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Beim Start ausgebrochen: Let Z-37A bei einer Airshow in Eisenach-Kindel

Es sollte ein glanzvolles Flugtag-Wochenende werden in Eisenach-Kindel, mit zahlreichen Attraktionen, darunter ein Air Race. Doch schon am ersten Veranstaltungstag schießt ein Agrarflugzeug beim Start in die Zuschauermenge. Es gibt Tote und Verletzte. Und viele Fragen

Von Peter Wolter

Samstag, 26. April 2008, Verkehrslandeplatz Eisenach-Kindel. Bereits um 8.47 Uhr ist die Z-37A von Alkersleben kommend gelandet. Das Agrarflugzeug, eine tschechische Let, soll im Rahmen der „Großflugtage“ eine Feuerlöschübung zeigen und dabei Wasser abwerfen – in seinem Rumpf kann der Tiefdecker bis zu 680 Liter aufnehmen. Zum Briefing der Airshow-Piloten um 9.00 Uhr erscheint auch der Z-37-Pilot. Es ist nicht der, den der Veranstalter ursprünglich für die Feuerlöschübung gemeldet hat; in der Veranstaltungsgenehmigung des Thüringer Ministeriums für Bau und Verkehr steht unter diesem Programmpunkt ein anderer Name. Wie die übrigen Teilnehmer des Flugprogramms trägt sich der 35-Jährige in die Liste der Airshow-Piloten ein, samt Kennzeichen seiner Maschine, und er bestätigt schriftlich, dass er die erforderlichen Erlaubnisse und Berechtigungen sowie einen ausreichenden Trainingsstand und gültige Luftfahrzeugpapiere hat.

Er füllt auch ein Formular „Kontrollblatt für Luftfahrtveranstaltungen“ aus. Darin gibt er Auskunft über verschiedene Dokumente zum Flugzeug, über die Versicherung, seine Lizenz, Berechtigungen, Flugerfahrung und Trainingsstand. Eine Menge Papierkram für einen Piloten, der nur zeigen will, wie eine Z-37 ein paar hundert Liter Wasser aus ihrem Bauch lässt. Allerdings: So wichtig scheint man das „Kontrollblatt“ nicht genommen zu haben. Ein Feld am unteren Rand dient dazu, den Einsatz des Flugzeugs und des Piloten zu genehmigen sowie die Überprüfung der Pilotenangaben zu bestätigen. Dieses Formularfeld bleibt unausgefüllt und ohne Unterschrift. Das ändert nichts am geplanten Ablauf der Vorführung: Nach dem Start soll der 310-PS-Brummer eine Platzrunde drehen, beim parallelen Überflug südlich der Piste sein Löschwasser abwerfen und nach einer weiteren Platzrunde landen.

Airshow: Auch die Let Z-37A gehört zum Flugprogramm

Eine zu große Herausforderung für einen Privatpiloten, der erst 150 Stunden Gesamtflugerfahrung hat, auf Spornradmaschinen 26 und auf dem Muster nur 18? Um 15.00 Uhr rollt der Pilot das geflügelte Arbeitstier zur Abstellfläche nördlich des Turms, um Brauchwasser zu tanken. Das volle Fassungsvermögen schöpft er nicht aus – mit 480 Litern bleibt er 200 unter dem Maximum. Damit wären zwei Bewässerungen von ungefähr der Größenordnung möglich wie bei einem Übungsflug ein Jahr zuvor in Alkersleben. Da hat der Z-37-Pilot ungefähr 200 Liter abgeworfen. Ein Augenzeuge weiß aber auch, dass die Maschine damals beim Start ausgebrochen ist. Nach rechts.

In Eisenach kommt der Wind am Nachmittag des 26. April 2008 mit zwei Knoten aus unterschiedlichen Richtungen. Betriebspiste ist die 28. Das bedeutet: Rechts von der Start- und Landebahn erstreckt sich eine 200 Meter breite Grasfläche, dahinter verläuft der Rollweg C. Auf halber Breite der Grasfläche sind für die Veranstaltung parallel zur Piste Absperrgitter aufgestellt. Dahinter befinden sich allerlei Stände, Fahrgeschäfte und Zelte. Hier halten sich die Zuschauer auf. Mit rund 1780 Kilogramm Abflugmasse, 70 Kilo unter dem erlaubten Maximum, rollt die Z-37 gegen 15.30 Uhr auf die Piste. Backtrack zur Schwelle der „28“. Die hat einen Asphaltbelag, für den Start eine nutzbare Länge von 1720 Metern und eine Breite von 55 Metern. Komfortable Verhältnisse.

Der Start läuft trotzdem komplett aus dem Ruder, dokumentiert von den Videokameras mehrerer Zeugen: Beim Beschleunigen hebt aus der Dreipunktlage heraus zunächst das linke Hauptrad ab, während sich der Sternmotor-Bolide um die Hochachse nach rechts zu drehen beginnt. Dann setzt das linke Rad wieder auf, und das rechte kommt frei. Gleichzeitig dreht sich das Flugzeug um 30 Grad nach rechts und verlässt die Piste. Das Spornrad bleibt die ganze Zeit am Boden. Erst auf dem Gras zwischen Piste und Absperrung hebt die Z-37 mit allen drei Rädern gleichzeitig ab – steil nach oben gerichtet hängt sie in der Luft. Zehn Sekunden später setzt sie erneut kurz auf und verlässt den Boden nochmal für drei Sekunden in nordwestliche Richtung.

Weitere zehn Sekunden später kollidiert die rechte Fläche mit der Dachstütze eines Karussells, das wegen eines Defekts nicht in Betrieb ist, der Außenflügel reißt ab, die Maschine dreht sich nach rechts, prallt mit dem Bug in einen Süßwarenstand und mit dem linken Flügelende in einen weiteren Verkaufswagen. Rund 5000 Besucher halten sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Gelände auf – eine Süßigkeitenverkäuferin wird vom Propeller getroffen, die 45-Jährige stirbt sofort. Zwei Tagen später erliegt ein 14-jähriges Mädchen seinen Verletzungen. Mindestens 14 weitere Personen tragen Verletzungen davon, zum Teil schwere, auch der Pilot. Die Veranstaltung wird sofort abgebrochen.

Let Z-37A: Der Start läuft komplett aus dem Ruder

Vom Piloten waren zum Zeitpunkt der Befragung durch die Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) keine Angaben über den Unfallhergang zu bekommen. Auch der endgültige Untersuchungsbericht der BFU liegt noch nicht vor. Bereits in ihrem „Statusbericht“ haben die Braunschweiger Fachleute aber präzise sämliche Spuren der drei Z-37-Räder im Gras und bis zur Endlage des Wracks beschrieben. Eine ihrer Feststellungen: 38 Meter vor der Stelle, an der die Maschine zum Stehen kam, beginnt eine durchgängige Spur des rechten Hauptrads. Das Flugzeug hatte in dieser möglicherweise längst hoffnungslosen Phase des Startversuchs weitab der Piste also permanent Bodenkontakt. Warum hat der Pilot da immer noch das Gas stehen gelassen?

Warum erlaubte er dem Taildragger überhaupt, mit so wenig Fahrt abzuheben, dass zuerst die Haupträder frei kamen? Unabsichtlich? Die Höhenruder-Trimmfläche war am Wrack leicht nach unten ausgeschlagen (nose up); die Anzeige im Cockpit stand zirka einen Zentimeter hinter der Markierung für die Neutralstellung. Hat der Pilot die Z-37 ihrer leichten Schwanzlastigkeit überlassen oder sogar versucht, sie von der Bahn zu nehmen, obwohl die Geschwindigkeit noch nicht reichte, um unterhalb des kritischen Anstellwinkels zu bleiben? Strömungsabriss beim Abheben? Und dann wiederholt auf dem Gras, bis zum Crash? Der Flugleiter jedenfalls hatte nur einen Gedanken, als er sah, wie sich die schwere Einmot übers Gras in Richtung Zuschauer bewegte. Im Funk rief er: „Gas raus!“

fliegermagazin 10/2008

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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