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fliegermagazin-Leserreise USA: Im Tiefflug über New York

Mit neun Cirrus SR22 erkundeten 17 Leser im Oktober 2022 den Nordosten der USA. Sie erlebten die einzigartige Herbstlaubfärbung des Indian Summer und einmalige fliegerische Freiheit.

Von Thomas Borchert
Kaum zu glauben Beim Flug durch den Hudson River Corridor scheinen die Hochhäuser von Mid- town Manhattan mit dem Empire State Building (rechts) zum Greifen nah
Kaum zu glauben Beim Flug durch den Hudson River Corridor scheinen die Hochhäuser von Mid- town Manhattan mit dem Empire State Building (rechts) zum Greifen nah.

Wir kommen übers Wasser von New Jersey – und ganz langsam werden die Wolkenkratzer am Horizont größer. Diesen Anblick würden wohl die meisten Menschen erkennen: Vor uns taucht New York City auf. Es ist einfach nicht zu fassen, wie einfach das hier läuft: Wir fliegen unter dem Luftraum der Airports JFK, Newark und La Guardia in 1100 Fuß. Keine Freigabe, keine Lotsen, einfach nur eine gemeinsame Frequenz, auf der sich alle melden – und auf der nicht einmal viel los ist.

Das werden wir ändern: Mit den neun Cirrus SR22 unserer Leserreise sind wir auf dem Weg in den Hudson River Corridor, wie dieser besondere Luftraum heißt. Zwischen 1000 und 1300 Fuß kann er einfach so durchflogen werden, man muss nur über dem Fluss bleiben. Wer kreisen will, sinkt unter 1000 Fuß – dort fliegen auch die Sightseeing-Hubschrauber.

Mit dem fliegermagazin auf Leserreise in den USA

Die Verrazzano Bridge am New Yorker Hafeneingang ist der erste Pflichtmeldepunkt. Reimer, der heute vorne links sitzt, meldet: »Blue and silver Cirrus, Vee Zee bridge, northbound, 1100.« So soll man es machen, haben wir im Onlinekurs gelernt, den die US-Luftfahrtbehörde FAA für alle vorschreibt, die den Korridor befliegen wollen. Und da sind auch schon die Hochhäuser, die jeder kennt. Wir sind so nah dran, dass One World Trade Center, Empire State Building und das Chrysler Building kaum aufs Foto passen. Da hinten ist Chinatown, der Central Park, der Flughafen von La Guardia. Ziemlich genau unter uns muss Sully seinen Airbus gewassert haben – auch unvorstellbar. Reimer meldet »GWB«, also die George Washington Bridge. So schnell sind wir vorbei an der Metropole.

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Aber kaum haben wir den Korridor nach Norden verlassen, drehen wir um und fliegen ihn nach Süden erneut ab. Die anderen in der Gruppe kommen uns nun am gegenüberliegenden Flussufer entgegen. Alles ganz easy.

An der Freiheitsstatue sinken wir auf 800 Fuß für einen Vollkreis, dann geht es wieder nach Norden. Dreimal den Korridor entlang – das reicht, wir machen uns auf den Weg zu unserem wolkenverhangenen Tagesziel North Adams in Massachusetts.

Wie kam es zur Idee der USA-Leserreise?

Rückblende: EAA AirVenture in Oshkosh 2021. Ich mache einen fliegermagazin Podcast mit Airshow-Pilot Michael Goulian. Als Kunstflieger und Red Bull Air Race Pilot ist er weltbekannt. Nach der Aufnahme kommen wir ins Gespräch, ich erzähle von den USA-Reisen, die wir für unsere Leser an der US-Westküste veranstaltet haben. Immer das gleiche Konzept: Wir chartern neue Cirrus SR22, an Bord sind aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz entweder zwei Piloten oder ein Pilot und seine Begleitung, dazu ein US-amerikanischer Fluglehrer. Das sorgt für Sicherheit und Spaß, es ist dadurch völlig egal, wie viel Cirrus- oder USA-Erfahrung die Teilnehmer mitbringen. Alle Crews »können« dank Lehrer gleich viel.

Neuengland pur Cape Cod mit den vorgelagerten Inseln Nantucket und Martha’s Vineyard ist so etwas wie das Sylt der USA – nur größer und teurer.

Michael versteht das Konzept sofort – und ist begeistert. »Das machen wir auch«, sagt er, holt seine Frau Karin dazu und erzählt von seiner Flugschule Mike Goulian Aviation (MGA), die im Großraum Boston aktiv ist, mit Basis in Plymouth, Massachusetts, wo die beiden wohnen. Schnell ist die Idee geboren: Im Oktober 2022 soll es los gehen, durch den gesamten Nordosten der USA, Neuengland-Charme, Herbstlaub und New-York-Flug inklusive. Ein halbes Jahr später steht der Plan und die Reise ist mehrfach überbucht. Und nochmal neun Monate später beschnuppern sich 17 Teilnehmer, neun Fluglehrer und das MGA-Team beim Welcome-Dinner in Plymouth, nur ein paar Stunden nach der Ankunft in Boston.

Das Wetter wird richtig mies

Wir haben viel vor und wollen in acht Tagen mehr als 20 Flugstunden zusammenbekommen. Also versammeln wir uns am nächsten Morgen erstmal im luxuriösen Hangar von MGA zwischen geparkten Cirrus SR22 der Generation 6, mit denen wir später fliegen wollen. Briefings über die Route und deren Besonderheiten sowie das Fliegen in den USA bringen alle noch näher zusammen.

Am Nachmittag ist nur ein kleiner, aber landschaftlich beeindruckender Hüpfer entlang der Landzunge von Cape Cod auf die Atlantik-Insel Nantucket dran, deshalb bleibt Zeit für ein paar Platzrunden. Tatsächlich ist in der Gruppe alles dabei vom Fluganfänger bis zum Cirrus-Besitzer. Die Fluglehrer passen sich schnell an ihre Crews an. Allerdings wissen wir schon am Abend: Das Wetter wird richtig mies. Böen bis 40 Knoten und mehr, dazu niedrige Wolken.

Verpflichtender Onlinekurs der FAA

Also spielen wir den Vorteil eines Fluglehrers in jeder Maschine am nächsten Tag voll aus: Es geht IFR weiter. Eigentlich soll das Wetter im Raum New York so weit aufklaren, dass wir wie seit Monaten geplant den Korridor fliegen können. Doch das wird nichts an diesem zweiten Tag der Reise. Also Mittagspause in Poughkeepsie – an die indianisch beeinflussten Namen vieler Orte und deren Aussprache muss man sich erstmal gewöhnen.

Zentrum der Macht: Auf der Golfcart-Tour durch Washington stoppt die Gruppe auch vor dem Kapitol, dem Sitz des Kongresses.

Aber wir haben noch Großes vor – und fliegen deshalb trotz bestem Wetter wieder nach IFR: Washington Dulles International ist unser Ziel. Ja, der ganz große Flughafen der US-amerikanischen Hauptstadt. Überhaupt kein Problem, der Umgang mit der nach 9/11 eingerichteten Sicherheitszone SFRA über der Region ist IFR allerdings viel einfacher. Auch das haben wir in einem weiteren verpflichtend vorgeschriebenen Onlinekurs der FAA gelernt.

Wir rollen an der A340 »Konrad Adenauer« vorbei

Erst wird uns die etwas abgelegene Piste 19R zugewiesen. Aber Fluglehrer Gordon kennt ein paar der Lotsen und hat uns angekündigt. Plötzlich kommt für alle neun Flugzeuge der Wechsel auf die 19C, also die mittlere Bahn. Im Anflug fliegt links von uns eine Boeing 777 und rechts ein Airbus. Und am Boden rollen wir an der A340 »Konrad Adenauer« der deutschen Flugbereitschaft vorbei. Christian Lindner besucht eine Tagung des Weltwährungsfonds. Die Maschine ist kaputt, wie wir erfahren, Lindner fliegt mit der Linie zurück. Wir hätten uns wohl nicht so sehr darüber lustig machen sollen, wie sich zeigen soll …

Nicht mal 50 US-Dollar: Die Landegebühr auf Washington Dulles International,
dem Flughafen der Hauptstadt, war für deutsche Verhältnisse lächerlich.

Im General Aviation Terminal genießen wir Kaffee in einer riesigen Lobby, dann geht es in die Hauptstadt. Stilecht: Wir haben fünf große Geländewagen mit Fahrern gechartert. »Das sieht aus wie die Wagen- kolonne des Präsidenten«, scherzt Fluglehrerin Tara.

»Take me home, country road …«

Am nächsten Morgen teilt sich die Gruppe: Eine Hälfte besichtigt die Stadt auf einer Golfcart-Tour, die andere die Außenstelle des National Air & Space Museums am Airport. Kapitol, Weißes Haus, Lincoln Memorial, Washington Monument – es ist eine Stadt voller erhabener Bauten. Aber auch mit einem coolen Nachtleben, wie wir am Abend zuvor gelernt haben.

Doch für uns heißt es am Nachmittg »Take me home, country road …« Obwohl wir natürlich fliegen, nicht fahren. Aber eben über den Shenandoah River in die Blue Ridge Mountains. Auf dem Flug nach Wytheville, Virginia, bewundern wir zum ersten Mal das knallbunte Herbstlaub in den Appalachen.

Lunch in der Fly-in-Community Mountain Air

Das nächste Abenteuer wartet: Lunch in der Fly-in-Community Mountain Air in North Carolina. Auf einen 4432 Fuß hohen Berg passen gerade so ein Golfplatz, eine Landebahn und natürlich luxuriöse Wohnhäuser. Der Anflug ist turbulent und wirklich nicht ganz ohne. Die Bahn steigt steil an, raus geht es in der Gegenrichtung. Aber was für ein Erlebnis, hier zu landen – und dann noch bei dieser Laubfärbung um uns herum!

Mitten im schönsten Herbstlaub liegt auf einer Bergkuppe in 4432 Fuß Höhe die Fly-in-Community Mountain Air. Die 884 Meter lange Bahn steigt in Richtung 14 steil an, links und rechts der Schwelle liegen Hügel.

Ortswechsel am Nachmittag: Wir machen einen Sprung an die Küste, auf die Outer Banks. Das Ziel ist ein winziges Nest, dessen Name jeder kennt: Kitty Hawk. Direkt neben dem Ort, an dem die Gebrüder Wright 1903 geflogen sind, landen wir auf der Piste des First Flight Airstrip. Am Abend fliegen wir die Maschinen noch auf den zehn Minuten entfernten Platz Manteo, dann soll es eigentlich ins Hotel am Meer gehen. Doch die Lästerei über den Regierungsflieger holt uns ein: Fluglehrer John meldet Probleme mit einem der Zündmagnete. Kein Zweifel: Das Ding ist hin.

Das Ersatzteil wird von Cirrus eingeflogen und eingebaut

Auf der Fahrt ins Hotel werden gleich alle Kontakte bei Cirrus Aircraft involviert. Wenigstens gibt es am Platz einen Mechaniker, der einen neuen Magneten einbauen könnte. Aber der muss erstmal herkommen.

Auf der Kuppe von Mountain Air: 17 Teilnehmer und neun US-Fluglehrer werden während der Reise zu einer eingeschworenen Gemeinschaft.

Am nächsten Morgen wird das Ersatzteil von Cirrus eingeflogen und gleich eingebaut, während der Rest der Gruppe sich schon auf den Weg nach New York macht: zum zweiten, erfolgreichen Versuch, den Korridor zu befliegen. Johns Crew kommt später nach. Das Ganze hat uns nicht mal einen halben Tag gekostet – aber viele Nerven.

Letzter Stopp ist Bar Harbor – Fischer- und Touristenort

Wir sind mitten in der Ländlichkeit der Neuenglandstaaten und genießen den Indian Summer, der hier »Foliage« heißt, das englische Wort für Laub. Von North Adams fahren wir mit dem Auto durch die Wälder. Dann bewundern wir die Blätter wieder aus der Luft. Am nächsten Übernachtungsstopp Laconia wandern wir durch die Natur, mit tollen Ausblicken auf den wunderschönen Lake Winnipesaukee.

Dann ist schon unser letzter Stopp dran: Bar Harbor, Maine, ist Fischer- und Touristenort am Atlantik, direkt neben dem Acadia National Park. Auf einem schaukeligen, zum Touristenkahn umgebauten Hummer-Fangboot machen wir eine Bootstour und ziehen ein paar Hummerkörbe hoch. Am Abend nach so einem Tag muss es natürlich Seafood geben.

Wie in Skandinavien: Die Atlantikküste im Acadia National Park bei Bar Harbor, Maine, ist rau, wild und sehr sehenswert.

Der letzte Flug der Reise führt zurück nach Plymouth. Am Abend nehmen wir beim Abendessen und im Hotel noch einen viel zu kurzen Eindruck der faszinierenden Stadt Boston mit – dann warten die Airliner nach Europa. Was für eine Menge Eindrücke und Erlebnisse nehmen wir mit!

Spezialisten: Mike Goulian Aviation

Mike Goulian Aviation (www. mikegoulianaviation.com) hat sich auf das Training und die Vercharterung von Cirrus-Flugzeugen spezialisiert. MGA hat mehrere Standorte rund um Boston. Die Fluglehrer sind auf die moderne Avionik der SR-Familie spezialisiert. Für Neulinge im Bezug auf das Fliegen in den USA, aber auch mit Cirrus-Flugzeugen, bietet es sich an, einen Fluglehrer auch ganztägig als Begleitung mitzunehmen. Das schafft große Sicherheit, auch wenn es nicht ganz billig ist. Von Boston aus sind die Küsten Neuenglands gut zu erkunden, ebenso das sehenswerte Bin- nenland. Auch New York liegt nah, ebenso die Niagara-Fälle, die der Gruppe wetterbedingt verwehrt blieben.

Tipps: Besuch der US-Ostküste im Herbst

Auch wenn das Wetter im Herbst manchmal etwas schwierig sein kann, ist ein Besuch der US-Ostküste Mitte Oktober zu empfehlen. Je nach genauem Reisezeitpunkt lässt sich die Laubfärbung dann entweder in den Neuengland-Staaten oder im Appalachen-Gebirge gut beobachten. Den Flug vorbei an New York sollte man sich nicht entgehen lassen. Auch Bar Harbor und der Acadia National Park gefielen uns sehr gut. Nantucket und Martha’s Vineyard sind sehenswert, aber auch sehr teuer. North Adams mit dem Massachusetts Museum of Contemporary Art und dem Hotel Porches ist einen Besuch wert. Unbedingt zu empfehlen ist auch die Region rund um den Flugplatz Laconia und den Lake Winnipesaukee in New Hampshire. Dort war das Hotel Church Landing in Mill Falls sehr schön. Wer in der Nähe von Kitty Hawk übernachten möchte, sollte sich das Sanderling Resort im Ort Duck, North Carolina, ansehen.

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Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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