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Flugzeugabsturz in Karlsruhe: War der Pilot Schuld daran?

Der Landeanflug einer Zweimot geht völlig schief, der Pilot überlebt den Absturz schwer verletzt. Die Untersuchung fördert verstörende Details zutage. Ein Fakt: Der Pilot ist fast blind.

Von Martin Schenkemeyer
Flugzeugabsturz in Karlsruhe- war der Pilot Schuld?

Der eine oder andere Pilot kennt das Gefühl möglicherweise. Man merkt, dass der eigene Körper in die Jahre kommt. Der Besuch beim Fliegerarzt wird langsam, aber sicher zum großen Hoffen und Bangen. Umso befreiender ist es, wenn man ein neues Medical in den Händen hält. Verschweigen sollte man dem Flugmediziner des Vertrauens seine Leiden jedoch nicht.

Der Pilot einer zweimotorigen Piper PA-60-601P Aerostar ging leichtfertig mit der eigenen Flugtauglichkeit um. Möglicherweise führte genau das zu einem vermeidbaren Flugzeugabsturz in Karlsruhe. Der 77-Jährige startet bei CAVOK-Bedingungen zu einem Sichtflug von Bitburg (EDRB) mit Ziel Karlsruhe/Baden-Baden (EDSB).

Die Piper PA-60 Aerostar (hier ein baugleiches Muster) ist ein zweimotoriges Geschäftsreiseflugzeug, es bietet Platz für fünf Passagiere und den Piloten.

Flugzeug flog während Landeanflug zu tief

Ungefähr um 12.33 Uhr Ortszeit nimmt der Piper-Pilot Kontakt mit dem Platzverkehrslotsen des Zielflughafens auf. Dieser informiert ihn über die aktive Betriebspiste 21 und erteilt die Freigabe zum Einflug in die Platzrunde. Der Lotse entdeckt das Flugzeug schließlich im Bereich des rechten Queranflugs und bemerkt, dass es viel zu tief fliegt. Mehrfach macht der Lotse den Piloten darauf aufmerksam.

Dieser gibt im Nachhinein an, dass er im rechten Queranflug das Fahrwerk ausgefahren und die Landeklappen auf 20 Grad gesetzt habe. Die Fluggeschwindigkeit betrug nach seiner Erinnerung 120 Knoten. Weiterhin sagte er aus, dass er den Anflug unter Kontrolle hatte. Nachdem er die PA-60 im Endanflug stabilisiert habe, sei plötzlich das linke Triebwerk ausgefallen. Das Flugzeug sei dann um die Längsachse nach links gerollt. Er habe keine Möglichkeit mehr gesehen, die Maschine innerhalb der verbleibenden Flughöhe wieder unter Kontrolle zu bringen.

Flugzeugabsturz in Karlsruhe: Pilot überlebt schwerverletzt

Um 12.43 Uhr berührt der sechssitzige Mitteldecker einen Acker nordöstlich der Schwelle 21 und wird dabei zerstört. Das Flugzeug gerät in Brand. Der Pilot überlebt den Unfall schwer verletzt. Glücklicherweise sind zwei Ersthelfer rasch vor Ort und können dem Verunglückten beim Aussteigen helfen.

Bei der Untersuchung des Wracks nehmen die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung zunächst die Triebwerke ins Visier. Auffällig ist, dass alle Propellerblätter Schlagmarken aufweisen und die Blattspitzen nach hinten gebogen sind. Außerdem finden sich auf einer Länge von zehn Zentimetern Einkerbungen im äußeren Bereich der Propellerblatt-Vorderkanten.

Der Anflug der Piper auf den Airport Karlsruhe/ Baden-Baden entspricht keinesfalls einer Standard- Platzrunde gemäß NfL II37/00.

Fakten und Pilotenaussage widersprechen sich

Dies lässt laut BFU darauf schließen, dass beide Motoren zum Zeitpunkt des Bodenkontakts noch Leistung produzierten. Diese Feststellung steht jedoch im Widerspruch zur Aussage des Piloten, nach der das linke Triebwerk im Endanflug plötzlich ausgefallen sei.

Als nächstes betrachten die Untersucher den Flugweg der Piper. Es erfolgt eine Auswertung der GPS- und Radardaten des Unfallflugs. Es zeigt sich, dass die PA-60 im Gegenanflug nur zirka 730 Meter querab der Pistenschwelle flog, als der Pilot eine Rechtskurve einleitete. Laut BFU betrug die Querneigung durchschnittlich 45 Grad. Der Pilot kurvte kontinuierlich vom Gegen- in den Endanflug und flog die Platzrunde dabei zu eng.

Bis zur Landebahn fehlen nur wenige hundert Meter, doch der Endanflug ist völlig aus dem Ruder gelaufen.

Medizinische Vorgeschichte: Flugzeugabsturz in Karlsruhe

Mit 120 Knoten lag die Fluggeschwindigkeit über der Geschwindigkeit, bei der ein Stall bei diesem Manöver eintritt. Außerdem lag sie zehn Knoten oberhalb der Geschwindigkeit, mit der das mehrmotorig Flugzeug bei einem einseitigen Motorausfall noch kontrollierbar ist (Vmca). Die BFU geht davon aus, dass die viel zu eng geflogene Platzrunde zum nicht stabilisierten Anflug beigetragen hat. Doch ist es die einzige Unfallursache?

Als weiteren Aspekt betrachten die Ermittler die medizinische Vorgeschichte des Unfallpiloten. Die Ergebnisse seiner letzten Tauglichkeitsuntersuchung zeigen abgesehen von der Verpflichtung zum Tragen einer Gleitsichtbrille, keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dies deckt sich überraschenderweise nicht mit den Befunden, die im Rahmen des Krankenhausaufenthalts nach dem Unfall erhoben worden sind. Neben erhöhtem Blutdruck und einer Erkrankung des Herzens haben die Ärzte eine erhebliche Verminderung des Sehvermögens festgestellt.

Eigene Limits ignoriert: Pilot ist fast blind

Im Aufnahmeprotokoll des Krankenhauses vermerkte das Personal: »Verletzung am linken Auge vor 12 Jahren – Auge blind«. Dies gab der Pilot laut Krankenhaus bei der Aufnahme selbst an. Letztlich konnte nicht geklärt werden, ob er auf dem linken Auge vollständig blind war oder noch teilweise sehen konnte. Für die BFU ist es jedoch völlig unverständlich, dass ein derartiger Befund über mehrere Jahre bei der Tauglichkeitsuntersuchung nicht erkannt wurde.

Eine Stellungnahme des zuständigen Flugmediziners liegt nicht vor. Basierend auf den Aussagen des Piloten geht die BFU von einem in der linken Gesichtshälfte stark eingeschränkten Gesichtsfeld aus. Im Zusammenhang mit einer am gesunden rechten Auge festgestellten Hornhautverkrümmung wäre die Ausstellung eines Medicals der Klasse 2 höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen.

Flugzeugabsturz in Karlsruhe wäre vermeidbar gewesen

Aufgrund des eingeschränkten Gesichtsfelds vermuten die Untersucher einen erhöhten Mehraufwand beim Erfassen aller Instrumente und bei der räumlichen Wahrnehmung. Die BFU geht nicht von einem Triebwerkausfall aus. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine potenzielle Triebwerkstörung in Kombination mit dem instabilen Anflug sowie der Konfiguration des Flugzeugs zu einer Überforderung des Piloten und letztlich zum Kontrollverlust geführt hat.

Somit wäre der beschriebene Unfall höchstwahrscheinlich vermeidbar gewesen. Der Pilot hätte eine ordnungsgemäße Platzrunde, verbunden mit einer geringeren Arbeitsbelastung, fliegen müssen. Vor allem aber seine eigenen Limits hätte er erkennen und realistisch bewerten müssen. Denn nach allem, was man über seine medizinische Vorgeschichte am Ende weiß, wäre es das Beste gewesen, wenn er erst gar nicht mehr als Pilot in Command eingestiegen wäre.

Fliegerische Laufbahn rechtzeitig beenden

Auch das gehört schließlich zu einem verantwortungsvollen Piloten. Sich selbst immer wieder zu fragen, ob man wirklich »fit to fly« ist. Im Zweifel den Flugmediziner seines Vertrauens aufzusuchen und schlimmstenfalls die eigene fliegerische Laufbahn rechtzeitig zu beenden.

Text: Martin Schenkemeyer

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Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

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