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Tannkosh 2010: Europas größtes Fly-in in Tannheim

Termin verschoben und trotzdem Pech gehabt mit dem Wetter. Aber sonst war Europas größtes Fly-in wieder ein Höhepunkt der Luftfahrt-Saison. Hier trifft sich alles, was fliegt – zum Staunen, Reden, Feiern …

Von Redaktion

Die Abstellfläche rund um das Red-Bull-Begrüßungszelt in Tannheim ist so etwas wie der Aero Shell Square in Oshkosh: die Bühne für die Aufsehen erregendsten Flugzeuge. Hier steht dieses Mal auch der Pietenpol Air Camper von Alan James. Vor zwei Jahren war der Parasol-Hochdecker noch weiter westlich in zweiter Reihe geparkt, irgendwo mitten unter den Besucher-Flugzeugen. Als ob niemand mitbekommen hatte, welches Juwel da gelandet war: Der offene Zweisitzer gilt als die Mutter unter den Selbstbauflugzeugen; seit 1929 sind Pläne erhältlich.

Tannkosh-Helfer Gregor Behling erklärt einem Gyro-Piloten den Weg zum Parkplat
(Foto: Christina Scheunemann)

Auch James hat sein Exemplar selbst gebaut. Nach dem Tannkosh-Besuch 2008 war beim Heimflug in Nordfrankreich die Kurbelwelle des Continental C-90 gebrochen, der Brite musste auf einem Acker bei Noyon runter, dabei knickte das rechte Fahrwerk ein. Doch James hatte genau den richtigen Acker getroffen – Eliane, die Besitzerin, lud ihn ein, in ihrem Haus zu übernachten. Wie ihre Schwester, mit der sie zusammen wohnt, war sie Stewardess bei Air France. Als sie den notgelandeten Air Camper auf ihrem Grundstück erblickt hatte, war sie gerade vom nahe gelegenen Flugplatz Roupy gekommen – wo sie ihre erste Flugstunde vereinbart hatte, mit über 60. Per Eisenbahn fuhr der Brite anderntags nach Hause, mit einem Anhänger kam er eine Woche später zurück, lud die beschädigte Maschine auf und brachte sie zu sich nach Reading.

Nach dem Tannkosh-Besuch 2008 war bei dem Pietenpol Air Camper die Nockenwelle gebrochen

Diesmal will der Air-Camper-Pilot seinen 500-Meilen-Rückflug in Nordfrankreich freiwillig unterbrechen: Er hat eine Einladung von Eliane und ihrer Schwester. Mit beiden ist Alan James inzwischen gut befreundet. Freunde gewinnen: Das fällt in Tannkosh leicht, auch ohne Notlandung. „In Tannheim ist man nie allein“, sagt Philipp Schmid, obwohl er mit einem Einsitzer gekommen ist. Von Reichenbach im Berner Oberland hat er nur eine Stunde und 25 Minuten gebraucht – Rückenwind mit 30 bis 40 km/h hat geschoben.

Am Morgen, so der Schweizer, sei der Fly-in-Besuch wegen des schlechten Wetters noch ungewiss gewesen, doch als er dann die Sonnenbrille aufsetzen musste, war für ihn klar: „So, jetzt weg!“ Bis zu 225 km/h schafft seine Kolibri, eine Holzkonstruktion des Eidgenossen Max Brügger. Angetrieben wird der winzige Tiefdecker von einem VW-Boxer mit 1600 Kubik. Ökonomisch reist man mit 160 bis 185 km/h. Obwohl das Flugzeug 1975 gebaut wurde und schon 2500 Stunden in der Luft war, sieht es aus wie neu. Nach Tannheim kommt Philipp vor allem, um seltene Flugzeuge zu sehen. Wie die gebaut sind – vor allem das interessiert ihn an den Exoten.

Zu denen gehören mittlerweile auch die Zlin-Ein- und Tandemsitzer der 26er Reihe. Bis in die siebziger Jahren mischten die tschechischen Tiefdecker in Kunstflugwettbewerben ganz vorne mit; tschechische Piloten holten damit mehrere WM-Titel. Wenn Paul Erhardt bei Tannkosh mit seiner Zlin 526 ASM erscheint, dann geht es genau darum: Kunstflug wie damals, und zwar auf höchstem Niveau. Damit, sagt der Aalener Fluglehrer, hebe er sich sowohl von Basis-Kunstflug ab, als auch von moderner Unlimited-Aerobatic.

Das Kunstflugteam AERO Gera führt gleich zwei Flugzeuge vor

Im Gegensatz zu den explosionsartigen, für das Auge kaum mehr nachvollziehbaren Bewegungsabläufen, die Extra-, Edge- oder Pitts-Piloten zeigen, haben Erhards Manöver gerade durch ihre Langsamkeit eine besondere Dramatik: Da sieht man als Zuschauer, wie die Ruder ausschlagen, da leidet man mit, wenn im Messerflug der spärliche Auftrieb des zunächst angestellten Rumpfs Grad für Grad gegen die Gravitation verliert. Oder man freut sich über den hohen Anstellwinkel im Rückenflug, weil dann offensichtlich ist, dass solche Maschinen nie gebaut wurden, um upside down genauso gut zu fliegen wie in Normalfluglage. „Viele definieren die Leistungsfähigkeit eines Kunstflugzeugs über die Rollrate“, sagt Erhardt, „dem kann ich nichts abgewinnen.“

Um das Material zu schonen, fliegt er vor allem die gestoßenen und gerissenen Figuren langsamer, als es im Handbuch steht. Die Zlin, erzählt Erhardt, habe für ihn eine besondere Bedeutung, weil sie das Kunstflugzeug seiner Jugend war und mit einem Verbrauch von gut 30 Litern im Reise- oder 50 Litern im Kunstflug noch bezahlbar ist. Mit ihrer runden Schiebehaube gleicht die Zlin 526 ASM der ebenfalls einsitzigen AFS – zwei dieser Flugzeuge hat das Kunstflugteam AERO Gera in Tannheim vorgeführt. Es sind die beiden einzigen AFS, die hierzulande noch für Aerobatic zugelassen sind.

Camper-Idylle: Barbara und Christian vor ihrer Rans S-7 mit Echo-Zulassung
(Foto: Christina Scheunemann)

Gegenüber der AS/ASM fallen die breiten Übergänge am Flügel auf; wer genauer hinsieht, erkennt gekürzte Flügel und zusätzliche Querruder am Innenflügel, wo die Spaltklappen entfernt wurden. Auch die Schnauze ist etwas kürzer. Zusammen mit zwei Zlin 226 T treten die Piloten aus Gera als Vierer-Formation auf. Höhepunkt dabei: die beiden AFS im Spiegelkunstflug. Als sie so ihre Bahnen ziehen, die eine auf dem Kopf mit abenteuerlichem Anstellwinkel dicht über der anderen, ist es, als ob eine grandiose Siebziger-Jahre-Band spielt: sehr bewegend, aber auch ein bisschen traurig, weil die Zeit längst vergangen ist, als man diese Kunst noch zu schätzen wusste.

Die Do-27 wird von einem 270 PS starken Lycoming-Sechszylinder angetrieben

Zeitlos zweckmäßig ist die Do 27 von Alfred Lepple: Lastesel, Schleppflugzeug, Passagier- und Absetzmaschine. Sie steht hinter einem Maisfeld, wo ihr Pilot sein Zelt aufgeschlagen hat. Lepple ist aus Tübingen gekommen, und weil er auch am Boden mobil sein möchte, hat er sein „Beiboot“ mitgebracht: ein neun PS starker Nachbau der Honda Dax. Der flotte Asphalt-Flitzer schafft bis zu 110 km/h, viel mehr als das Original. Per Flaschenzug hievt Lepple die 70 Kilo schwere Maschine in den Laderaum seines Hochdeckers. Der 48-Jährige hat den Spezialkran eigens konstruiert, um das Gefährt schnell und unkompliziert aus- und einladen zu können. Die Maximalzuladung der Do ist dabei kein Thema: Sie hat eine Abflugmasse von 1,74 Tonnen und wird von einem 270 PS starken Lycoming-Sechszylinder angetrieben.

Ganz ohne Flugzeug und Campingausrüstung besucht Manfred Woite das Fly-in. Der 65-Jährige ist ein Tannkosh-Enthusiast, der sich über jede Maschine freut, die über ihm zur Schwelle der Piste 27 schwebt und landet. Weniger beeindruckt scheint sein Mischlingsrüde Joy: Als sich der mit Spannung erwartete A380 nähert, hebt der Vierbeiner nicht mal die Schnauze vom Boden – die Mäusehöhlen vor der Schwelle interessieren ihn mehr als ein Riesenflugzeug. Dabei ist es für die meisten Besucher der Höhepunkt des Fly-ins!

Im Rahmen einer IFR-Trainingsrunde über Süddeutschland taucht der Lufthansa-A380 am Samstagnachmittag im Westen des Platzes auf. In Landekonfiguration. Tannkosh-Chefin Verena Dolderer, ganz aufgeregt über Funk: „Achtung, an alle: A380 im Anflug auf Tannheim! Das ist ja sooo geil!“ Wer jetzt nach Osten über das Gelände schaut, sieht in lauter Gesichter, deren Augen gebannt auf einen Punkt am Horizont starren, wie auf einen Außerirdischen oder eine göttliche Erscheinung.

Dramatische Stille: Viele haben die A380 noch nie live gesehen

Manche halten eine Kamera in der Hand und vergesssen zu fotografieren, viele haben den A380 noch nie live gesehen. Dramatische Stille. Nur das Rauschen der Rolls-Royce-Triebwerke wird langsam lauter. Auch für erfahrenere „Plane-Spotter“ ist es ein beeindruckender Anblick, als der Riese von der Sonne hell angestrahlt ins Final von Memmingen dreht, um auch dort nach einem Überflug wieder Gas zu geben und in den Wolken zu verschwinden. Ob der Airbus-Gigant je die Stückzahlen des zweisitzigen Doppeldeckers erreichen wird, der aus Österreich gekommen ist?

Die Polikarpow PO-2 gehört zu den am meisten gebauten Luftfahrzeugen, mit Stückzahlen, die noch über denen der Messerschmitt Bf-109 und der Iljuschin IL-2 Sturmovik liegen. Trotzdem gibt es heute nur noch fünf flugfähige Exemplare der Podwa („dwa“: russisch für „zwei“). „Typisch sowjetische Bauart“, erklärt Hans Drobilitsch, der den Veteranen mit sechs anderen Enthusiasten in einer Haltergemeinschaft betreibt. „Hier ging es vor allem um Massenproduktion, alles ist ganz simpel aufgebaut und normiert. Sehen Sie sich nur die Flügelsegmente an: alles identisch und austauschbar! Über Nacht hat die PO-2 neben einer Focke-Wulf Stieglitz gestanden, da sind die grundverschiedenen Philosophien im Flugzeugbau der damaligen Zeit gut zu erkennen gewesen.“

Erstaunlich: Die Polikarpow PO-2 gehört zu den am meisten gebauten Luftfahrzeugen

Zu Hause ist der Oldtimer mit Baujahr 1951 auf dem Flugplatz Wiener Neustadt West, dem größten Grasplatz Europas. Nicht ohne Grund: Bremsen hat die Podwa keine, nur einen Hecksporn. „Auf Asphalt oder Beton rollt man damit einfach immer weiter und weiter. Wir brauchen Gras und am besten gekreuzte Bahnen. Seitenwind mag die Podwa ebenfalls gar nicht!“, erzählt Drobilitsch. Trotzdem sei sie einfach zu fliegen – vielleicht auch bald nachts; an der Zulassung dafür arbeiten die sieben Betreuer der alten Dame bereits.

Zeitsprung in die Gegenwart: Renn-Atmosphäre bringt Verenas Bruder Matthias ins Fly-in, als der „local hero“ zeigt, was beim Red Bull Air Race mit einem Rennflugzeug möglich ist. Wie auf dem Parcours jagt er die modifizierte Edge 540 um fiktive Pylone und schlägt so enge Haken, dass man eine Ahnung von den Belastungen bekommt, denen ein Air-Race-Pilot und seine Maschine ausgesetzt sind.

Elegante Geschwister: Zlin-Formation AERO Gera beim Start (Foto: Christina Scheunemann)

Im Interview mit Moderator Peter Waldmann auf dem provisorischen Tower erzählt der Tannheimer Rennpilot von der letzten Saison. Über konkrete Pläne für das nächste Jahr, in dem kein Red Bull Air Race stattfinden wird, möchte er aber noch keine Auskunft geben. Während die Display-Piloten Applaus ernten, erledigen die heimlichen Helden der Veranstaltung ganz unauffällig ihren Job: die zahlreichen freiwilligen Helfer, ohne die Tannkosh nicht denkbar wäre.

Während die Display-Piloten Applaus ernten, erledigen die heimlichen Helden ihren Job: die freiwilligen Helfer

Gregor Behling ist einer von ihnen. 1996 war er das erste Mal als Besucher hier, 2006 das erste Mal als Helfer; da fiel er gleich auf, denn die meisten Freiwilligen sind aus der Gegend – Gregor kommt dagegen aus Strinz bei Mainz. Er nimmt sich extra Urlaub, um mitzumachen. „Nach neun Jahren wurde es mir als Besucher fast schon ein bisschen langweilig hier“, erzählt er. „Außerdem möchte ich Tannkosh etwas zurückgeben. Es steckt so viel Arbeit drin, und es macht Spaß, wenn man den ankommenden Piloten helfen kann.“

Tatsächlich ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie freundlich und locker die Helfer sogar dann bleiben, wenn bei einer Vorführung Stress aufkommt oder wenn, wie geschehen, ein Tragschrauber mit Dampf auf dem Rollweg unterwegs ist und der Pilot nicht genau weiß, wohin er eigentlich möchte. Keine Frage: Die großartige Leistung der Helfer trägt viel zum freundschaftlichen, fast familiären Geist von Tannkosh bei.

Immer mobil: Do 27 mit Honda-Dax-Motorrad – für die kurzen Strecken (Foto: Christina Scheunemann)

Der durchdringt auch den von Jahr zu Jahr größer werdenden Ausstellerbereich. Wer will, schaut sich dort Neuflugzeuge und Zubehör an, besucht einen Workshop, den Stand eines Luftsportverbands oder den Biergarten. Man kann aber auch einfach nur Flugzeuge gucken, am Boden und in der Luft, und sich auf den Abend freuen – denn Hand auf’s Herz: Eigentlich warten doch alle auf die Party! Davon gibt es jeden Abend genug, und immer mit Erkennungszeichen: Freitag im Festzelt, Einlass nur mit dem offiziellen Hut von Sponsor TUIfly, am Samstag mit Eintrittskarten und roten Blumengirlanden im Hangar. Nach der offiziellen Begrüßung durch eine glückliche Verena Dolderer geht die Party bei Livemusik bis in die frühen Morgenstunden – so, wie es sein muss.

Das Wetter am Sonntag verhindert einen Massenstart

Wer da nicht dabei ist, braucht gute Gründe, am meisten Verständnis gibt’s für den Heimflug. Bereits am Samstagnachmittag machen sich die ersten Piloten auf den Rückweg – die Wetterprognose verheißt für Tannheim und Umgebung am Sonntag zwar gute bis sehr gute Bedingungen, doch wer eine weite Strecke vor sich hat und nicht nach Süden will, muss mit Problemen rechnen. So hat das unbeständige Wetter auch etwas Gutes: Es kommt zu keinem Massenstart am Sonntagmorgen, das Feld ist bereits ausgedünnt, die Gefahr einer Kollision sehr gering. Die wird übrigens auch beim Anflug überschätzt: Ein bewährtes Anflugverfahren, professionelle Flugleiter und umsichtige Piloten tragen dazu bei, dass es nie wirklich eng wird. Also, Freunde: Tragt den Termin in Euren Kalender ein, sobald er fest steht, sagt alles andere ab und poliert rechtzeitig Eure Spinner – bis zum nächsten Mal!

Text: Martin Naß, Samuel Pichlmaier, Peter Wolter, Fotos: Christina Scheunemann, fliegermagazin, 10/2010

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