Unfallakte

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Überschlag im Hafen von Hamburg: Wasserflugzeug-Unfall von Cessna T206H

Die Hamburger Wasserflieger gehörten zu den großen Attraktionen der Hansestadt. Seit dem Unglück im August 2009 ist damit Schluss

Von Redaktion

Wenn es gilt, ein Unglück mit Todesopfern zu beurteilen, ist man mit der Schuldfrage schnell bei der Hand. Liegt menschliches Versagen als Unfallursache nahe, wird der erhobene Zeigefinger gerne zum Markenzeichen der Unfehlbaren. Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) lassen sich zu solchen moralischen Fingerübungen nicht hinreißen. Und das ist gut so. Bei ihren Untersuchungen stehen andere Fragen im Fokus. Das zeigt auch der jetzt veröffentlichte BfU-Bericht zur Havarie eines Wasserflugzeugs in Hamburg.

Am 22. August 2009 ist in Hamburg-Fuhlsbüttel ideales Rundflugwetter. Vom dortigen Flughafen will der Pilot einer Cessna T206H zu einem kurzen Hafenrundflug starten und anschließend auf der Elbe wassern – dort gibt es einen Sonderlandeplatz im Baakenhafen. An Bord sind zwei Passagiere. Das Ehepaar aus Ganderkesee bei Bremen hat den Hafenrundflug als Highlight eines Hamburgbesuchs gebucht. Seit Jahren werden im Hamburger Hafen Rundflüge mit Wasserflugzeugen angeboten. Der 57-jährige Mann und seine 52-jährige Frau lassen sich die Tour knapp 260 Euro kosten. Um 12.45 Uhr hebt die Cessna von der Startbahn 23 in Fuhlsbüttel ab. Bereits kurz nachdem sie die Piste verlassen hat, kommt vom Kontrollturm über Funk die Anweisung, nach links abzudrehen, um den Luftraum für anfliegende Maschinen frei zu machen.

Die Cessna kurvt daraufhin nach Süden und nimmt Kurs auf die Alster. Wenig später überfliegt sie Innen- und Außenalster in einer Höhe von 1300 Fuß. Dann erreicht das Amphibienflugzeug die Landungsbrücken und dreht an der Norderelbe nach links. Der Pilot will den Baakenhafen nun aus nordöstlicher Richtung anfliegen. Im Gegenanflug prüft er nochmals die Beschaffenheit der Wasseroberfläche und hält nach Schiffsverkehr Ausschau.

Hafenrundflug im Wasserflugzeug Cessna T206H

Dann meldet er der Wasserflugstation die bevorstehende Landung und beginnt mit dem ersten „pre landing check“. Dabei überprüft er, ob die Wasserruder eingefahren sind, öffnet die Kühlklappen für das Triebwerk, setzt die Landeklappen auf zehn Grad, stellt den Gemischhebel auf reich und den Propeller auf kleinste Steigung. Dann, so berichtet der Pilot später, habe er die Fahrwerkskontrolllampen überprüft und den Check mit einem Blick auf die mechanische Fahrwerksanzeige am linken Schwimmer abgeschlossen. Dabei sei der Anzeigedraht nicht zu sehen gewesen. Das sechssitzige Amphibienflugzeug hat ein in die Schwimmer integriertes Landfahrwerk: Sind die Räder für Landungen auf festem Untergrund ausgefahren, so ist der Draht in Position „down land“ zu sehen, andernfalls verschwindet er am anderen Ende der Anzeige an der Markierung „up water“. Als der Pilot den Draht nicht sieht, geht er davon aus, dass das Fahrwerk eingefahren ist – ein folgenschwerer Irrtum.

Amphibischer Sechssitzer: Die Cessna T206H hat ein in die Schwimmer eingebautes Fahrwerk und kann damit auch auf festem Boden landen (Foto: Thomas Trede)

Die Cessna setzt zum Endanflug an. Zeugen am Boden berichten, dass das Fahrwerk zu diesem Zeitpunkt voll ausgefahren ist. Beim Ausschweben berühren die Schwimmer samt Rädern die Wasseroberfläche: Die Maschine überschlägt sich, die Frontscheibe bricht. Sofort läuft die Kabine mit trübem Hafenwasser voll. Der Pilot kann sich aus dem kopfüber in der Elbe treibenden Flugzeug befreien. Ohne zu zögern taucht der 44-Jährige nach den Passagieren, die noch in der Kabine sind. Mehrmals wiederholt er die verzweifelten Tauchgänge bis zur Erschöpfung. Zwei Polizisten kommen zu Hilfe, jedoch vergeblich. Erst 37 Minuten nach dem Unfall bergen Rettungstaucher der Feuerwehr die beiden Fluggäste, für das Ehepaar kommt jede Hilfe zu spät.

Trügerisches Grün: Kontrolllampe in der Cessna T206H

Wie kam es zu dem fatalen Fehler des Piloten? Die Experten der BfU führen dazu vor allem die extreme Mehrfachbelastung im Cockpit an. Der Pilot musste nur wenige Minuten nachdem er den umfangreichen Take-off-Check hinter sich gebracht hatte, bereits mit dem Pre-landing-Check beginnen. Zudem hatte er den Funk mit den Towerlotsen am Airport und mit der Wasserflugstation am Hafen abzuwickeln und auf Verkehr im stark frequentierten Luftraum einer Millionenstadt zu achten. Bei einem Rundflug erwarten die Passagiere außerdem ein paar Sätze zu den Sehenswürdigkeiten im Blickfeld. Der Wasserflieger war Pilot, Funker, Navigator und Reiseführer in einem. Die Unfallermittler vermuten, dass sich diese Mehrfachbelastung besonders auf die Aufmerksamkeit negativ ausgewirkt hat.

Möglicherweise wurde dem Piloten dabei gerade seine große Routine zur Falle: Er hatte bei einer Gesamtflugerfahrung von 7141 Stunden etwa 5340 Stunden im Cockpit von Landflugzeugen verbracht, jedoch nur 34 in Wasserflugzeugen. Die Kontrolllampen für ein ausgefahrenes Fahrwerk leuchten in Landflugzeugen üblicherweise grün: alles okay für die Landung. In der Cessna T206H ist es aber bei einer Wasserlandung genau umgekehrt: dann bedeutet Grün „falsche Fahrwerksposition“. Ist das Fahrwerk eingezogen, dann leuchten die Kontrolllampen blau. Am Wrack war der Draht der mechanischen Anzeige übereinstimmend mit der Aussage des Piloten nicht zu sehen. Es ist jedoch möglich, dass einer der Passagiere die Anzeige beim Einstieg über den Schwimmer eingetreten hat, oder dass der Draht erst durch den Überschlag in die falsche Position gerutscht ist.

Eine akustische Warnung hätte dem Piloten vermutlich helfen können, den Fehler zu erkennen. Die in der Cessna vorhandene Tonansage wird jedoch nur ausgelöst, wenn das Flugzeug eine Geschwindigkeit von 80 bis 85 Knoten unterschreitet. Nach den Radaraufzeichnungen hatte die Cessna von Fuhlsbüttel bis zum Baakenhafen aber nie über 80 Knoten Fahrt erreicht.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2011

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