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Heimat von oben: Nord- und Ostseeregion aus dem Kleinflugzeug fotografiert

Berge? Skifahren? Pistenzirkus? Im Norden kennt der Winter sowas nicht. Voriges Jahr hatte er die flache Küstenlandschaft fest im Griff: Alles war von Eis und Schnee bedeckt und verwandelt – in was auch immer

Von Peter Wolter

Im Winter ist alles rätselhaft. Ändert Wasser seinen Aggregatzustand, verändert es den Zustand der Welt. Gefroren wird es vom Medium, das ein Schiff trägt, zum Hindernis, das tonnenschwere Tanker aufhält. In der Fliegerei wäre das so, als ob man aus heiterem Himmel in einen Wald aus Luftklumpen rauscht, vielleicht noch irgendwie durchkommt, oder gleich gegen eine Wand prallt. Optik und Eigenschaften der Erdoberfläche ändern sich im Winter so radikal, dass man nie genau weiß, was man da eigentlich unter sich hat.

Eingefroren: Zwei Frachter sitzen auf der Ostsee im Greifs- walder Bodden fest (Foto: Peter Hamel)

Eisschollen im Wattenmeer erinnern an das psychedelische Geblubber einer Lavalampe, die in den siebziger Jahren erloschen und eingefroren ist. Die weißlich-grauen, gallertartig durchsichtigen Gebilde könnten aber auch riesige Quallen sein, die vor Kälte erstarrt dahin treiben. Frachtschiffe in einer leidlich befahrbaren Rinne, neben der sich Eis auftürmt, erscheinen wie Lastwagen auf einer schmalen Piste, die durch ein Wüstengebirge führt.

Am Boden hat die Luft –16 Grad Celsius, in Flughöhe nur –4

Und wer auf die vereisten Priele der Insel Nordstrand und ihre quadratisch angelegten Entwässerungskanäle hinunterblickt, kommt sich vor wie ein Astronaut beim Umkreisen eines Planeten, dessen Kolonisierung nach dem Bau eines Verkehrswegenetzes abgebrochen wurde. Ein großes und ein kleines Gebäude auf der Hallig Norderoog, das größere ist die Vogelschutzstation – wenn sich Menschen dort im Sommer aufhalten, ist das schon einsam genug.

Gefrorene Wasserflächen sind im Idealfall fester Untergrund für eine Not- oder Sicherheitslandung

Im Winter muss der Aufenthalt in diesem lebensfeindlichen Nichts beklemmend sein. Ist ein Schiff samt Beiboot im Eis eingeschlossen, besteht wenigstens die Hoffnung auf Bewegung und Entkommen, irgendwann. Häuser wie die auf Norderoog hingegen lassen in den Wintermonaten keinerlei Illusion aufkommen. Man muss auf einer Hallig geboren sein, um die Abgeschiedenheit auszuhalten. Oder weg, bevor gar nichts mehr geht. Oder den Stillstand akzeptieren.

Abgeschieden: Vogelschutzstation (grünes Dach) an der Nordspitze der Hallig Norderoog im Nordfriesischen Wattenmeer (Foto: Peter Hamel)

Obwohl gefrorene Wasserflächen im Idealfall festen Untergrund für eine Not- oder Sicherheitslandung bieten, fühlt es sich im Winter so an, als ob man permanent über Wasser fliegt: Bloß oben bleiben! Eisflächen sind schließlich nie richtig vertrauenserweckend, und was unterm Schnee alles lauert …Aber vielleicht gehört das Kribbeln im Bauch beim Rätsellösen einfach dazu.

Fotos: Peter Hamel, fliegermagazin 2/2011

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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