Unfallakte

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Vorführeffekt von Grob 180A „spn-Jet“: Luftzerleger im Tiefflug

Piloten, die die Belastungsgrenzen ihrer Maschinen nicht kennen, stehen schon mit einem Fuß in der „Unfallakte“. Bei Prototypen aber sind die Limits meist noch gar nicht definiert. Trotzdem ist ihre Überschreitung folgenschwer

Von Redaktion
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Der US-amerikanische Flugzeugbauer Cessna und der bayerische Hersteller Grob Aerospace haben eines gemeinsam: Beiden passierte bei der Flugerprobung ihrer jüngsten Modelle der Super-Gau: Totalverlust eines Prototypen. Beim Vorführflug des spn-Jets auf dem Grob-Werksflugplatz ist zumindest fraglich, ob die Sicherheit an erster Stelle stand.


Am 27. November 2006 soll auf dem Sonderlandeplatz Mindelheim-Mattsies geladenen Gästen die Leistungsfähigkeit eines von zwei Erprobungsflugzeugen des Typs Grob 180A – besser bekannt als spn-Jet – demonstriert werden. Um 13.12 Uhr startet der Zweistrahler von der Asphaltpiste und dreht unmittelbar nach dem Abheben in Richtung Norden ab. Der Pilot will in einem weiten Bogen um die nahe gelegenen Ortschaften Zaisertshofen und Tussenhausen herumfliegen und den Platz von Osten ansteuern, um über der Bahn den Demo-Flug zu absolvieren.

Grob Aerospace: Demo-Flug des Prototypen spn-Jet

Für einige Augenblicke verschwindet das Flugzeug nach dem Take-off in den Wolken und taucht kurz darauf mit erhöhter Querneigung im rechten Queranflug wieder auf. Der Pilot geht jetzt in einen leichten Sinkflug über und steuert durch einige Wolkenfetzten. Als der Jet zwischen den Orten Tussenhausen und Mattsies von Osten auf die Piste zuschießt, lösen sich plötzlich Teile vom Leitwerk, wie mehrere Zeugen später berichten. Nur wenige Sekunden danach, um 13.15 Uhr, prallt die Maschine etwa 1500 Meter südöstlich der Schwelle 33 des Sonderlandeplatzes mit hoher Geschwindigkeit auf eine Wiese. Der Pilot hat keine Überlebenschancen.

Rekonstruktion der Flugroute: Nach dem Take-off dreht der Jet nach Nordosten, um die Piste in einem Bogen von Osten anzufliegen. Die Unfallstelle liegt 1500 Meter vor der Schwelle (Foto: BFU)

Das Flugzeug wird so stark zerstört, dass nur wenige Trümmerteile, die von dem Zweistrahler übrig bleiben, größer als zehn Quadratzentimeter sind. Der Rumpf hat sich beim Aufschlag bis zu einen Meter tief in den Boden gebohrt, die Einzelteile des Wracks sind über einen 200 mal 120 Meter großen Korridor verteilt. Bereits wenige Stunden nach dem Unglück nehmen Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) vor Ort die Ermittlungen auf. In dem fast 40 Seiten starken Abschlussbericht, der erst dieses Jahr veröffentlicht werden konnte, haben die BfU-Experten eine umfangreiche Analyse des Unfalls vorgelegt. Die Vorgeschichte samt Zulassungsverfahren und technischen Aspekten wie auch der genaue Verlauf des nur drei Minuten dauernden Unglücksflugs sind in dem Bericht bis ins Detail dokumentiert. Und doch bleiben auch für die BfU-Ermittler einige Fragen offen.

Absturz der Grob 180A „spn-Jet“: Höhenruderteile abgerissen

Schon bei den ersten Untersuchungen am Wrack bestätigen sich die Zeugenaussagen, denen zufolge kurz vor dem Crash Teile des Höhenleitwerks abgerissen sind. Etwa 400 Meter vom Hauptwrack des Jets entfernt finden die Experten Teile des Höhenruders und der unteren Beplankung der linken Höhenflosse sowie die Nasenbeplankung beider Höhenflossen. Zum Abmontieren der Teile kam es offenbar durch Flattern am Leitwerk. Danach sei der Jet nicht mehr steuerbar gewesen, so der BfU-Bericht.

Super-Gau bei Grob Aerospace: Die Mehrzahl der Trümmerteile des Business-Jets spn sind kleiner als zehn Quadratzentimeter, das Wrack ist kaum noch zu identifizieren (Foto: BFU)

Wegen fehlender Flugdaten und dem großen Zerstörungsgrad der Maschine konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, warum es zum Flattern am Leitwerk gekommen war. Die BfU stellt dazu fest: „Der kritische Geschwindigkeitsbereich im Sinne der Nachweisführung für die Flatterfreiheit nach den Vorgaben für die Musterzulassung lag zwischen 261 und 313 Knoten. Der hierbei vorgegebene Sicherheitsfaktor war jedoch nicht zwingend anzuwenden.“ Gemäß Flattergutachten und Flight Clearance Note durfte mit dem spn-Jet eine Maximalgeschwindigkeit von 297 Knoten geflogen werden. Der rechnerische Nachweis dafür, so die BfU, sei plausibel gewesen. Die Ermittler bemängeln jedoch, dass es keine Kontrolle und Überwachung für die Nachweisführung der Flattersicherheit durch den Entwicklungsbetrieb gegeben habe.

Vorführflug: Limit überschritten

Für einen Vorführflug war der spn-Jet an jenem Novembertag zudem sehr schnell unterwegs. Der wahrscheinlich geflogene Geschwindigkeitsbereich wird im Abschlussbericht auf 240 bis 270 Knoten beziffert. Damit lag die Speed zwar deutlich unter dem im Flattergutachten genannten Grenzwert von 297 Knoten. Die BfU bemerkt aber: „Für den Vorführflug bei der gegebenen Wettersituation waren die in der Flight Display Policy festgelegten Vorgaben für ein Reduced Flight Display anzuwenden. Damit war eine maximale Fluggeschwindigkeit von 200 Knoten einzuhalten.“ Dieses Limit hat der Pilot beim Anflug auf die Piste deutlich überschritten.

Abmontiert: Durch Flattern lösten sich kurz vor dem Crash Teile vom Höhenleitwerk ab. Dadurch war die Maschine nicht mehr steuerbar. Möglicherweise war die kritische Geschwindigkeit gering, bei der es zum Flattern kommen kann, durch Vorschädigung der Struktur geringer als berechnet (Foto: BFU)

Auch konnten die BfU-Experten nicht ausschließen, dass durch Vorschädigung der Struktur im Bereich des Übergangs zwischen Ruderhorn und Ruderfläche aufgrund von unzureichender Dimensionierung und Festigkeitsberechnungen die Flattergeschwindigkeit reduziert war. Möglicherweise war die kritische Geschwindigkeit, bei der das Flattern am Leitwerk eintreten kann, aber durch einen ganz anderen Mangel niedriger als erwartet: Die kraftschlüssigen Verbindungen der nachträglich eingebauten Bleikugel-Ausgleichsmassen könnten sich im Flug gelöst haben: Beide Ruderhörner wiesen deutliche Spuren der Kugeln auf, die zusätzlich eingeharzt worden waren und sich womöglich gelöst haben. Sie waren am Unfallort nicht auffindbar.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 7/2010

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