Unfallakte

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Beim Nachtflug in der Wetterfalle: Piper PA-28 stürzt beim Schulungsflug ab

Am Nachthimmel unterwegs – für viele Privatpiloten eine reizvolle Vorstellung. Doch in der Dunkelheit gibt es wenig Spielraum für Fehler

Von Martin Naß

Beleuchtete Städte, klare Luft und weite Sicht ohne blendende Sonne, vielleicht ein voller Mond – das sind Bedingungen, auf die sich Piloten mit Nachtflugberechtigung freuen, denn sie bieten ein Erlebnis der besonderen Art. Der Aufwand für die Zusatzberechtigung hält sich für PPL-Inhaber in Grenzen, die Kosten liegen zwischen 1000 und 1500 Euro. Fünf Nachtflugstunden gehören dazu, davon drei mit einem entsprechend qualifizierten Fluglehrer, darin enthalten mindestens eine Stunde Überlandnavigation und fünf nächtliche Alleinstarts und -landungen. Dann gibt es den Eintrag in die Lizenz, ganz ohne zusätzliche Prüfung. Auch die vermittelte Theorie wird nicht gesondert geprüft – auf in die Nacht!

Die allerdings verzeiht keine Fehler. Sichtverlust, etwa durch Einflug in Wolken, führt schon bei Tageslicht binnen kürzester Zeit zum Orientierungsverlust, und bei Dunkelheit sind Wolken praktisch nicht zu
erkennen. Umso zwingender sind gute, wenn nicht sogar perfekte Sichtflugbedingungen bei Nachtflügen. Auch gibt es typische Stolperfallen, zum Beispiel das zu frühe Abfangen bei der nächtlichen Landung, weil es in der Dunkelheit schwieriger ist, den Boden zu sehen. Anflughilfen wie PAPI oder VASI, die mit Lichtsignalen die Überwachung des Gleitpfads beim Anflug ermöglichen, sind bei Nacht wichtige Hilfsmittel – doch nicht jeder kleine Platz mit Bahnbefeuerung hat sie. Auf der anderen Seite sind es diese Schwierigkeiten, die ein erfahrener Fluglehrer interessierten Nachtschwärmern anschaulich vermitteln kann.

Piper PA-28: Schulungsflug in der Nacht

Genau das versucht ein 49 Jahre alter Pilot aus den Niederlanden Ende September am Flugplatz Nordhorn-Lingen. Der Inhaber einer Lehr- und Nachtflugberechtigung möchte zwei Piloten die Grundlagen des Nachtflugs erklären. In den Niederlanden ist VFR-Nachtflug zwar nicht erlaubt, doch es gibt die Möglichkeit, außerhalb der Niederlande die entsprechende Zusatzberechtigung zu erwerben. So ist es üblich, mit einer nachtflugtauglichen Maschine in Holland zu starten, die nötigen Stunden in Deutschland zu absolvieren und am nächsten Tag im Hellen in die Heimat zurückzufliegen.

Das ist auch der Plan der drei Piloten. Sie sind im niederländischen Twente mit einer Piper PA-28-181 Archer gestartet und treffen um 19.45 Uhr Ortszeit in Nordhorn-Lingen ein. Nach dem Betanken fliegen sie drei Platzrunden mit Aufsetzen und Durchstarten, dann parken sie das Flugzeug kurz für einen Pilotenwechsel. Ans Steuer setzt sich jetzt ein 46 Jahre alter Niederländer, es ist sein erster Flug bei Nacht. Mit der Piper PA-28 kennt er sich aus, 102 Stunden auf dem Muster stehen in seinem Flugbuch, bei einer Gesamtflflugerfahrung von 193 Stunden. Der erste Pilot wechselt auf einen der beiden hinteren Sitze, dann geht die Einweisung weiter.

Um 20.39 Uhr startet die Piper von der Piste 24 erneut, um Platzrunden zu flfliegen. Acht Minuten später registriert der Flugleiter die Landung mit anschließendem Durchstarten. Augenzeugen beobachten, wie der Tiefdecker nach dem letzten Start viel zu früh und in niedriger Höhe in die südliche Platzrunde eindreht – dann bleibt er verschwunden. Als keine weitere Funkmeldung zur Landung eintrifft, bittet der Flugleiter die Nachtflflieger um eine Positionsmeldung, doch sie antworten nicht mehr.

Acht Minuten später registriert der Flugleiter die Landung mit anschließendem Durchstarten

Zwischen Nordhorn und dem Flugplatz zieht in dieser Nacht ein starker Regenschauer durch, die Bodensicht ist dadurch südwestlich der Piste stark vermindert. Auch sonst sind die Bedingungen alles andere als günstig: Die Sichtweite an diesem Abend beträgt bis zu zehn Kilometer, doch die Wolken hängen tief, mit 1000 Fuß Untergrenze, und sie bedecken den ganzen Himmel. Vereinzelt gibt es Wolkenfetzen in 400 bis 700 Fuß, dazu zeitweise Regen, Wind aus 270 bis 310 Grad, so die Daten des Deutschen Wetterdienstes und des Flugleiters vor Ort. Vermutlich wegen des schlechten Wetters und der fehlenden Sicht dreht der Piper-Pilot so früh und zu niedrig in den Querabflflug: nicht aus Versehen, sondern um die Lichter des Flugplatzes nicht völlig aus den Augen zu verlieren und um nicht in die tief hängenden Wolken und den Dunst über dem nahe gelegenen Wald einzutauchen.

Die Insassen bemerken dabei nicht oder zu spät, dass die Archer Höhe verliert. Der Viersitzer berührt mit der rechten äußeren Tragfläche Bäume, kollidiert nach weiteren 50 Metern erneut und dieses Mal heftftiger mit einem Baum und bricht schließlich auseinander: Die rechte Fläche und das Hauptfahrwerk bleiben in acht bis zehn Meter Höhe im Geäst hängen, 75 Meter von der ersten Baumberührung entfernt kommt der Rumpf mit dem Bugfahrwerk auf dem Boden zum Stillstand, 700 Meter südwestlich vom Ende der Piste 24 entfernt. Der Aufprall ist zu stark, die drei Insassen kommen ums Leben.

Absturz beim Nachtflug: Faktor Mensch

Auf dem Schirm von Bremen Radar taucht das Flugzeug zum letzten Mal um 20.41 Uhr auf. Um 20.50 Uhr löst der ELT-Notsender der Piper Alarm aus, die Suche nach der Maschine beginnt. Erst um 23.00 Uhr wird das Wrack im Wald gefunden. Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) finden keine Hinweise auf einen technischen Defekt an der Piper; sie war trotz ihrer über 7000 Stunden Betriebszeit in einem einwandfreien Zustand. In der Leitung zum Vergaser ließ sich Kraftstoff nachweisen, der Gashebel stand auf Vollgas, der Gemischhebel auf Stellung „Rich“. Trotz der zerstörten Struktur scheint sicher, dass es bis zum Absturz keine technischen Probleme gegeben hat: Zwar wurden die Verbindungen vom Cockpit zum Triebwerk durch den Absturz unterbrochen oder sie waren blockiert, doch die Einstellungen der Bedienhebel stimmten mit denen am Vergaser überein.

Neben der schlechten Sicht und der Dunkelheit haben vor allem menschliche Faktoren zum Absturz geführt, so die Schlussfolgerung der BfU. Die grenzwertigen Bedingungen für einen nächtlichen VFR-Flug haben den Piloten, für den es zudem der erste Nachtflug war, wahrscheinlich überfordert. In der selbst gewählten, abgekürzten Platzrunde blieb noch weniger Zeit für Entscheidungen oder Korrekturen; die Dunkelheit und das schlechte Wetter werden ihr Übriges getan haben, um den Stress zu verstärken.

Ohne sichtbaren Horizont war es für den Piloten ohne Erfahrung im Instrumentenflug nur schwer möglich, die Höhe zu halten, obwohl die Piper die nötige Ausrüstung hatte: Der Höhenverlust entging ihm ebenso wie dem Fluglehrer, der die sich anbahnende Katastrophe nicht rechtzeitig erkannte. Inwieweit er noch ins Fluggeschehen eingriff, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, ob vielleicht der Passagier auf dem Rücksitz das Unheil hatte kommen sehen: Er war nicht nur Berufspilot, sondern besaß auch die IFR-Berechtigung.

fliegermagazin 4/2009

Über den Autor
Martin Naß

Martin Naß war bis Ende 2021 Redakteur des fliegermagazins und dort auf UL-Themen spezialisiert.

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