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VFR nach Marokko: In der Cessna 172 von Bielefeld nach Marrakesch

Am Nordkap waren sie bereits. Nun lockte die Sahara: 
Werner Rauschenbach und Jochen Schwinger flogen in neun Tagen von Bielefeld nach Marrakesch – und zurück

Von Redaktion

Welcher Kontinent liegt schon näher an Europa als Afrika? Es muss ja nicht gleich das Kap der Guten Hoffnung sein. Die marokkanische Wüste, eine andere Kultur, fremde Lufträume … das schien Jochen und mir Herausforderung genug. Ein halbes Jahr dauerte die Planung. Im Internet fanden sich erste Tipps (siehe unten). Am aufwändigsten war die technische Vorbereitung: Zwei neue Tiptanks à 44 Liter in unserer Cessna 172 garantieren, dass 239 Liter Avgas für sieben Stunden Flugzeit plus Reserve zur Verfügung stehen. Der Einbau soll die Zahl der Tankstopps deutlich reduzieren. Ein Hand-Notsender und ein Satellitentelefon geben Sicherheit, falls eine Notlandung im Niemandsland nötig sein sollte. Mit dabei: Jochens GPS als Backup für mein Navi, Reserverad, Handfunkgerät, Zündkerzen, Werkzeug, Öl, Ersatzbatterie und Fremdstromkabel für die Cessna; Zelt, Wasser und Schlafsäcke für uns.

Marokkanische Bauernhöfe: Die Gebäude liegen aneinandergereiht auf schmalen langen Ackerstreifen
(Foto: Werner Rauschenbach)

Am 31. März geht es los. Die Flugpläne haben wir am Vorabend online bei www.dfs-ais.de aufgegeben, weil der Flugplan nach Tanger 24 Stunden Vorlauf für die marokkanischen Einreisebehörden fordert. Die erste Etappe führt nach Saarbrücken, dann geht es in fünf Stunden das Rhônetal entlang. Die französische Mittelmeerküste liegt unter uns, die Pyrenäen wolkenverhangen südwestlich – wir umfliegen sie einfach. Im spanischen Girona, unserem Zielort, fällt sintflutartiger Regen. 700 Meter waten wir über teils knöcheltief geflutete Rollwege zum Turm: Im zweiten Stock erfahren wir, dass die Landegebühr bei sofortiger Zahlung doppelt so teuer wäre, als wenn wir sie morgen vor dem Abflug bezahlen. Also Treppe runter und ab ins Hotel.

Auch am nächsten Tag Regen. Ein Kunststück, zum Flieger zu gelangen: Das Bodenpersonal will unsere Flugtickets sehen und partout nicht verstehen, dass wir selbst die Piloten sind – seitdem habe ich immer eine Kopie des PPL im Portemonnaie. Um 9.56 Uhr sind wir airborne. Das Wetter ist durchaus fliegbar, aber von Spanien sehen wir zunächst nicht viel. Überall ist Dunst, der sich erst nach zwei Flugstunden kurz vor Valencia lichtet. Die Reise verläuft problemlos, der Flugplan liegt überall vor: „D-VT, buenos dias, no traffic reported“. Eigentlich wollen wir uns das neue Sonnenkraftwerk in der Sierra Nevada ansehen. Aber die Berge haben hier eine stattliche Höhe, die Bewölkung liegt auf, so dass wir wieder entlang der Küste fliegen. Als das Wetter in den Bergen besser wird, gehen wir auf direkten Kurs nach Jerez. Nach fast sieben Stunden ohne Zwischenstopp fahren wir erstmal ins Hotel. Nach einer Erholungspause geht es zurück zum Flugplatz: Bei „Fly in Spain“, einer in Jerez ansäßigen Flugschule mit Reiseangeboten, holen wir uns noch Tipps für Marokko. Wir kriegen unter anderem Telefonnummern für eventuell nötige Flugplanänderungen – in Marokko haben Flugpläne nur ein Zeitfenster von einer halben Stunde.

Wir zahlen die Landegebühr und besprechen unseren Flugplan nach Marrakesch mit dem Flugleiter

Endlich bestes Flugwetter beim Aufwachen – wir starten in Richtung Tanger. Über der Meerenge von Gibraltar schickt uns die Flugsicherung nach Südwesten auf das offene Meer hinaus, bevor wir nach Osten Richtung Tanger abbiegen dürfen. Die Landung dort ist obligatorisch, da die Einreiseformalitäten anstehen. Zwei Zöllner kommen vom Hauptgebäude zu Fuß zum Abstellplatz und holen uns ab. Dann geht es zum Tower, die Zöllner verschwinden mit den Pässen. Wir zahlen die Landegebühr und besprechen unseren Flugplan nach Marrakesch mit dem Flugleiter. Es fehlen Wegpunkte auf der Route, die er gern im Flugplan genannt haben will, die aber nicht in unseren TPC-Karten stehen. Er trägt die Meldepunkte von Hand ein. Der Chef der Zollkontrolle überreicht uns persönlich die frisch gestempelten Reisepässe und erklärt, dass wir diese stets mitführen müssten. Einmal nachtanken – und weiter geht es nach Marrakesch.

Zunächst geht es auch hier entlang der Küste. Bald tauchen erste Gehöfte auf. Dann gestattet uns der marokkanische Controller in allerbestem Englisch das Abbiegen ins Landesinnere. Das ist viel fruchtbarer und feuchter, als wir es erwartet haben. Vom Flachland kommend wird es langsam hügeliger, karger und ärmer. Die Berge sind nicht felsig und zackig, sondern sandig-weich geschwungen – ein wunderschöner Anblick. Wir nähern uns Marrakesch. Die Höfe werden größer und ansehnlicher, nicht viel weiter boomt der Großstadtbau. Marrakesch Tower lässt uns direkt über der riesigen Stadt anfliegen, was in wenigen Minuten einen tollen Überblick ermöglicht. Typisch sind hohe Gebäude mit flachen Dächern; Armut und Reichtum sind auch aus der Luft deutlich zu erkennen und liegen oft unmittelbar nebeneinander.

Vorfreude: Werner Rauschenbach (links) und Jochen Schwinger vor dessen Cessna 172, dem Reiseflugzeug (Foto: Werner Rauschenbach)

Der Flugplatz wirkt orientalischer als Tanger. Ein Taxi, bei dem wir den Preis bestimmen können („Wie viel kostet das?“ – „Was möchten Sie bezahlen?“) bringt uns in ein zentral gelegenes Hotel. Unser erster Eindruck: Hier läuft manches anders, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Jochen meint zwar, der Weg ist das Ziel, doch der vierte Tag ist komplett flugfrei. Wir erkunden die Stadt: erst die nähere Umgebung zu Fuß, dann nehmen wir eine Pferdekutsche. Es geht vorbei an dürstenden Eseln, die Karren mit Baumaterial ziehen und liebevoll angelegten Parks, die dank Bewässerung herrlich grün sind. Auf dem ehemaligen Henkersplatz beobachten wir Einheimische beim Shopping. Ich suche nach den Gewürzen, die meine Frau geordert hat, Jochen verhandelt mit einem Teppichhändler und lässt sich von Gauklern sogar Schlangen umlegen.

Eigentlich wollen wir direkt nach Fes fliegen, doch die freigegebene Route soll bis 40 Nautische Meilen vor Tanger führen und danach wieder eineinhalb Stunden zurück nach Fes. Das ist uns zu lang, wir beschließen, in Tanger zu übernachten. Auf dem Flug passieren wir den seit 2005 still gelegten Militär- und Space-Shuttle-Flughafen Ben Guerir, der wechselweise von der US Air Force und der Königlichen Marrokanischen Air Force genutzt wurde. Hinter uns liegt der schneebedeckte Hohe Atlas. Eine kleine Unstimmigkeit mit der Flugsicherung ergibt sich, als ich LEMDI melde: „D-EHVT position LEMDI in 3000 feet“. „That’s not LEMDI“, kommt es freundlich, aber bestimmt zurück.

Zwei neue Tiptanks in unserer Cessna 172 garantieren, dass Avgas für sieben Stunden Flugzeit zur Verfügung steht

Mir schwant, was falsch gelaufen ist: Die Meldepunkte sind ja von Hand eingezeichnet, dabei hat sich der Platzleiter wohl um einige Meilen vertan. Ich erkläre das und erfahre, dass LEMDI wirklich zehn Nautische Meilen nordöstlich liegt – wir dürfen weiterfliegen. In der Platzrunde über Tanger sieht man gut, dass auch diese Stadt in alle Richtungen wächst, mit Neubauvierteln in einem aus Europa unbekannten Ausmaß. Der König selbst wirbt auf Plakaten für neue Residenzen im „Blumental“ Marokkos. Die Straßen sind voller Menschen, wir schlendern herum, in den Kneipen drängeln sich Massen vor Bildschirmen – die marokkanische Nationalmannschaft spielt gegen Barcelona Fußball. Im Hotel ist eine Hochzeitsgesellschaft eingetroffen, es wird lange gefeiert, doch uns stört das nicht.

Leckerbissen: Auf dem Markt von Marrakesch gibt es gleich bergeweise Früchte aus dem Umland
(Foto: Werner Rauschenbach)

Heute geht es zurück über die Meerenge von Gibraltar. Ein letzter Blick auf Marokkos einsamen Atlantikstrand – dann taucht rechts vor uns im leichten Dunst Europa auf. Wir fliegen an Cádiz vorbei, entlang der spanischen Südküste geht es gen Westen Richtung Cabo de São Vicente. Der Guadiana-Fluss bildet die Grenze zwischen Spanien und Portugal, wir passieren den Flugplatz Faro und die prächtigen Felsen der Algarve. Die vom Meer ausgespülten Katakomben wirken vom Festland nicht so imposant wie aus dem Flugzeug. Sogar das alte Haus direkt auf dem Strandfelsen von Carvoeiro, mit dessen Kauf meine Frau und ich vor 20 Jahren geliebäugelt hatten, ist noch da. Wir gehen auf Kurs nach Lissabon, dem Etappenziel. Die Westküste Portugals ist rauer als der Süden, die Wellen heftiger und die Besiedlung geringer. Wer einsame Strände sucht oder windsurfen will, ist hier an richtig.

In Lissabon schickt uns der Controller in den Endanflug zur „032. Alles klappt wie am Schnürchen: Ein Follow-me holt uns ab. Doch dann macht es sein Licht aus, wendet und verschwindet. Wir stehen mit laufendem Motor auf dem Rollweg und harren der Dinge … Nach zehn Minuten frage ich bei Ground nach, was los sei. Ein peinlich berührter Lotse erklärt, Lissabon werde gerade umgebaut und habe leider keine Parkmöglichkeiten für uns, falls wir über Nacht bleiben wollten. Wir sollen zum benachbarten Cascais weiterfliegen. Doch vorher müssen wir noch die Landegebühr bezahlen, 199 Euro und eine Handling-Gebühr in Höhe von 149 Euro. Uns bleibt die Luft weg … das für einen Kurzaufenthalt von gerade mal einer halben Stunde.

Doch es gibt auch eine positive Seite: Wir fliegen nochmal tief über die portugiesische Hauptstadt. Nach neun Minuten sind wir wieder unten und finden ein schönes Hotel. Überdies ist Cascais ein herrlicher Ort am Meer, den wir sonst nicht kennen gelernt hätten … Am siebten Tag steht die Besichtigung von Lissabon auf dem Reiseplan: Wir steigen in Cascais in die S-Bahn und erreichen ohne Umsteigen direkt die City. Ein Paradies für Straßenbahn-Oldtimerfans, die alten Wagen sind hier im täglichen Einsatz. Am nächsten Tag geht es die Küste entlang nach Norden Richtung Spanien und Frankreich. Wir landen zum Tanken in Asturias und nehmen Kurs auf Biarritz. Wolken türmen sich bedrohlich, doch nur in den Pyrenäen liegen sie auf, über dem Meer passen die Untergrenzen. 


Raue Pracht: Die Felsen der portugiesischen Küste wirken aus der Luft besonders beeindruckend
(Foto: Werner Rauschenbach)

Unser letzter Flugtag: In Biarritz sind die Abfertigungsbüros zwar offen, aber erst ist niemand da – so früh am Morgen erwartet man wohl keinen Start. Das Wetter ist immer noch schlecht, wir verzichten auf den Überflug der Düne von Pyla bei Arcachon und ändern den Flugplan von Clermont-Ferrand auf Alès – nördlich der Pyrenäen geht es Richtung Mittelmeer. Biarritz-Info bietet den kürzesten Sprechfunk der Tour: „DEHVT, bonjour“ – „DEHVT identified“. Die Controller informieren uns über Gewitter und arrangieren den nötigen Durchflug durch die Kontrollzone von Carcassonne, da das Wetter im Montagne Noire (Schwarzes Gebirge) dem Namen Rechnung trägt. Wir schwenken ins Rhônetal, dann glitzert der Rhein unter uns: Nach neun Tagen sind wir zuhause.

Fliegen in Marokko: Tipps und Infos

Streckenplanung: Die Route wurde mit NavBox Quick Plan zusammengestellt, doch kurz hinter Casablanca hört dessen Flugwelt auf. Die Piloten behalfen sich mit amerikanischen TPC-Karten militärischen Ursprungs, die zwar seit 15 Jahre nicht aktualisiert sind, doch günstig und sofort lieferbar waren. Sie wurden eingescannt und ins Flymap L geladen.


Vorbereitung: Auf www.eddh.de gibt es im Unter-punkt Equipment einen ins Deutsche übersetzten VFR-Guide Marokko zum Herunterladen. Er bietet einen guten Überblick über Details von der Flugplanaufgabe über Meldepunkte bis zu den mitzuführenden Papieren. Die komplette AIP Marokko steht kostenlos im Internet unter www.onda.ma/sia-maroc/ zur Verfügung, hier gibt es auch Übersichts- und Anflugkarten.


Unterkunft: Sowohl in Tanger als in Marrakesch muss man kein Hotel vorbuchen, sondern kann vor Ort nach einer passenden Unterkunft fragen. Das hat den Vorteil, dass man die Route kurzfristig ändern kann.

Text und Fotos: Werner Rauschenbach, fliegermagazin, 6/2011

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