REISEN

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Piper Super Cub: Buschfliegen in Alaska

Drei Jahre zuvor musste die Tour abgebrochen werden – Wetterpech. 
Diesmal steht das fehlende Stück auf dem Programm: über den einsamen 
Golf von Alaska nach Anchorage

Von Redaktion

Wenn Du einmal mit einem Buschflugzeug mit riesigen Tundrareifen geflogen bist, kommst du nicht mehr davon los“. Jay schwärmte von fliegerischer Freiheit, vom Landen und Campen, wo es uns gefiele, von Herausforderungen und Kameradschaft. „Tief und langsam“, das sollte die Devise sein. Jays Begeisterung war ansteckend.

Im Sommer 2008 wollte ich mit meiner SeaRey, einem Amphibium, von Skagit im US-Bundesstaat Washington durch Kanada bis Anchorage in Alaska fliegen (fliegermagazin 08/2009). Doch in Petersburg musste ich aufgeben – der Himmel wollte partout nicht aufklaren. Damit fehlte der letzte Abschnitt nach Anchorage entlang dem wilden, eisigen, einsamen Golf von Alaska. Diese Strecke ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Da ich die SeaRey verkauft hatte, musste ich eine andere Möglichkeit suchen, meinen Traum zu verwirklichen. Ein Wasserflugzeug zu mieten gelang mir nicht.

Küste als Piste: Zunächst geht es nach Westen, immer am Ufer entlang. Als es nach einer nasskalten Nacht aufklart, startet die Piper-Crew vom Strand der Boussole Bay (Foto: Peter Schoenenberger)

Jay Baldwin flog früher fürs Militär, heute ist er Linien- und Buschpilot und der Einzige, der sich bereit erklärt hat, gemeinsam mit mir meine persönliche Wunschstrecke zu fliegen. Seine Homebase ist der Wolf Lake Airport bei Palmer, 30 Meilen nordöstlich von Anchorage. Jay gehört die Piper Super Cub auf mächtigen Tundrareifen, mit der wir unterwegs sein werden – ein richtiges Buschflugzeug also. Als Charterkunde muss ich allerdings erst ein Buschflieger-Training absolvieren.

Dazu treffen wir uns am Juneau International Airport. Jay hat die Cub hergeflogen. Hier, nordwestlich meiner einstigen Endstation Petersburg, soll unsere Reise beginnen. Nach zwei Trainingstagen bin ich soweit, auch die Großwetterlage im Golf von Alaska passt. Wir tanken die Piper voll und beladen sie mit Überlebensausrüstung, Trinkwasser, Essen, Kameras, Angelruten, Satellitentelefon und Armee-Bengalleuchtfeuer; die sollen Bären vertreiben.

Außerdem haben wir einen Spot-Tracker dabei, damit Freunde und Interessierte zu Hause über Google Earth verfolgen können, wo wir gerade sind. „Helme?“ „Ja“, sagt Jay, „das ist die beste Lebensversicherung.“ Bei der Analyse tödlicher Cub-Unfälle hat er festgestellt, dass die Piloten noch am Steuer saßen, als wären sie bereit für den nächsten Flug. Beim Aufprall schlugen sie jedoch mit dem Kopf gegen die V-Strebe über dem Panel und kamen dabei ums Leben.

Take-off in Juneau, die Spannung steigt. Unser Tagesziel ist das Alsek-Flussdelta, 200 Nautische Meilen westlich. An leuchtend grünen Berghängen nahe der Schneegrenze entdecken wir weiße Dall-Schafe, an Flussmündungen und auf saftigen Wiesen Schwarzbären. Die Sonne scheint – das Fliegen ist die pure Freude.

Am Eingang zur Glacier Bay liegt eine Wolkendecke in 1000 Fuß. Die Inlandvariante über den Melbern-Gletscher ist somit hinfällig. Das Wetter zwingt uns, um das berüchtigte Cape Spencer herum zu fliegen. Die Wolken sind jetzt auf 400 Fuß abgesunken. Wir tasten uns an der Küste entlang. Kaum habe ich zur Sicherheit einen GPS-Wegpunkt gesetzt, verabschiedet sich der Sommertag endgültig. Unsere Flughöhe beträgt nur noch 100 Fuß. Icy Point, eine weite Bucht, ist berüchtigt für widriges Wetter, und prompt beträgt die Sichtweite noch knapp eine Viertelmeile. Hinter uns rollt dicker Küstennebel herein. Feuchtwarme Luft vom Pazifik trifft hier auf den Gletscher des Mount La Perouse, dessen Eismassen sich in den Golf von Alaska schieben. Eine regelrechte Dampfküche entsteht – keine Chance durchzukommen. Mit einer 180-Grad-Steilkurve kehren wir um. Den einsamen Strand der Boussole Bay haben wir uns schon vorhin beim Drüberfliegen genauer angeschaut. Er ist als Notlösung im Hinterkopf gespeichert. Im Tiefflug erkunden wir die Bodenbeschaffenheit. Wir wählen ein Stück Treibholz als Referenzpunkt fürs Aufsetzen.

Buschflieger-Romantik: Auf Kayak Island sind die Cub-Piloten zwischen Baumstämmen und Muschelbänken gelandet. Nur Myriaden von Mücken stören die Idylle
(Foto: Peter Schoenenberger)

Vorsicht! Unsichtbare Gefahren können unter der Oberfläche lauern, Wasser, dünne Eisschichten, Flugsand oder Sumpf. Es ist Ebbe, und ich muss aufpassen, nicht am Ufer einzusinken. Deshalb lande ich auf dem harten dunklen Sand, nicht allzu weit weg von den Wellen. Wir holpern zwischen Baumstämmen, Grasbüscheln und Treibsand eine kleine Anhöhe hinauf, damit wir bei Flut vom Wasser weg sind. So lerne ich schon am ersten Reisetag den Vorteil zu schätzen, fast überall landen zu können. Motor aus. Wir hören nur noch das Donnern der Brandung. Es ist kalt, sieben Grad, und nass, der Nebel hüllt uns ein. Die Feuchtigkeit ist überall, ich friere durch und durch.

Unsere „Landebahn“ ist nur 500 Fuß lang und eine Mischung aus Sand und Tundra

Jetzt gilt die Buschregel: Warm und trocken halten – Unterschlupf – Nahrung. Eine Blache über den rechten Flügel, daneben ein kleines Zelt, im Nu steht unser Camp. Wir sind von der Außenwelt abgeschnitten. Keine Ahnung, wie viele Stunden oder Tage dieser Zustand dauern wird. Wie wollen wir denn mit null Sicht jemals wieder hier rausfinden? Immerhin gibt es genügend Trinkwasser; es rieselt von den nahen Felswänden herab. Und Treibholz im Überfluss. Bald sitzen wir vor einem Lagerfeuer und löffeln warme Suppe. So sieht die Welt schon besser aus. Gestärkt machen wir uns auf Entdeckungstour.

Hinter einem Busch versteckt sich eine Elchkuh, ihr Nachwuchs steht auf wackligen Beinen und drückt sich Schutz suchend an sie. Frische Spuren führen vom Fluss weg Richtung Küste: Grizzlybären, ein Wolfsrudel, Elche. Den Spuren folgend stelle ich mit Beklemmung fest, dass sie dicht an unserem Lagerplatz vorbeiführen. Jay lacht: „Für den schlimmsten Fall haben wir ja die Bengal-Leuchtfeuer“. Mich beruhigt das nicht. An so viel Wildnis und Jays Vertrauen in die Leuchtfeuer muss ich mich erst gewöhnen.

Müde aber reich an Eindrücken krieche ich gegen 22 Uhr im hinteren Teil der Flugzeugkabine in meinen Schlafsack. Jay legt sich in sein Zelt. Bereits fünf Minuten später höre ich ihn schnarchen. Irgendwo ein fernes Heulen von Wölfen. Ich bin offenbar der Einzige, den der Gedanken quält, dass uns die wilden Tiere besuchen könnten. Ein leises Surren weckt mich frühmorgens. Es sind Kolibris, die um die Flügelstreben schwirren – von Grizzlys und Wölfen keine Spur. Am Himmel ein paar Wolken, dazwischen Blau. Bei fünf Meilen Sicht überlegen wir nicht lange: Los, bevor das Wetter umschlägt!

Langsam beschleunigen, Heck hoch, ruckartig die Klappen raus, und schon heben wir ab. Im Tiefflug navigieren wir vorbei an riesigen Flussmündungen und saftig grünen Wiesen. Die Küste ist von dichten Wäldern gesäumt, Treibholz übersät die graubraunen Sandstrände. Die Sonne färbt das Meer blaugrün, fast wie in der Karibik. Ab und zu sehen wir Grizzlys, Elche und Adler. Eine wunderschöne, raue Welt, durch die wir uns da bewegen, nur wir zwei in unsere kleinen Piper. Diese Einsamkeit, diese unbändige Natur – ich bin überwältigt.

Umdrehen! Hier käme nur noch ein Schiff weiter. Jetzt wird der zuvor gesichtete Notlandeplatz angesteuert (Foto: Peter Schoenenberger)

Ich fliege nach Gefühl und Geräusch, gelegentlich werfe ich einen Blick auf die Instrumente. In erster Linie konzentriere ich mich auf die Außenwelt. Exakte Geschwindigkeit oder Höhe steht bei dieser Art des Fliegens nicht im Vordergrund. Eher achte ich darauf, ob ein kreisender Adler über einem Bergkamm auf Thermik hinweist. Momentan haben wir zehn Knoten Gegenwind, oft quer überlagert von starken Gletscherwinden.
Vom 4590 Meter hohen Fairweather schlängelt sich der gleichnamige Gletscher herab. Darüber eine Wolkendecke. Zwischen grauen Fetzen umkreisen wir die abgebrochenen Eisberge. 15 Meilen weiter erreichen wir bereits die nächste Eismasse. Doch die schneebedeckten Berge hinter dem Grand-Plateau-Gletscher sind wegen der niedrigen Wolkendecke nicht zu sehen. Kein Wunder, denn die feuchtwarme Luft prallt dort auf die kühlen Berge. Was mich fasziniert: Hier stehen die Wälder auf einer dünnen Humusschicht, darunter ist blankes Eis. Schmilzt das Eis, versinken die Bäume im Meer.

Nach zwei Stunden sind wir über dem Glacier-Nationalpark am Alsek River Delta. Neben einem kleinen See erspähen wir in der offenen Tundra eine geeignete Stelle zum Landen. Eine Bärenmutter trottet mit ihren zwei Jungen durch die Gegend. Da müssen wir hin! Vor der Landung heißt es, die Umgebung genau zu inspizieren. Wasser in einer Elchspur weist auf weichen Untergrund hin. Plätschernde Wellen auf der Südseite des Sees sagen viel über die Richtung und Stärke des Winds, auch über vertikale Luftbewegungen.
Jetzt kommt es auf die fünf Schritte der Buschflieger-Landung an:


Survival-Überflug: Einprägen der Umgebung und Windrichtung; wo gibt es Fluchtwege, unpassierbare Flussläufe, Sümpfe, andere Notlandestellen, Unterschlupf, Wasser.

Langsamer Überflug: leicht parallel versetzt zum gewählten Landestreifen. Wahl eines Fixpunkts querab des Aufsetzpunkts, etwa ein Busch, Baumstamm, Stein, Eisbrocken oder der Anfang einer Insel. Längenabschätzung durch Zählen: 1001, 1002 … bis 1008. Bei 70 Meilen pro Stunde entspricht jede Sekunde 102 Fuß.

Rock-and-roll-Überflug: durchstarten, dann bestmöglichen Anflug wählen. Dazu landet man neben dem Fixpunkt, verlangsamt und hebt das Heck. Mehr als das halbe Gewicht darf nicht auf dem Boden sein – ein „low speed touch“. Nach ein paar hundert Fuß Gas rein und abheben.

Kontroll-Überflug: Radabdrücke begutachten; vergewissern, dass kein Wasser in die Spuren gesickert ist, Bodenbeschaffenheit beurteilen. Aufsetzpunkt erwischt?

Abschlusslandung: Falls der Aufsetzpunkt verpasst wird, sofort durchstarten. Bei einer guten Landung zeichnen sich die Haupträder permanent ab, das Spornrad nur kurz am Aufsetzpunkt und dann erst wieder unmittelbar vor dem Stillstand, weil gleich nach dem Aufsetzen das Heck mit dem Höhenruder in der Luft gehalten wird, während man bremst.

Wappentier: Der Weißkopfadler jagt Lachse, bevorzugt an den küstennahen Gewässern
(Foto: Peter Schoenenberger)

Unsere „Landebahn“ ist nur 500 Fuß lang und eine Mischung aus Sand und Tundra, also Gras und Moos. Mein Aufsetzpunkt liegt neben einem Busch mit Bärenspuren. Nach einem steilen Slip setzte ich die Maschine fast genau auf den ausgewählten Punkt. Heckrad hoch, Flaps rein und vorsichtig auf die Bremse. Die Grizzlymutter eilt mit ihren Jungen davon. Zwischen Büschen nahe zum See lasse ich die Maschine ausrollen. Hier sind wir windgeschützt. Motor aus. Jetzt hören wir nur noch Adlergeschrei und die Brandung des nahen Pazifik.

Unser Sprit muss noch bis Yakutat reichen, ein Erkundungsflug liegt nicht drin. Wir ziehen zu Fuß los. Wieder sehen wir frische Grizzly-, Elch- und Wolfsspuren. Ob diese Tiere diesmal an unserem Camp vorbeikommen? Wir queren eine Ebene, die mit Erdbeerstauden übersät ist – schade, die Beeren sind noch nicht reif. Dahinter liegt das Meer. Am Ufer braungrauer Sand, viel Treibholz und Baumstämme. Die Brandung ist mächtig, donnernd rollen die Wellen heran.


Was der wohl will? In der Ferne entdecken wir einen riesigen Grizzlybär im flachen See. Ein paar Meter weiter sitzen ein Dutzend weißköpfiger Adler auf Baumstümpfen Spalier, den Blick starr aufs Wasser gerichtet. Doch da ist aber nichts Besonderes zu erkennen. Plötzlich kommt an der Wasseroberfläche Bewegung auf. Zuerst kaum wahrnehmbar ein paar Spritzer, dann Schaum, schließlich brodelt es: Tausende von Lachsen kämpfen sich durch den See zur Flussmündung. Das Wappentier Amerikas und der Grizzly stürzen sich hungrig auf die Fische, das große Fressen beginnt.

Zurück beim Flugzeug stelle ich fest, dass sich die Sohle an einem meiner Wanderschuhe gelöst hat. Am wärmenden Lagerfeuer lassen wir die Stimmung auf uns wirken. Durch die Meeresbrise quälen uns heute nicht allzu viele Mücken. Und die Bären? Erstmal ist man ängstlich und blickt beim Gehen jede zweite Sekunde zurück. Dann sitzt man entspannt da und wartet. Und schließlich wundert man sich, wo sie geblieben sind! Hier sieht man Bären seltener als in den amerikanischen Nationalparks. Nicht an Menschen gewöhnt, sind die Tiere scheu und machen einen Bogen um uns.

Letzter Lagerplatz: Am Coghill Lake bilden zwei Flüsse ein Delta mit Sandbänken – ein malerischer Ort, aber fliegerisch anspruchsvoll (Foto: Peter Schoenenberger)

Wir hingegen halten uns von der ADIZ fern, als wir Yakutat ansteuern. Die Air Defense Identification Zone, mit der sich die USA zum Pazifik hin abgrenzen, ist hier nur 15 Nautische Meilen entfernt. Über dem Meer scheint teilweise die Sonne, das Landesinnere ist verhangen. Es sieht nach Regen aus.

Obwohl Verkehrsmaschinen der Alaska Airline in Yakutat landen, gibt der Tower keine Anweisungen. Wir melden uns per „self announcement“ und landen wegen des starken Seitenwinds quer zur Piste. „Das ist bei Buschfliegern üblich“, bemerkt Jay. Er muss es wissen. Die Piper bekommt Avgas und wir einen XXL-Cheeseburger. Das stämmige Countrygirl hinter der Bar schenkt mir einen alten, aber bewährten Trapperleim für meine Schuhsohle. Wir treffen auf vierschrötige Allwetter-Buschpiloten. Erfahrungen und Geschichten werden ausgetauscht. In der kleinen gemütlichen Blockhauskneipe hängen an den Wänden Felle und Köpfe von Bären, Wölfen und Elchen. Ein riesiges, ausgestopftes Dall-Schaf überblickt das Geschehen. Zu meiner Freude werden hier warme Handschuhe verkauft, ich greife zu.

Auf dem Flug über die Yakutat Bay zum Malaspina-Gletscher tragen wir Schwimmwesten. Aus Sicherheitsgründen müssten wir bis zur Mitte der Bucht auf 7000 Fuß gestiegen sein. Doch weil Wolkenschichten im Weg sind, machen wir entlang der Küste Höhe. Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir 7000 Fuß erreicht. Am gegenüberliegenden Ufer erstreckt sich vor uns einer der größten Gletscher Nordamerikas. Mit einer Fläche von 3880 Quadratkilometern ist der Malaspina größer als Mallorca. Der Küstennebel, den dieser Kühlschrank erzeugt, hat eine Basishöhe von etwa 300 Fuß. Wir unterfliegen ihn. Viel sehen wir nicht, aber nach 30 Meilen am Gletscher entlang liegt endlich Icy Bay vor uns. Die Bucht ist verhangen. Trotzdem wollen wir näher an die drei Gletscher Yahtse, Tyndal und Malaspina ran, deren Eismassen sich ins Meer schieben. Doch erneut vereiteln tiefe Schichtwolken einen Direktflug über die Bucht in sicherer Höhe. Also geht’s tief über hunderte von blauweißen Eisbergen oder an ihnen entlang durch die Bucht zum Yahtse. Wenn jetzt nur der Motor nicht aussetzt …

Aufatmen, als wir wieder Wälder und Tundra sehen. Hier wollen wir campen. Den ersten Landeversuch direkt am sandigen Ufer muss ich abbrechen – ein Baumstamm liegt quer im Weg. Beim zweiten Mal eine andere Stelle; jetzt klappt’s. Neben Gebüsch und Tundra setze ich die Cub auf kompakten Sandboden. Unser Lager schlagen wir auf weichem Moosboden auf, umgeben von kleinen Tannen mit zartgrünen Schößlingen und einem Meer blauweiß leuchtender Lupinen. Wie immer sind wir wachsam: Grizzlys, Wölfe, weiße Riesenbergziegen und Elche treiben sich hier überall rum. Die Temperatur beträgt sieben Grad, das scheint Standard zu sein. Endlich komme ich dazu, meine Schuhsohle anzukleben. Trapperleim drauf und dann zum Trocknen unters Spornrad geklemmt – es lebe die Improvisation.

Beim ersten Landeversuch liegt ein Baumstamm im Weg

Ein gewaltiges, lautes, fast unheimliches Donnern dringt aus der Ferne an unsere Ohren: die Brandung. Als wir zu Fuß die Küste erreichen, stehen wir wie versteinert vor einem einzigartigen Naturschauspiel: Die gesamte Icy Bay ist übersät mit blauen Eisbergen, Eisschollen und Eisbrocken. Riesige Wellen bewegen sie auf und ab, schmeißen und drücken das Eis ans Ufer. Es donnert, knirscht und zischt, die Eisberge zermalmen sich gegenseitig. Man spürt die Macht und die Gewalt am ganzen Körper. Die grauen Wolkenschichten und der Nebel verleihen der Szene ein düsteres, mystisches Bild. Dieser Ort ist der eindrucksvollste der ganzen Reise.

Highway aus Eis: Der Columbia Gletscher fließt zwei Meter pro Tag. Ebbe und Flut reißen Eisberge ab, die dann im Meer schwimmen (Foto: Peter Schoenenberger)

Am sandigen Ufer liegen überall schmelzende Eisberge und Eisbrocken, hinaufgeworfen von einem schweren Sturm. Wir bedienen uns und nehmen noch etwas Eis mit für die Kühlbox. Am Abend entspannen wir uns am Lagerfeuer, und ich genieße den exklusivsten Aperitif meines Lebens: Die Eiswürfel, die im Becher klirren, können theoretisch zehntausend Jahre alt sein. Wetterüberraschung am nächsten Morgen: strahlender Sonnenschein! Wir fliegen weiter entlang der Küste nach Cape Yakataga. Normalerweise liegt hier immer eine dichte Nebelschicht. Die Graspiste in Yakataga ist 1400 Meter lang und für Notlandungen gedacht. Bei fünf Knoten Rückenwind begrüßen wir diesen einsamen Ort mit einem Touch-and-go.

30 Meilen weiter kommt der Bering-Gletscher in Sicht. Mit 190 Kilometern ist er der längste Gletscher in Nordamerika. Wir fliegen an seinem blauen, zerklüfteten Rand entlang – atemberaubend.

Heute wollen wir auf Kayak Island campieren. Im Anflug entdecke ich am Ufer drei riesige Grizzlys bei der Muschelsuche. Mit leichtem Querwind vom Meer setze ich die Maschine zwischen Baumstämmen und Muschelbänken auf und rolle auf eine erhöhte, sichere Stelle. Kaum ausgestiegen finden wir frische Spuren von Bären. Offenbar haben wir uns auf ihrem Weg niedergelassen. Ob sie vorbeikommen? Wie jeden Abend bauen wir zur Sicherheit um das kleine Zelt einen „Bärenzaun“ aus Ästen und Baumstämmen. Das Markieren unseres Territoriums gehört eh zum täglichen Ritual – wir pinkeln einen Kreis um unser Revier und sind überzeugt, dass das funktioniert.

„Wenn Du einmal mit einem Buschflugzeug mit riesigen Tundrareifen geflogen bist, kommst du nicht mehr davon los.“

Jay Baldwin

Ein wunderschöner Sonnenuntergang, ein knisterndes Lagerfeuer. Tapfer versuchen wir, die Myriaden von Mücken, die uns Gesellschaft leisten, zu ignorieren.
So ganz hat es nicht geklappt – wir stehen früher auf als sonst. Unser Plan: Nach einem Zwischencamp am Coghill Lake wollen wir durch den Prince Williams Sound zum Wolf Lake Airport auf der Anchorage-Seite gelangen. Um die hohen Gletscher überwinden zu können, werden wir am Chugach National Park auf 9000 Fuß steigen müssen. Die Route ist sehr gebirgig mit vielen Fjorden, Gletschern und engen Tälern. Da können uns Nebel und Wolken den Weg versperren. Genaue Wetterangaben für zwei Tage gibt es nicht. Als Regel gilt: Alles ist gut, solange man nicht hängen bleibt und tagelang festsitzt. Sollte die geplante Strecke nicht möglich sein, müssten wir uns nördlich den Copper River entlang zum Glenn Alaska Highway durchschlagen. Das wollen wir in Gordova, an unserem nächsten Tankstopp, entscheiden. Flexibilität ist auf der ganzen Reise gefragt, oft wechseln wir im Viertelstundentakt Plan und Ziel.



Eingeklemmt: Über dem Knik-Gletscher treffen sich Wolken und Eis. Als der weiße Schlund zu eng wird, dreht die Maschine ab (Foto: Peter Schoenenberger)

Am Gordova Municipal Airport ist die Sache dann klar: „Heute ist einer der wenigen Sonnentage im˘Jahr“, verkündet ein gut gelauter Wasserflugzeug-Pilot, „Ihr seid richtige Glückspilze.“

Die Gegend bleibt spektakulär: Fjorde, leuchtend grüne Wiesen, dunkle Wälder, hohe Berge, Gletscher. Der Lebensraum für Wale, Seelöwen, Delfine, Bären, Adler und Elche. Am Columbia-Gletscher fliegen wir die Abbruchkante entlang. Mit einer Bewegung von zwei Metern pro Tag ist der Columbia einer der am schnellsten fließenden Gletscher Nordamerikas. Durch Ebbe und Flut brechen Eisberge ab und schwimmen im Meer. In Richtung Coghill Lake bilden sich schon wieder Wolkenschichten und Nebel, der sich rasend schnell verdichtet. Die letzten 20 Meilen schleichen wir zwischen Wolken und Tälern hindurch. Im Sinkflug umkreisen wir den See. Wo zwei Flüsse ein riesiges Delta bilden, wollen wir auf einer Sandbank runter. Dort wechseln sich Schotter, große Steine, Sand, Büsche, Baumstämme und Gras ab. Die Landung ist hart und rumplig. Aber schließlich steht die Cub auf einer Wiese voller leuchtend blauer Lupinen. Ein malerischer Ort für unser letztes Camp.

Jeder Tag ist eine Herausforderung und gleichzeitig eine Bereicherung. Es bereitet Nervenkitzel, in dieser spektakulären Wildnis herumzutollen. Abends bin ich erfüllt von dem Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ernüchterung am anderen Morgen: Die Berge sind verhangen, eine graue Wolkenschicht in 4000 Fuß versperrt uns den Weg. Also werden wir versuchen, durch ein benachbartes tiefer liegendes Tal durchzustoßen. Beim Start bremsen Bodenwellen und Hindernisse – erst kurz vor dem Deltasumpf hebt die Maschine ab.

Am College Fjord kommen wir nicht durch. Alles zu. Auch das nächste und übernächste Tal sind wolkenverhangen. Wir fliegen knapp unterhalb der Basis; es nieselt. Endlich, im Tal oberhalb des Harriman Fjords, lockt am Ende ein kleines Stück blauer Himmel. Vorsichtig arbeiten wir uns an der rechten Talseite höher … geschafft! Wir sind auf der anderen Seite. Und erleichtert.Über den 40 Kilometer langen und acht Kilometer breiten Knik-Gletscher fliegen wir hinunter ins Tal. Kurz vor unserem Ziel, „Jays“ Wolf Lake Airport, passieren wir noch einen der unzähligen Flüsse. An beiden Ufern stehen Fischer Spalier. Nicht nur wir, sondern auch die Lachse sind inzwischen im Norden angekommen.

Alaska-Tour als Film

Wie bereits frühere Reisen mit dem Flugzeug hat Peter Schoenenberger auch die Alaska-Tour von Juneau nach Anchorage auf DVD herausgebracht (siehe Trailer auf www.fliegermagazin.de/video). „The Missing Journey – Icy Bay Alaska“, Dauer 110 Minuten, kostet 20 Euro plus Porto und kann unter info@3dwarfs.com bestellt werden.

Text und Fotos: Peter Schoenenberger, fliegermagazin 5/2012

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