Unfallakte

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Crash in den Bergen: Steve Fossett wird mit seiner Super Decathlon in Nevada vermisst

Das Verschwinden von Steve Fossett hat weltweit Aufsehen erregt. 
Der Bericht der US-Unfalluntersucher ermöglicht Aufschlüsse über die Ursache.

Von Thomas Borchert

Mitten in der kargen Felswüste von Nevada liegt die Flying M Ranch wie eine Oase. Am malerischen Walker River entlang strecken sich einige Felder, die Ranchgebäude, das Haupthaus mit Pool und zahlreiche Gästehäuser. Etwas entfernt liegt die zwei Kilometer lange Landebahn,daneben die Hangars. In denen steht oder stand schon mal alles, was einen Flieger begeistern könnte: ein Heißluftballon, etliche Segelflugzeuge, eine Cessna 185, ein Helikopter – und die Schmuckstücke: eine kunstflugtaugliche Bellanca 8KCAB Super Decathlon, der Doppeldecker Beechcraft Staggerwing und eine Boeing Stearman.

Wüste und Bergland: Die Startbahn der Flying M Ranch liegt in Nevada (Foto: Patrick Berry).

Solche Pracht gehört nicht irgendwem: Besitzer der Flying M Ranch ist Hotel-Magnat Barron Hilton. Gern lädt er Gäste ein, die seine Flugbegeisterung teilen. Am Morgen des 3. Septembers 2007 interessiert sich einer von ihnen für die Super Decathlon – und auch er ist nicht irgendwer: Steve Fossett, Abenteurer, Weltumflieger, Weltrekordler. Es ist ein perfekter Tag für einen „Sonntags-Ausflug“, wie Fossetts Frau Peggy später sagen wird: Der Himmel ist knallblau; es soll warm werden. Der Chefpilot der Flying M Ranch frühstückt mit Fossett und bereitet die Decathlon mit dem Kennzeichen N240R vor.

Weltumflieger Steve Fossett macht sich in Nevada mit der Super Decathlon auf den Weg

Der prominente Gast will nach Süden zum Highway 395, der am Bergmassiv der Sierra Nevada entlang führt. Bis in 4400 Meter Höhe reichen die Gipfel, die Kalifornien von Nevada trennen. Schon die Flying M Ranch liegt auf 4953 Fuß; bei den dort üblichen Temperaturen sind Dichtehöhe und thermische Turbulenz immer ein Thema. Nur wenige Piloten könnten erfahrener sein als Steve Fossett: Der 63-Jährige hat Berufspilotenlizenzen für Single und Multi Engine, Wasserflugzeug-, Hubschrauber-, Segelflug- und Ballonscheine, dazu Musterberechtigungen für diverse Citations. 6731 Flugstunden gibt er auf seinem Medical-Formular im Februar 2007 an. Mit der N240R ist Fossett etwa 40 Stunden geflogen. Die kunstflugtaugliche Maschine mit einem 180-PS-Einspritzmotor von Lycoming wurde 1980 gebaut und hat etwa 1100 Flugstunden hinter sich.

Der Unfallort liegt in den Bergen der kalifornischen Sierra Nevada nahe Mammoth Lakes (Foto: dpa)

Um etwa 8.15 Uhr Ortszeit startet Fossett. Kurze Zeit später, zwischen 8.25 und 8.35 Uhr, sichtet ein Ranch-Mitarbeiter den orange-weiß gestreiften Hochdecker etwa 15 Kilometer südlich. Der Mann kennt das Flugzeug gut: Es wird oft zum Zusammentreiben der Rinder genutzt. Seiner Beobachtung wird tragische Bedeutung zukommen. Ein Camper weist gegen 10 Uhr seine Freunde auf die vorbeifliegende Super Decathlon hin. Die Wanderer befinden sich 60 Kilometer südlich der Flying M Ranch in etwa 9400 Fuß Höhe, das Flugzeug passiert etwa 2000 Fuß über ihnen. Der Camper berichtet von einem windigen Morgen. Gegen 11 Uhr rechnet der Flying-M-Chefpilot mit Fossetts Rückkehr – doch der kommt nicht. Es beginnt eine der aufwändigsten Suchaktionen der Luftfahrtgeschichte.

Gegen 11 Uhr rechnet der Flying-M-Chefpilot mit Fossetts Rückkehr – doch der kommt nicht

Aus der Luft und zu Fuß wird fast einen Monat lang intensiv ein riesiges Gebiet durchkämmt. Sogar die Fahndung per Internet auf Google-Satellitenbildern wird von 50 000 Personen weltweit genutzt. Doch alle Bemühungen bleiben erfolglos. Am 26. November 2007 stellt Peggy Fossett den Antrag, ihren Mann für tot erklären zu lassen. Mehr als ein Jahr nach dem Verschwinden von Steve Fossett meldet sich am 1. Oktober 2008 ein Wanderer bei der Polizei.

Fast 110 Kilometer südlich der Flying M Ranch, am Minaret Summit nahe Mammoth Lakes, hat er die Pilotenlizenz und persönliche Gegenstände von Steve Fossett gefunden. 800 Meter entfernt liegt das vollkommen zerstörte Wrack der Bellanca, auf einer Höhe von 10 000 Fuß, umgeben von Bergen, die bis auf 13 000 Fuß reichen. N240R ist 100 Meter unterhalb eines Grats in leicht bewaldetem Gelände aufgeschlagen.

Am Unfallort werden alle Wrackteile gefunden

Die Wrackteile verteilen sich aufeiner Fläche von 120 mal 50 Metern. Den ersten Bodenkontakt stellen die Unfalluntersucher vom amerikanischen National Transportation Safety Board (NTSB) durch Farbantragungen an einem Felsen fest, die vom linken Fahrwerksbein und dem Unterboden stammen. Hangaufwärts sind erste Spuren des starken Feuers zu erkennen, das praktisch die gesammte Stoffbespannung von Rumpf und Tragflächen verbrannt hat. 30 Meter weiter liegt der Rumpf, dahinter der Motor.

Am Unfallort werden alle Wrackteile gefunden, allerdings ist es wegen des hohen Zerstörungsgrads nicht möglich, die durchgängige Verbindung der Steuerorgane zu prüfen. Vom Rumpf bleiben wegen der großen Hitze des Feuers nur die Stahlrohre erhalten, die auf ganzer Länge stark verbogen sind.

Abenteurer: Der Amerikaner Steve Fossett umflog 2006 alleine mit dem Global Flyer nonstop die Welt (Foto: dpa)

DNA-Test gibt traurige Gewissheit: Steve Fossett ist tot

Alle Cockpit-Instrumente sind zerstört, Teile finden sich über das gesamte Trümmerfeld verstreut. Dazu gehören auch etliche orangefarbene Bruchstücke vom Gehäuse sowie Platinenteile des ELT-Notsenders, der den Aufschlag nicht überstand. Der Motor zeigt keine Anzeichen interner Vorschädigung. Am Propeller weisen die Spitzen Verformungen nach hinten auf, die Profilvorderkante hat Kratzer und Dellen. Am Wrack finden sich lediglich kleine Knochenstücke, die nicht eindeutig als menschlich identifiziert werden können.

Bei einer erneuten Suche an der Fundstelle der Pilotenlizenz Ende Oktober werden Skelettreste, Tennisschuhe und Kleidung gefunden. Ein DNA-Test ergibt traurige Gewissheit: Es handelt sich um die sterblichen Überreste von Steve Fossett. Das NTSB gibt in seinem Bericht keine Unfallursache an, beschäftigt sich jedoch ausführlich mit dem Wetter und der Leistung der Super Decathlon am Unfalltag.

Die Maschine von Steve Fossett hat plötzlich nur nocheine geringe Steigrate

Aus dem Handbuch entnehmen die Ermittler, dass die Maschine in 13 000 Fuß Druckhöhe bei Standardtemperatur und vollem Gewicht nur noch eine Steigrate von 300 Fuß pro Minute aufweist. Die Wetterdaten der nächstgelegenen Stationen lassen auf eine Temperatur von 18 Grad am Unfallort schließen – 23,2 Grad wärmer als Standard. Daraus ergibt sich eine Dichtehöhe von 12 700 Fuß. Die Windgeschwindigkeit am Mount Warren, etwa 35 Kilometer nördlich in 12 327 Fuß Höhe, liegt bei etwa 35 Stundenkilometern. Ein kalifornischer Meteorologe berechnet mit einem aufwändigen numerischen Computermodell die Windsituation am Unfallort und kommt auf Abwinde in der Größenordnung von 300 bis 400 Fuß pro Minute. Das NTSB lässt offen, ob die Unfallursache darin liegen könnte, dass Fossett aufgrund der reduzierten Leistung seines Flugzeugs in großer Höhe den Abwinden nicht mehr rechtzeitig entkommen konnte, um den Aufschlag am Grat zu vermeiden.

Bild der Zerstörung: Von der Wucht des Aufpralls deformiert und vom Feuer versengt, sind fast nur noch die Metallteile der Flugzeugstruktur erkennbar (Foto: dpa)

Eine Radarspur vom Unfalltag lässt sich nach Auffinden des Wracks eindeutig Fossetts Flug zuordnen. Sie verläuft von 9.07 Uhr bis 9.27 Uhr entlang der Sierra Nevada und endet nur etwa eine Meile nördlich des Unfallorts. Diese Spur wurde während der Suche nicht weiter verfolgt, weil sie zeitlich nicht mit der Sichtung des Flugzeugs durch den Ranchmitarbeiter übereinzustimmen schien: Diese war fälschlich mit der Uhrzeit 9.25 bis 9.35 notiert worden. Erst später stellte sich heraus, dass N240R dort schon eine Stunde früher vorbei geflogen war. Ohne dieses Versehen wäre der Ausgang von Steve Fossetts letzem Flug wohl sehr viel schneller klar gewesen.

fliegermagazin 5/2009

Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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