Unfallakte

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Auftriebsverlust beim Landeanflug: Mit dem MTOsport verunglückt ein Trangschrauber in Breitscheid

Helikopter- und Flächenpiloten, die auf einen Tragschrauber umsteigen, müssen sich im neuen Cockpit von alten Gewohnheiten verabschieden. Wer das nicht schafft, fliegt gefährlich

Von Redaktion

Sommer 2011: Ein ehemaliger Bundeswehrpilot bietet im mittelhessischen Breitscheid Rundflüge mit einem speziellen Ultraleichtflugzeug an; es ist ein Tragschrauber vom Typ MTOsport. Eine Merkwürdigkeit der deutschen Gesetzgebung erlaubt es, auf Luftsportgeräten ohne besondere Genehmigung oder Befähigungsnachweise auch kommerzielle Rundflüge anzubieten. Auf militärischem Fluggerät kann der 59- Jahre alte Pilot stolze 9200 Flugstunden vorweisen. Auf dem Gyrokopter sind es dagegen nur 48, etwa 26 davon Trainingsstunden zum Erwerb der UL-Lizenz. Insgesamt hat er 87 Landungen mit Fluglehrer und 55 solo in sein Flugbuch eingetragen.

Verkehrslandeplatz Breitscheid: Mit zwei Grasbahnen, eine davon größtenteils asphaltiert, bietet EDGB viel Platz für Luftsportler. Anspruchs- voll ist der Anflug in Richtung „25“ über den Fichtenhochwald, im Bild links oben (Foto: BFU)

Ab dem Vormittag des 16. Juli 2011 war der noch wenig erfahrene Gyro-Pilot bereits viermal in der Luft, um jeweils für ungefähr eine halbe Stunde Passagierflüge zu unternehmen. Gegen 14.30 Uhr rollt er mit seinem Tragschrauber erneut mit einem Fluggast an Bord zum Start. Der Wind bringt es zu dieser Zeit auf bis zu 25 Knoten in Böen – mehr als die zulässige Seitenwindkomponente des MTOsport. Auf dem Verkehrslandeplatz ist nur wenig Betrieb. Ein Flugleiter wird später berichten, bei den Starts habe es an diesem Tag kaum Probleme gegeben. Dafür seien aber bei allen Piloten Probleme im Landeanflug zu beobachten gewesen. Anflüge von Osten auf die Piste 25 sind bei Südwind unter ortsansässigen Piloten gefürchtet. Der Grund: Ein Fichtenhochwald sorgt dann im Endteil für heftige Turbulenzen und Leewirbel.

Kommerzielle Rundflüge mit dem Tragschrauber MTOsport

Auch an diesem Tag kommt der Wind aus 170 bis 190 Grad und wird von Zeugen als „stark böig“ beschrieben. Um 15.06 Uhr kehrt der MTOsport von seinem fünften Rundflug zurück und dreht zur Landung ein. Er fliegt dieses Mal höher an als bei den vorherigen Flügen. Zeugen beobachten, dass der Pilot die Nase des Gyros in Pistenachse ausrichtet. Etwa 200 Meter vor der Schwelle, nur noch 60 Meter über Grund, rollt die Maschine unvermittelt um die Längsachse nach rechts. Augenblicke später dreht sich der Tragschrauber auch um die Hochachse in dieselbe Richtung und stürzt im gleichen Moment fast senkrecht dem Boden entgegen. Der Pilot kann die Maschine nicht mehr abfangen. Beide Insassen werden beim Aufschlag sofort getötet.

Rekonstruktion: Die ausgelesenen Avionikdaten zeigen die Anflugwege (Foto: BFU)

An der Absturzstelle ist der Tragschrauber kaum mehr als Fluggerät zu erkennen. Der Motor wurde beim Aufprall aus dem Rumpf gerissen, der vordere Rumpfteil ist bis zum Instrumentenbrett zerstört, Pedale, Kugellager und Steuerstangen sind aus den Halterungen gebrochen. An den beiden Rotorblättern stellen die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) Knicke und Falten fest, die Blätter sind gleichmäßig leicht nach oben verbogen: Diese Spuren weisen auf eine geringe Rotordrehzahl beim Absturz hin. Wahrscheinlich, so die BFU-Experten, war die Drehzahl kurz zuvor zusammengebrochen. Ausgelesene Flugdaten der Avionik, die aus dem Wrack geborgen werden konnte, lassen den Schluss zu, dass der Pilot seine Maschine mit Geschwindigkeiten zwischen 90 und 108 km/h im zulässigen Bereich bewegte.

Der Tragschrauber ist 200 Meter vor der Schwelle: Absturz aus 60 Metern Höhe

Die Aussagen von Zeugen, der Gyro habe sich beim Landeanflug auf die verlängerte Pistenachse ausgerichtet, lassen allerdings auf einen Schiebeflug schließen: Unter Umständen war das vom Piloten gewollt, denn bei Flächenflugzeugen dient ein derartiges Manöver auch dazu, rasch Höhe abzubauen. Das Flughandbuch des MTOsport verbietet solche Flugzustände jedoch ausdrücklich. Besonders Umsteiger von Flächenflugzeugen werden vor den besonderen Betriebsgrenzen des Tragschraubers gewarnt: „Die hohe Richtungsstabilität eines Flächenflugzeugs gewohnt, unterlässt ein Umsteiger leicht die notwendige Pedal-arbeit oder, was noch schlimmer ist, wähnt die Grenzen des Schiebeflugs irrtümlich bei vollem Pedalausschlag.“

Keine Chance: Aus 60 Metern Höhe stürzt der Gyro ab. Pilot und Passagier des MTOsport überleben nicht (Foto: BFU)

Zudem flog die Maschine des Unglückspiloten im Endteil durch Turbulenzen. Beides, Schiebeflug und turbulente Luft, führte wohl dazu, dass der Rotor nicht mehr ausreichend von unten angeströmt wurde. Bei einem per Autorotation drehenden Tragschrauberrotor bricht in diesem Fall schlagartig der Auftrieb zusammen. Vermutlich, so die BFU, verstärkte der Pilot unabsichtlich das Abkippen über die rechte Seite noch weiter, indem er reflexartig und wie bei einem Flächenflugzeug üblich Gas nachschob. Bauartbedingt führt das bei einem Tragschrauber aber nicht dazu, die Drehzahl des Hauptrotors zu erhöhen, was die Situation entschärft hätte. So wurde die Durchströmung des Rotors eher weiter verschlechtert. Die geringe Erfahrung auf dem Drehflügler und zugleich eingeübte Abläufe auf konventionellem Fluggerät wurden dem Piloten und seinem Passagier zum Verhängnis.

Umstieg von Flächenflugzeug auf Tragschrauber: Sicherheitsempfehlung der BFU

Die BFU hat im Zuge der Unfalluntersuchungen in Breitscheid nun eine Sicherheitsempfehlung herausgegeben, die die UL-Szene nachhaltig verändern könnte: Das zuständige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung „sollte luftrechtliche Festlegungen treffen, die gewerblichen Personentransport mit Luftsportgeräten nur zulassen, wenn ein hohes Niveau der Flugsicherheit, vergleichbar mit dem für den gewerblichen Personentransport, zum Beispiel mit Flugzeugen, sichergestellt werden kann.“

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 6/2012

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