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UL-Tour nach Grönland: Mit der Flight Design CT nach CP

Von Deutschland nach Grönland und zurück, mehr als 10 000 Kilometer, davon 3 690 über Wasser – das macht man normalerweise mit der Airline. Manche Privatpiloten wagen die Strecke mit einer Echo-Klasse-Maschine. Mit einem UL war noch niemand in Grönland – bis Rolf Bausewein und Harro Lorenz in Constable Point landeten. Ihre spektakuläre Tour führte von Eggersdorf bei Berlin bis zur ewigen Eiskappe Grönlands

Von Redaktion
Verfroren: 
Schon beim Start auf Grönland sind sofort eisbedeckte Hügel und Berge in Sicht Foto: Paul Fuchs

Dienstag, 22. Juni 2004, über dem Nordatlantik zwischen Island und Färöer-Inseln. Ein Funkdialog. Beteiligt: Lufthansa 492 und D-MBHL. Frage aus dem Airliner-Cockpit: „Sprechen Sie Deutsch?“ „Delta Hotel Lima, positiv.“ „LH 492, wenn ich Ihre Kennung richtig verstanden habe, sind Sie ein Ultraleichtflugzeug.“ „Delta Hotel Lima, das ist richtig.“ „Und da fliegen Sie in der Gegend von Island rum? Meinen absoluten Respekt! Jetzt verraten Sie mir mal: Was machen Sie denn da?“ Unsere Antwort: „Urlaub.“ Sicher, für Freizeitflieger ist der Nordatlantik nicht gerade eine übliche Urlaubsregion. Und aus der Sicht mancher Privatpiloten können nur Verrückte auf die Idee kommen, mit einem UL in solche Gegenden zu fliegen. Doch wir hatten in den vergangenen Jahren zielstrebig auf diesen Flug hingearbeitet.

Auf Touren zum Nordkap (2002) sowie zu den Shetland-Inseln (2003) hatten wir wertvolle Erfahrungen gesammelt, vor allem hinsichtlich des Wetters in dieser Region. Dabei konnten wir uns auch mental aufs Fliegen über längere Wasserstrecken einstimmen. Platzangebot, Leistung und Zuverlässigkeit der CT hatten uns überzeugt, mit dem richtigen Gerät für derartige Vorhaben unterwegs zu sein. Monate intensivster Vorbereitung lagen hinter uns: Navigation, Meteorologie, Notverfahren und Studium des nordatlantischen Luftraums – Überraschungen in diesen Bereichen wollten wir nach Möglichkeit vermeiden. Aber auch die CT musste bestens präpariert werden. Dabei erhielten wir Unterstützung von der an unserem Heimatflugplatz Eggersdorf ansässigen Ultraleicht-Flugbetriebs GmbH, von der wir ein zweites GPS mit Moving Map erhielten.

Umfangreiche Flugvorbereitung: auch die CT musste bestens präpariert werden

Wer möchte sich schon bei 23 Grad Missweisung über dem Atlantik nur auf den Schnapskompass verlassen! Start am 1. Juni. Auf Nordkurs geht’s über Südschweden zum Flugplatz Størd an der norwegischen Westküste. Zwei Tage tiefe Bewölkung über der Nordsee – Zeit für einen gründlichen Motorcheck, eine Prozedur, die wir vor jedem Flug über Wasser durchführen. „Mit einer Einmot nach Grönland zu fliegen ist alles, nur kein Kaffeeflug“, schrieb Gerd Sidenstein im fliegermagazin 2/2000 – er war mit einer Piper Arrow unterwegs. Mit einem UL gilt dies natürlich umso mehr: Aufgrund der geringen Masse und Flächenbelastung ist es den Windkräften noch stärker ausgesetzt. Und wegen seiner niedrigen maximalen Abflugmasse kann ein UL nicht instrumentenflugtauglich ausgestattet werden; man muss immer unter VMC fliegen.

Das Wetter kann sich in der Arktis aber schlagartig ändern. Doch ein UL hat auch Vorteile. So ist die niedrige Landegeschwindigkeit bei einer Notwasserung vorteilhaft. Oder das Rettungssystem, das einen senkrechten Abstieg erlaubt. Ohne Groundspeed (sofern Windstille herrscht) mit offenen Türen einzutauchen, selbst bei hohem Seegang, kann wesentlich ungefährlicher sein als eine konventionelle Notwasserung. Doch nur, wenn man eine freie Wasserfläche unter sich hat und genügend Höhe für die vollständige Entfaltung des Schirms. Da nach dem Auslösen aber die Steuerbarkeit dahin ist, besteht über Packeis oder Eisbergen die Gefahr, irgendwo unkontrolliert einzuschlagen, abzurutschen oder vom Wind über eine Kante geblasen zu werden. In der Vorbereitung legten wir deshalb genau fest, unter welchen Bedingungen das Rettungssystem auszulösen sein würde und wann nicht.

Wir einigten uns auf ein Handlungsschema, das wir gedanklich immer wieder durchgingen, bis wir es im Schlaf beherrschten. Manchmal machten die winterlichen Vorbereitungen auch richtig Spaß: etwa wenn wir beim Test unserer Trockenanzüge im eisigen Wasser eines Sees fast eine Stunde lang herumpaddelten und sich Passanten über unser seltsames Treiben wunderten. Auf den Erstfall vorbereitet zu sein, beruhigt uns, als wir in Norwegen mit Kurs auf Schottland starten. Laut Wettervorhersage müssen wir mit einer Wolkenuntergrenze von 1500 Fuß über der Nordsee rechnen. Über einer durchbrochenen Wolkendecke und unter einer geschlossenen fliegend, wird’s hinter der FIR-Grenze Richtung Schottland dramatisch: Die obere Wolkenschicht senkt sich, die Obergrenze der mittlerweile fast geschlossenen unteren steigt an. Bevor wir in der Falle sitzen, bleibt uns nur ein Ausweg: nach unten. Regen prasselt auf die Windschutzscheibe …

Jetzt trennen uns nur noch 1000 Fuß vom Meer! Sicherheitshalber schließen wir die Kragenmanschetten unserer Trockenanzüge und checken, ob die Überlebenspacks griffbereit sind. In dieser geringen Höhe bleibt bei einer Notwasserung nicht viel Zeit. Die Entscheidung zu sinken erweist sich als goldrichtig: Über uns ist die Decke jetzt geschlossen. Rechts von unserem Kurs scheinen die Wolkenfetzen bis aufs Meer zu reichen. Vor der Küste Schottlands klart es dann auf. Erleichtert setzen wir bei gutem Wetter nach 506 Kilometern im nordschottischen Wick auf. Eine halbe Stunde später beginnt es auch hier zu regnen. Bis wir zwei Tage später erneut „ready for departure“ sind, versüßt uns ein flugbegeisterter Schotte mit seiner Einladung das schlechte Wetter.

Nördlich von Wick beginnt Neuland

Der Leg nach Vagar auf den Färöer-Inseln ist 463 Kilometer lang – Neuland für uns. Die Satellitenbilder lassen gutes Wetter erwarten, auch Vagar bestätigt dies. Auf eine Prognose für die nächsten Stunden will sich der Flugleiter am Telefon aber nicht festlegen lassen. Klar, die Färöer liegen mitten in der nordatlantischen Vulkanasche über das Gelb der Ryolitberge bis zum Grün und Blau der Flüsse und Seen. Schließlich landen wir auf dem malerisch in einem Fjord gelegenen Flugplatz Isafjordur im Nordwesten Islands. Wir telefonierten mit Constable Point (CP) in Grönland. Auf unsere erste Anfrage kann man uns nicht mal sagen, ob überhaupt Flugbenzin vorrätig ist, das müsse erst geprüft werden. Dann die erlösende Nachricht: Man habe noch zwei Fässer Avgas gefunden. Genug für unsere CT, um Grönland zu umrunden! Und die zweite gute Botschaft: Seit 14 Tagen herrsche VMC.

Den Tag beschließen wir nach wiederum gründlichem Motorcheck mit einem Bummel durch das Städtchen Isafjordur. Anderntags haben wir nach einem einstündigen Fußmarsch zum Flugplatz unser Ziel fast erreicht, da hält ein Auto neben uns. Eine junge hübsche Blondine fragte uns, ob wir die beiden Piloten aus Deutschland seien, die heute nach Grönland fliegen wollen. Sie sei Journalistin und habe von unseren Plänen erfahren. Wir einigen uns auf „Arbeitsteilung“: Einer steht der Isländerin für Fragen zur Verfügung, der andere kümmert sich auf dem Tower um das Wetter – zur Freude des einen, zum Leidwesen des anderen. Vor dem Wettergott sind wir wieder gleich: Der Seenebel, der in den Fjord drückt, betrifft uns beide. Wir vertiefen uns in die TAFs, holen uns eine Wetterinformation nach der anderen aus dem Internet. In CP herrscht immer noch bestes Flugwetter, und mit hoher Wahrscheinlichkeit soll es sich halten.

Nach mehr als drei Stunden verbessert sich auch in Isafjordur das Wetter; winzige blaue Flecken sind bereits zwischen den Wolken zu sehen. Wir wollen den Flug wagen! Da wir nach Schließung des Platzes ankommen würden, müssen wir ein Open request stellen. Das ist sündhaft teuer. Bis morgen warten? Nein, bei dem launischen Wetter in dieser Region ist ein Flug auch morgen ungewiss. Die einmalige Gelegenheit wollten wir nicht vertun. Flugplan aufgeben, voraussichtliche Startzeit 14.15 Uhr. Mit belegter Stimme telefonieren wir nochmal mit unseren Frauen. Dann ziehen wir alles an, was unter die Trockenanzüge passt. Wir bewegen uns nun wie Astronauten und fühlen uns irgendwie auch so. 525 Kilometer Einsamkeit – das beherrscht unsere Gedanken.

Durch ein winziges Wolkenloch geht’s auf 5000 Fuß. Wir genießen den malerischen Anblick on top auf die letzten Bergspitzen Islands. Eine Stimme aus dem Äther reißt uns aus unseren Gedanken: Reykjavik Control fordert uns auf, stündlich eine Positionsmeldung abzugeben. Ein Novum – aber verständlich, denn Radarüberwachung gibt es über dem Nordatlantik nicht. Fast exakt auf Nordkurs fliegend, glauben wir nach zirka einer Stunde zunächst an eine Luftspiegelung, mindestens aber an eine weit entfernte kompakte Wolkenbank, als am Horizont ein Streifen auftaucht. Doch es ist die grönländische Küste. Unglaublich! Das sind doch noch über 200 Kilometer! Unter uns lichtet sich der Seenebel etwas und lässt einen Blick aufs Treibeis zu – kein Zweifel, wir sind in der Arktis! Das GPS bestätigt uns, dass wir den nördlichen Polarkreis überflogen haben. Immer wieder skeptische Blicke zum FlyDat …

Treibeis! Der nördliche Polarkreis liegt zurück

Aber die Triebwerksparameter bleiben konstant im grünen Bereich, der Rotax schnurrt tadellos. Da kommt auch schon der erste Eisberg ins Blickfeld. Was für ein Panorama! Über uns wölbt sich ein herrlich blauer Himmel mit einigen faserigen Zirren, vor uns die wilde, von schneebedeckten Bergen zerklüftete Küste und unter uns tiefblaues Wasser mit „vier Achtel“ Eisschollen. Der Eisberg, den wir als ersten gesichtet haben, kommt und kommt nicht näher. Fast eine Stunde brauchen wir noch, bis wir heran sind. Und das bei einer Geschwindigkeit von 100 Knoten GND! Ein letztes Mal melden wir unsere Position an Iceland Radio. Trotz einer Distanz von 350 Kilometern ist die Verständigung gut. Vor Cape Brewster häufen sich die Eisberge. Inzwischen haben wir Funkkontakt mit Constable Point. Unsere Moving Map zeigt jetzt endlich wieder Landmasse unter uns. Aber was für ein Land! Schroffe spitze Berge, vereiste Fjorde, Gletscher …

Wir überfliegen die Mündung des Scoresbysunds, der weiter im Landesinneren noch komplett vereist ist. Schließlich kommt der Hurryfjord in Sicht. Auf der TPC-Karte von 1985 sind Ruinen am östlichen Ufer eingezeichnet. Richtig, dort stehen sie – seit Stunden die ersten sichtbaren Zeichen menschlicher Aktivität, absolut unwirklich in dieser Umgebung. Die Piste von CP kommt ins Blickfeld. Keine Nebelfelder über dem Platz! Erleichtert melden wir uns zehn Meilen vor unserem Ziel. „No reported traffic“, kommt als Antwort. Wir müssen entspannt lachen: Wer soll hier auch fliegen? Zweimal pro Woche trifft die Linienmaschine aus Reykjavik ein. Dann fliegt auch der Shuttle-Helikopter nach Ittoqqortoormiit, zur nördlichsten Siedlung an der grönländischen Ostküste. Bei 15 Knoten Wind landen wir sanft auf der glatten Schotterpiste. Arktische Kaltluft empfängt uns. Von der Flugplatzcrew werden wir sehr erstaunt, aber freundlich begrüßt.

Natürlich ist die CT Mittelpunkt des Interesses – ein UL ist hier noch nie gelandet. CP besteht aus drei verbundenen Baracken, drei Hangars und einem Tower. Ach ja, das „Arctic Hilton“ nicht zu vergessen, eine Baracke mit Schlafmöglichkeiten für Gäste. Gegen Aufpreis erhalten wir einen Hangarplatz. Constable Point kommt uns vor wie eine Oase im Nichts. Erst Stunden nach der Landung realisieren wir, wo wir eigentlich sind: als wir im Tower sitzend auf den vereisten Fjord blicken und am Telefon die fernen Stimmen unserer Frauen hören. Zwei Inlandflüge unternehmen wir in den folgenden Tagen. Einer führt durch den Scoresbysund/ Nordwestfjord, den mit 360 Kilometern längsten Fjord der Erde. Dieser Flug zählt zu den schönsten Erlebnissen der Tour. Auf einem 745-Kilometer-Rundkurs erkunden wir die Arktis.

Dabei erreichen wir den Rand der Permanenteiskappe Grönlands, den wir in 10 000 Fuß MSL überfliegen. Zum ersten Mal fühlen wir eine gewisse Ohnmacht und Verlorenheit angesichts dieser majestätischen, unberührten Natur – ein Gefühl, das die Nackenhaare senkrecht stellt: schaurig schön. Am fünften Tag unseres Aufenthalts auf Grönland gebietet eine drohende Wetterverschlechterung, den Rückflug anzutreten. Der führt nicht wieder über die Nordsee, sondern von den Färöer-Inseln über Schottland, England und die Niederlande zurück nach Deutschland. Als wir am 26. Juni in Eggersdorf landen, haben wir 10 227 Kilometer zurückgelegt, davon 3690 über Wasser.

Bis an den Rand des ewigen Eises

Neben den unvergesslichen Eindrücken, die uns diese Reise bescherte, muss doch gesagt werden, dass die Flüge zum Teil am Limit entlang führten. Motoren fallen auch bei Echo-Maschinen aus, aber hereinbrechende Stürme oder IMC bringen ein UL schneller aus der Bahn. Zur Nachahmung sei unser Flug deshalb nicht unbedingt empfohlen.

Text und Fotos: Rolf Bausewein & Harro Lorenz, fliegermagazin 2/2006

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