Unfallakte

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Bruchlandung nach dem Start: Unfall einer Marchetti S.205


Falsch abgehoben Eine vollbeladene Einmot ist beim Startlauf ungewohnt schwerfällig. Statt zu steigen, beginnt sie nach dem Abheben zu sinken

Von Redaktion

Die Physik hat so manches aerodynamische Phänomen im Repertoire, das einem Flugzeug komfortable Leistungsreserven beschert. Dazu gehört der Bodeneffekt: ein Auftriebsplus, mit dessen Hilfe ein Luftfahrzeug bereits in die Höhe gehoben wird, bevor es die im freien Raum nötige Geschwindigkeit zum Steigen erreicht hat.

Woraus sich gleich die trügerische Seite dieses schönen Effekts ergibt, denn das Flugzeug scheint nur aus eigener Kraft zu fliegen. Ohne zusätzliche Leistung bleibt es im Bodeneffekt gefangen, unter Umständen mit dramatischen Folgen. Auch die längste Startbahn ist irgendwann zu Ende. Am 19. Oktober 2014 macht sich der Pilot einer SIAI Marchetti S.205-18/R am Schweizer Verkehrslandeplatz Speck-Fehraltorf (LSZK) startbereit. Er hat an diesem Tag drei Passagiere an Bord und will mit ihnen zu einem Rundflug in der näheren Umgebung aufbrechen. Am späten Nachmittag rollt der Tiefdecker zur Schwelle der Piste 30 und beschleunigt. Während des Startlaufs bemerkt der Pilot, dass der Fahrtmesser nichts anzeigt. Er entscheidet sich deshalb für einen Startabbruch und rollt zurück zur Parkposition. Bei laufendem Motor steigt der 55-Jährige mit einem der Passagiere aus, um das Problem zu beheben: Auf dem Pitotrohr steckt noch die Schutzhülle.

Take-off: Der Tiefdecker gewinnt kaum an Höhe

Etwa zehn Minuten später beschleunigt die Marchetti erneut. Der Pilot rotiert bei einer angezeigten Geschwindigkeit von 65 Knoten und hebt kurz darauf ab. Nach dem Take-off geht er in einen steilen Anfangssteigflug, doch der Tiefdecker gewinnt kaum an Höhe. Das Flugzeug habe sich zwar schwerfällig angefühlt, sagt der Pilot später, doch am Motorengeräusch habe er nichts Ungewöhnliches feststellen können. Auch die Instrumente hätten eine normale Triebwerksleistung angezeigt. Dennoch verliert der Tiefdecker plötzlich Höhe. Trotz der anscheinend unzureichenden Leistung für den Anfangssteigflug ertönt aber keine Überziehwarnung – die ungewöhnliche Trägheit der Einmot scheint also nicht gefährlich zu sein, so die Schlussfolgerung des Piloten.

Allrounder aus Italien: Die SIAI Marchetti S.205 wurde als militärisches Verbindungsflugzeug, als Schulmaschine und zum Seglerschlepp entworfen (Foto: Jerry Gunner)

Allerdings erkennt er, dass es nicht sinnvoll ist, unter diesen Umständen weiterzufliegen – er bricht den misslungenen Steigflug ab und setzt zu einer Außenlandung an. Er zieht den Gashebel zurück und stellt die Landeklappen auf 15 Grad, erste Stufe. Kurz darauf setzt die Marchetti mit großem Anstellwinkel 57 Meter hinter dem Pistenende auf einer Wiese auf. Nach 64 Metern Rollstrecke überquert der Tiefdecker eine Landstraße und schießt anschließend in ein angrenzendes Maisfeld. Dabei reißt das Fahrwerk ab, und die Maschine wird stark beschädigt. Als das Flugzeug schließlich 188 Meter hinter der Schwelle zum Stehen kommt, können alle Insassen die Kabine unverletzt verlassen.

Noch am selben Tag nimmt die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) die Ermittlungen auf. Die Analyse des 180-PS-Triebwerks zeigt, dass die Leistungsprobleme nicht auf technische Mängel zurückzuführen sind. Auf dem Prüfstand zeigt der Lycoming O-360-A1A-Vierzylinder die normale Leistung.


Untersuchung des Kleinflugzeugs: Viele Defekte, keine Ursache

Zum Allgemeinzustand der Maschine fällt das Urteil der Experten dagegen wenig schmeichelhaft aus: „nicht lufttüchtig“. Obwohl die letzte Jahreskontrolle erst vier Wochen beziehungsweise neun Flugstunden vor dem Unfall dokumentiert wurde, stellen die Ermittler zahlreiche Mängel fest. So wurde das Flugzeug vor kurzem erst mit falschem Kraftstoff betankt, es gibt Defekte an der Auspuffanlage, die elektrische Verkabelung ist nicht fachgerecht, zudem sind Lager, Schläuche, Dichtungen und Manschetten aus Gummi marode.

Überall Mängel: Die elektrische Verkabelung ist teils abenteuerlich installiert (Foto: SUST)

Ebenso überraschend wie die lange Liste an technischen Mängeln ist jedoch: Keiner davon ist die Unfallursache. Die Aufzeichnung des Flugwegs liefert den Ermittlern die entscheidenden Daten. Dabei zeigt sich, dass die Maschine zwar die zum Abheben notwendige Fahrt von 65 Knoten erreicht hatte, nach den GPS-Daten jedoch wahrscheinlich erst kurz vor Pistenende und nicht bereits nach zwei Dritteln der Piste, wie es der Pilot aus seiner Erinnerung zu Protokoll gab.

Einmal in der Luft, nutzte er dann den Bodeneffekt nicht dazu aus, um weiter Fahrt aufzunehmen, sondern versuchte, mit steilem Anstellwinkel wegzusteigen, was nicht gelang. Ein leider häufig gemachter Fehler. Dass der Pilot daraufhin ohne großes Zögern die richtige Entscheidung zu einer Außenlandung traf, ist wiederum ein glücklicher Umstand, denn auf der langen Liste technischer Mängel stand auch eine Funktionsstörung der akustischen Überziehwarnung. Einen bevorstehenden Strömungsabriss hätte der Pilot wohl zu spät bemerkt.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 7/2018

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