Unfallakte

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Irrflug im IMC: Hubschrauber-Absturz eines Hughes 369 in Marl-Loemühle

Tiefe Wolkenuntergrenzen, marginale SIcht oder Wind aus schnell wechselnden Richtungen: Was für Flächenflieger eine tödliche Gefahr sein kann, erfordert von Heli-Piloten manchmal nicht mehr als eine Fingerübung. Ohne Sicht wird aber auch ein Hubschrauber-Cockpit zur Todesfalle – wenn Maschine und Pilot VFR unterwegs sind

Von Redaktion

Wenn’s mit dem Wetter mal eng wird, ist es ein gutes Gefühl, in einem Heli zu sitzen: Sicherheits- und Notlandungen auf dem nächstbesten Supermarktparkplatz oder sogar in Nachbars Garten sind im Fall der Fälle kein Problem, Wind von der Seite oder von hinten bringt einen Heli-Piloten sowieso nicht aus der Ruhe, schließlich kann sich ein Hubschrauber in jede beliebige Richtung drehen. Andere Gefahrensituationen gelten für Drehflügler dagegen genauso wie für Flächenflieger: Eine davon heißt IMC (Instrumental Meteorological Conditions). Ein britischer Hubschrauberpilot fühlte sich mit seinem Fluggerät vermutlich zu sicher – und flog ohne IFR-Lizenz in Wolken ein.

Es ist ein ungemütlicher Novembertag: Nieselregen, Temperaturen unter zehn Grad und eine tiefliegende Wolkendecke. Der Pilot einer Hughes 369 D, ein leichter fünfsitziger Turbinenhelikopter, will vom Verkehrslandeplatz Marl-Loemühle nördlich des Ruhrgebiets zu einem privaten Flug nach Idar-Oberstein im Hunsrück starten. Begleitet wird er von einem weiblichen Passagier. Um 11.55 Uhr startet der Heli und nimmt Kurs nach Süden. Etwa fünf Minuten später meldet sich der Pilot bei Düsseldorf Information. Er will auf 3000 Fuß steigen. Zu dieser Zeit liegt die Wolkenuntergrenze in Marl-Loemühle mit vier Achtel in 900 Fuß, in 1500 Fuß sind sieben Achtel des Himmels bedeckt.

Privater Flug mit Hughes 369 von Marl-Loemühle

Der Hubschrauber steigt in den folgenden Minuten in Absprache mit dem Lotsen weiter auf knapp 6000 Fuß und wird dann angewiesen, die Frequenz von Düsseldorf Radar zu rasten. Die Wolkenobergrenze ist dem Heli-Piloten zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht bekannt. Vom Radar-Lotsen erfährt er, dass ein Weiterflug zum Zielflugplatz nach VFR nicht möglich sei. Auf die Frage vom Tower, ob er nach IFR weiterfliegen könne, verneint der Brite, bittet aber zum Erstaunen des Lotsen um einen radargeführten Sinkflug durch die Wolken (cloud breaking). Der Lotse verweigert dies mit Hinweis auf die fehlende Instrumentenflugberechtigung.

Ohne Absprache mit dem Tower dreht der Heli jetzt nach Norden ab. Er will nach Marl-Loemühle zurückfliegen und bittet erneut um einen radargestützten Sinkflug durch die Wolken. Der Heli fliegt inzwischen über einer geschlossenen Wolkendecke mit Untergrenzen in 1200 Fuß. Wenig später meldet der Pilot Vereisung an den Rotorblättern. Er ist jetzt in Wolken und verliert deutlich an Höhe. Ein weiteres Mal bittet er um einen geführten Sinkflug auf 3500 Fuß, offenbar will er die Ablehnung des Lotsen nicht akzeptieren; der aber darf ihn ohne entsprechende Voraussetzungen nicht radargestützt durch IMC leiten. Ohne die Wolken zu verlassen, sinkt die Maschine weiter auf 2500 Fuß. Der Irrflug nimmt kein Ende. Auf Anweisung des Controllers leitet der Pilot wieder einen Steigflug ein.

Der Irrflug nimmt kein Ende

Um 12.34 Uhr meldet er schließlich „Mayday, Mayday“. Diese Entscheidung kommt zu spät, wie sich kurz darauf zeigen wird. Die genaue Art der Notlage bleibt indes unbekannt. Um 12.35 Uhr versucht der Lotse den Hubschrauber über Radar zum Flughafen Köln-Bonn zu leiten. Der Pilot soll auf Südkurs drehen und wieder auf 3500 Fuß steigen. Der letzte Funkspruch aus dem Heli-Cockpit kommt nur noch bruchstückhaft an: „We are out of …“ – ob der Pilot „out of IMC“ oder „out of control“ melden wollte, bleibt rätselhaft. Zeugen berichten später, dass die Hughes um 12.37 Uhr bei geringer Flugsicht mit starker negativer Längsneigung aus tief hängenden Wolken dem Boden entgegen schießt. Kurz darauf kracht sie nur wenige Meter neben einem Mehrfamilienhaus am Rande der Ortschaft Lindlar-Fenke auf eine Wiese. Pilot und Passagier sind vermutlich sofort tot. Die Kabine des Hubschraubers wird völlig zertrümmert und fängt Feuer. Der Brand vernichtet sämtliche Unterlagen an Bord.

Die Experten der Bundestelle für Flugun- fall-Untersuchungen (BFU) stellen bei den folgenden Nachforschungen an der Unglücksmaschine keinen Hinweis auf einen technischen Mangel fest. Wieviel Flugerfahrung der Pilot hatte, konnte aufgrund der verbrannten Unterlagen nicht geklärt werden. Mehr Aufschluss bringt ein genauerer Blick auf die Wetterlage: Die Wolkenuntergrenze reichte zum Zeitpunkt des Unglücks über dem Flughafen Köln-Bonn, 25 Kilometer von der Unfallstelle entfernt, bis 900 Fuß über Grund. Die Aufschlagstelle im Bergischen Land liegt auf etwa 900 Fuß MSL. Zeugen sagen aus, dass dort zum Unfall-Zeitpunkt nebliges, regnerisches Wetter mit Sichten unter 1000 Metern herrschte. Die Hügel oberhalb einer Höhe von 60 Metern seien komplett von Wolken verhüllt gewesen.

Heli-Pilot: On top fliegen, ohne die Wolkenobergrenze zu kennen

Die Unfall-Experten der BFU kommen zu dem Ergebnis, dass der Heli-Pilot bereits durch seine Entscheidung, on top zu fliegen, ohne die Wolkenobergrenze zu kennen, die nachfolgenden Ereignisse eingeleitet habe. Eine weitere fatale Fehlentscheidung: Er flog ohne Instrumentenflugberechtigung in IMC ein. Schließlich, so geht aus dem Untersuchungsbericht hervor, sei er in ein Gebiet mit Vereisungsbedingungen geraten und habe vermutlich auch dadurch die Kontrolle über seine Maschine verloren. Bei ihren Nachforschungen stoßen die Experten aber noch auf ein weiteres brisantes Detail: Der Pilot besaß weder eine deutsche noch eine amerikanische Lizenz, sondern lediglich eine britische Helikopter-Lizenz. Zu dem Flug mit einem N-registrierten Hubschrauber über deutschem Gebiet hätte er also gar nicht starten dürfen.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2008

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