwanzigminütige Rundflüge in diese imposante Bergwelt an.“

Mit konstanter Steigrate in der Super Cub über dem oberen Lauterbrunnental

Mit konstanter Steigrate über dem oberen Lauterbrunnental nähern wir uns dem ersten Ziel: Kanderfirn, ein Gletscher südlich des 3664 Meter hohen Blümlisalphorns. Immer mehr schließt sich das Tal vor uns zu einer Mauer, bis wir mit einer Rechtskurve in ein enges Hochtal ausweichen. Plötzlich liegt eine riesige weiße Fläche vor uns, der Gletscher. Am nordöstlichen Ende zeigen Spuren nahe der Mutthorn Hütte, dass wir heute nicht die ersten Piloten sind, die hier landen. Ohne diese Spuren und ohne Hinweise von Hans hätte ich überhaupt keine Idee, wo man in dieser Eis- und Schneewüste landen könnte. 


Der Anflug weicht deutlich von den Abläufen ab, die ein Pilot an normalen Plätzen gewohnt ist. Zunächst teilt Hans unsere Landeabsicht auf der Gletscherflugfrequenz 130.350 MHz per Blindmeldung mit. Er wählt den volleren Tank und magert den Motor optimal ab. Dann verschaffen wir uns eine Übersicht über die Verhältnisse. Dazu drehen wir mehrere Kreise in unterschiedlicher Höhe. Wie ein Indianer beim Spurenlesen scannt Hans den Gletscher ab: Wie ist die Beschaffenheit des Schnees? Gibt es Verwehungen? Vereiste Stellen? Spalten? Wie ist der Wind? Die Sicht? Das Licht? Ein letzter Überflug mit zehn Grad Klappen, nur 100 Fuß über Grund, verschafft uns Gewissheit, dass der Kanderfirn landbar ist.

Wir halten die Höhe, holen im Gegenanflug nach rechts aus und drehen in den Queranflug,

Wir halten die Höhe, holen im Gegenanflug nach rechts aus, drehen in den Queranflug, der nun lang genug ist, um den Windversatz zu checken, und kurven schließlich 90 Grad nach links in den Endanflug. Wie man die Höhe über Grund einschätzen soll, ist mir ein Rätsel – ähnlich einer Wasserlandung auf spiegelglatter Oberfläche bietet der Untergrund keinen optischen Halt. Deshalb nähern wir uns ihm mit konstanter Sinkrate bei 70 Meilen pro Stunde. Der Routinier auf dem vorderen Sitz fängt ab, schiebt das Gas nach, wir steigen … und setzen trotzdem auf. Mit erhöhter Leistung gleiten wir den Hang hinauf, doch oben angekommen, zieht der Pilot das Gas nicht raus, sondern dreht die Maschine in einem weiten Linksbogen um 180 Grad. Vollgas – und schon verlassen wir den Gletscher wieder. Aha!

Das macht der Meister anders, als es in den Büchern steht. Dort ist von Durchstarten keine Rede. Wir fliegen erneut an, das gleiche Prozedere wie zuvor, doch diesmal parken wir am oberen Ende des Gletschers. Was für eine Stille. Dann eine Überraschung: Vor uns tauchen vermummte Gestalten auf, eine militärische Skipatrouille aus Deutschen und Amerikanern beim Überlebenstraining. Ihnen verdanken wir, dass die Hütte offen ist. Wir gehen hinüber, und stärken uns. Hans erzählt mir, dass wir an einem historischen Ort seien: „Auf dem Kanderfirn hat Hermann Geiger 1952 seine erste Gletscherlandung gewagt. Danach ist er mit seiner Super Cub immer wieder hier gelandet und hat das gesamte Material zum Bau der Hütte gebracht.“ Mit Aktionen wie diesen hat sich der Schweizer Gletscherflugpionier einen legendären Ruf erworben.

Unterm Hochnebel durchs Kandertal: Beim Rückflug nach Norden schrumpft die Sicht wieder auf wenige Kilometer (Foto: Christoph Barszczewski)

Wir verlassen den Kanderfirn mit einem Steigflug dicht über den weißen Flächen des Petersgrats, der sich über mehrere Kilometer in Richtung Südwest-Nordost erstreckt. Oben ist der Bergrücken relativ flach, darunter geht er in die steilen Hänge des Tällingletschers über, noch weiter unten führt der felsige Abgrund ins Lötschental hinab. Auf dem Petersgrad liegt unser zweites Ziel. Wir überqueren ihn nach Südosten, entfernen uns etwas, drehen eine Linkskurve, bis die Piper parallel zum Hang ausgerichtet ist, dann kurven wir in den Anflug.

Die Bergkulisse wirkt wie ein statisches Bild – noch sind wir weit vom Gelände entfernt. Erst als wir den scharfkantigen Grat der Chrindelspitza überfliegen, verrät uns ein kurzes Schütteln den Wind. Wo bitte setzt man hier auf?, frage ich mich. Wie auf Bestellung entdecke ich einen kleinen gelben Punkt im Schnee. Auch hier sind wir nicht allein! Eine andere Piper steht bereits auf dem Gletscher. Erst ihre jetzt sichtbaren Spuren machen deutlich, wie steil der Hang ist, bevor er in den flachen oberen Teil übergeht.

Beinahe mit Vollgas, Umkehrkurve und durchstarten – der gleiche Ablauf wie auf dem Landeplatz zuvor

Nach ein paar Runden setzen wir relativ weit oben auf und gleiten weiter hinauf, diesmal beinahe mit Vollgas. Umkehrkurve und durchstarten – der gleiche Ablauf wie auf dem Landeplatz zuvor. Nach dem zweiten Anflug stellen wir die Maschine ab. Ein paar Schritte hinüber zu der anderen Piper, kurze Begrüßung. Hans kennt den Piloten. Zurück an unserem Flugzeug wackelt er am Flügel, um zu checken, ob die Ski in der Zwischenzeit am Boden festgefroren sind. Dann fordert er mich auf, vorn Platz zu nehmen – jetzt sei ich an der Reihe. Was ich erlebe, ist tatsächlich eine neue Dimension des Glücks.


Bei meinem ersten Anflug erweist es sich als unmöglich, die Höhe über Grund einzuschätzen. Die Devise lautet, einfach die richtige Anfluggeschwindigkeit und das richtige Powersetting einzustellen und zu warten, bis der Boden kommt. Na gut. Als der Boden dann da ist, schiebe ich Gas nach und runde zur Landung aus. Beim Gleiten nach oben bemerke ich, wie Hans eingreift und noch mehr Gas gibt. Kurz vor der Umkehrkurve erscheint mir die Geschwindigkeit etwas zu hoch. „Schaffen wir die Kurve?“ „Ja!“ Mit einer kleinen Korrektur der Power gleicht Hans meine fehlende Erfahrung aus. Bodenbeschaffenheit, Temperatur, Feuchtigkeit und Hangneigung – es reichen kleine Unterschiede, und die Sache gelingt oder eben nicht. Nach ein paar Landungen habe ich ein besseres Gefühl. Kein Wunder, dass die Schweiz mindestens 250 Gletscherlandungen mit einem dafür zertifiziertem Fluglehrer verlangt, bevor man die Prüfung für die Gletschererweiterung der Pilotenlizenz machen kann.

Mit absenkbaren Ski: PA-18-160 von Hans Fuchs (Foto: Christoph Barszczewski)

Es ist Zeit weiterzufliegen. Wir tauschen die Plätze, ich sitze wieder hinten. Am Wildhorn, 13 Kilometer nördlich von Sion, landen wir auf einer stark geneigten Fläche, vor der uns auch noch Abwind mit 700 bis 800 Fuß pro Minute erwartet. Es ist ein Riesenunterschied, ob hier der Wind wie heute von Westen kommt oder von Osten. Bei Ostwind geht’s im Endanflug mit der gleichen Vertikalgeschwindigkeit nach oben. Am Glacier de Tsanfleuron westlich der Diablerets landen wir mitten in einem Skigebiet. Auf einem gut gewalzten Weg erreichen wir nach zehn Minuten das Refuge l’Espace, eine kleine Hütte am Felsabbruch des Teufelsteins. Mit Gulaschsuppe gestärkt sind wir in einer anderen Welt, jener der Wintersportler. Die Urlaubsstimmung schwappt auch auf uns über, aber die immer öfter von unten heraufziehende Kondensation und zunehmende Wolkenbildung aus Norden lassen sich nicht mehr ignorieren: Zeit für den Rückflug!

Die Devise lautet, einfach die richtige Anfluggeschwindigkeit und das richtige Powersetting einzustellen und zu warten, bis der Boden kommt.

Als wir über die Gipfel gestiegen sind, sehen wir, dass der Weg nach Norden bereits durch Wolken versperrt ist. Hans dreht auf Ostkurs, er will’s über die nächstliegenden Pässe probieren. Ich würde ins Wallis umkehren, das noch offen ist. Doch Hans ist zuversichtlich; mit seiner Erfahrung findet er am Gemmipass eine kleine Lücke – in einer steilen Kurve tauchen wir unter die Wolken. Die oben grenzenlose Sicht beträgt auf einmal nur noch drei Kilometer. Um weiter Höhe abzubauen fliegt Hans ins Gastnertal ein, ein enges, wildschönes Seitental, das mir wie eine viel zu enge Schlucht vorkommt. Umkehrkurve und zurück ins Kandertal, durch das wir von Dunst umhüllt weiter nach Norden bis Beromünster fliegen. 25 Landungen haben wir an diesem Tag absolviert, 7 davon hat mir Hans überlassen. Lange habe ich mich noch gefragt, ob ich von dieser Tour tatsächlich schon wieder zurück bin, unten, auf dem Boden der Alltagsrealität.

Text und Fotos: Christoph Barszczewski, fliegermagazin, 1/2011

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