Unfallakte

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Flächenbruch im Flug: UL Skyboy stürzt trotz Rettungssystem ab

Gerne klagen Piloten über bürokratische Hürden und überflüssige Verordnungen. Einige Vorschriften sind aber durchaus sinnvoll und verhindern Katastrophen – falls die Verantwortlichen sich daran halten

Von Redaktion

Hundertprozentige Sicherheit gibt’s nicht. Dieser Satz ist häufig zu hören, wenn es darum geht, unserem Verlangen nach einer Existenz ohne Risiko eine grundsätzliche Absage zu erteilen. Schließlich kann man sich im Extremfall auch zu Hause beim Zähneputzen den Hals brechen. Dass aber schon eine 99-prozentige Sicherheit den meisten Piloten ein langes Leben beschert, hört man seltener: Etablierte Sicherheitsstandards reduzieren die Risiken erheblich und können im Ernstfall für einen glimpflichen Ausgang sorgen. Sofern sie sorgfältig umgesetzt werden.

Der Pilot eines zweisitzigen Ultraleichtflugzeugs vom Typ Skyboy hat an einem Frühsommertag im Juni 2006 keinen Grund, sich mit solchen Problemen zu beschäftigen. Flugzeug und Rettungsgerät sind musterzugelassen, alle Nachprüfscheine gültig, die Sicherheitsstandards also erfüllt. Zumindest auf dem Papier. Auf dem rheinland-pfälzischen Sonderlandeplatz Neumagen-Drohn macht er seine Maschine startklar. Um 12.25 Uhr rollt der Hochdecker auf die Graspiste, beschleunigt und hebt Augenblicke später ab. In einer Linkskurve verlässt das UL die Platzrunde und steigt auf 2500 Fuß. Das Ziel des Piloten: Hildesheim, etwa 330 Kilometer in nordöstlicher Richtung.

UL Skyboy: Neue Querruder vor dem Unfall

Das UL mit Pusher-Antrieb wurde erst kurz zuvor umgerüstet und mit den jüngsten Neuerungen der Baureihe ausgestattet: Anstelle der Flaperons (kombinierte Querruder und Klappen über die gesamte Hinterkante der Tragfläche) montierte der Hersteller konventionelle Querruder, außerdem wurde das Profil überarbeitet. Darüber hinaus bekam der Skyboy einen neuen Motor und ein neues Rettungssystem. Kurz nachdem das UL die Reiseflughöhe erreicht hat, muss der Pilot ungewöhnliche Vibrationen an der Fläche bemerkt haben. Dann plötzlich ein heftiger Schlag.

Rettung behindert: Nach dem Ausschießen der Rakete konnte sich der Schirm nicht entfalten. Der Propeller erfasste die Leinen und kappte einige davon, andere wickelten sich um die Propellerachse (Foto: BFU)

Schwingungen schütteln jetzt die ganze Maschine durch wie in einem Gewittersturm. Um die Längsachse ist das UL nicht mehr steuerbar, die Querruder scheinen sich frei zu bewegen und schaukeln das Flugzeug derart auf, dass sich die Flügel bedrohlich zu biegen beginnen. Um 12.34 Uhr, nur neun Minuten nach dem Start in Neumagen-Drohn, widerfährt dem Mann im Cockpit der Alptraum eines jeden Piloten: In einer Höhe von 2500 Fuß knickt der linke Flügel nach unten ab und löst sich vollständig vom Rumpf. Die letzte Hoffnung ist jetzt der Rettungsschirm, an dem das Leben des 38-Jährigen hängt wie an einem seidenen Faden. Geistesgegenwärtig löst er vermutlich in diesem Moment das Gesamtrettungssystem aus.

Leinen des Rettungsschirms werden vom Prop erfasst

Die Rakete durchschlägt den Rumpf zwischen den Tragflächen und zieht den Packschlauch vollständig vom Rettungsschirm ab. Doch kaum ist der Schirm frei, werden seine Leinen von den Propellerblättern erfasst. Einige kappt der Prop sofort, die übrigen wickeln sich samt Rettungsschirm um Propellernabe und Leitwerksträger. Zeugen beobachten, wie das UL nach links abkippt und in einer schraubenartigen Bewegung dem Boden entgegenstürzt. Dann schlägt es hart in einer Waldschneise auf und kommt in Rückenlage zum Stillstand. Durch den harten Aufprall hat der Pilot keine Überlebenschance. Er ist sofort tot. Rettungskräfte und Feuerwehr bergen das Wrack etwa vier Kilometer nordöstlich von Neumagen-Drohn. Der abgebrochene Flügel hängt zirka 70 Meter von der Unglücksstelle entfernt in einem Baumwipfel. Packschlauch und Raketenmotor des Rettungsgerätes werden 30 Meter vor dem Wrack geborgen.

Hinter dem zerstörten UL liegt ein Knäuel aus Stoff und Leinen: der Fallschirm. Alle vier Blattspitzen des Propellers sind geborsten und liegen in der näheren Umgebung verstreut. In den noch festgezurrten Gurten finden Helfer die Leiche des Piloten. Um die genaue Ursache für den Bruch der linken Tragfläche zu finden, wird das Wrack zur Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BfU) nach Braunschweig gebracht. Dort zeigt sich, dass das Ansteuerrohr des Queruders unmittelbar vor dem Abmontieren der Fläche aufgrund starker Vibrationen gebrochen sein muss. Durch simulierte Vibrationen an einem Flügel gleicher Bauart identifizieren die BfU-Experten zwei Arten von Schwingungen, die den Bruch verursacht haben: zum einen so genannte Torsionsschwingungen, die aus der Drehbewegung der Steuerstange herrühren, zum anderen extreme Biegeschwingungen an der Tragfläche. Nietbohrungen am Steuerrohr und die hohe Eigenspannung des Materials haben den Ergebnissen der Tests zufolge den Bruch begünstigt.

Rettungssystem: Letzte Hoffnung versagt

Das geborstene Steuerrohr war demnach ursächlich für den Verlust der linken Tragfläche. Weitere Versuche bestätigen dies: Das frei schwingende Querruder hatte offenbar durch seine Masse und die Schwerpunktlage hinter der Drehachse die gesamte Tragfläche in Biegeschwingen gebracht. Durch die enormen Kräfte, die die Tragfläche über die Belastungsgrenzen aufschaukelte, knickte die linke Strebe ein. Im Folgenden brach auch der linke Flügel und löste sich vollständig vom Rumpf.

Abmontiert: Nachdem das Ansteuerrohr des Querruders gebrochen war, knickte die linke Fläche nach unten ab. (Foto: BFU)

In dieser Situation war der Pilot dem Geschehen hilflos ausgeliefert. Seine einzige und letzte Chance: das Gesamtrettungssystem. Zu dessen Versagen stellt die BfU fest: „Die Anordnung des Rettungssystems vor dem Druckpropeller hat die Behinderung des Entfaltungsvorgangs begünstigt. (…) Damit waren die Lufttüchtigkeitsforderungen für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge als auch für Rettungsgeräte für Ultraleichtflugzeuge nicht erfüllt.“ Trotz der gültigen Musterzulassung für Luftsportgerät und Rettungssystem sowie für deren Kombination versagte die Gesamtrettung vollständig. Und die Lufttüchtigkeitsanforderungen für Rettungsgeräte sind unmissverständlich. In Unterkapitel 2.4 heißt es: „Es muss sichergestellt sein, dass das Rettungsgerät beim Entfaltungsvorgang nicht von benachbarten Teilen behindert oder eine Entfaltung total verhindert wird. Nach Auslösung muss die Öffnung der Verpackung und die Entfaltung der Fallschirmkappe zügig und störungsfrei erfolgen.“

Kein hindernisfreier Ausschuss des Rettungsfallschirms

Ergänzend ist in den Lufttüchtigkeitsanforderungen für aerodynamische Ultraleichtflugzeuge, Anhang 1, zu lesen: „Der Einbau des Rettungsgeräts muss zwischen dem Hersteller/Musterbetreuer des ULs und dem Hersteller/Musterbetreuer des Rettungsgeräts abgestimmt werden. (…) Es muss sichergestellt werden, dass ein Kappen der Tragseile durch den Propeller oder andere Teile des ULs verhindert wird.“ Beides war im Fall des Pusher-ULs aus Neumagen-Drohn offensichtlich nicht der Fall. Der laxe Umgang mit solchen Anweisungen – nur in Einzelfällen zwar, aber in diesen wenigen umso deutlicher – erhöht das Risiko für die meisten Piloten ohne Not und bringt darüber hinaus eine ganze Szene in Misskredit. Denn DAeC, DULV, UL-Flugzeugbauer und Musterbetreuer zeigen, dass es auch anders geht. Viele Rettungsschirmöffunungen haben bewiesen, dass solche Systeme nicht ohne Grund zu jenen Sicherheitsstandards gehören, die Piloten ein langes Leben bescheren.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2010

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