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Kontrollverlust in den Wolken: Wider allen Regeln
Wenn ein Pilot die Grenzen der Physik und des Luftrechts so konsequent missachtet wie bei diesem Unfall, ist der tödliche Ausgang kaum verwunderlich. Drei Passagiere starben mit ihm.

Die meisten Regeln, die für Piloten beim Fliegen gelten, sind mit Blut geschrieben: Viele der Vorschriften, die das Flugzeug heute zu einem der sichersten Verkehrsmittel der Welt machen, sind aus Unfällen hervorgegangen. Eine ganze Kette von Regelverstößen endet im November 2023 mit dem Absturz einer Cirrus SR20. Doch auch dieses Unglück könnte letztlich die Sicherheit erhöhen.
Am Morgen des Unfalltags fliegt der 50 Jahre alte verantwortliche Luftfahrzeugführer gemeinsam mit einem anderen Piloten vom österreichischen Schärding/Suben (LOLS) zunächst nach Salzburg (LOWS). Dort steigen zwei Passagiere zu, bevor die Maschine zu einem ereignislosen Flug in die kroatische Hauptstadt Zagreb (LDZA) aufbricht. Schon bei diesem Flug ist die Maschine allerdings überladen, der Schwerpunkt liegt hinten außerhalb des zulässigen Bereichs.
Cirrus SR20 ist überladen – Pilot hat keine IFR-Berechtigung
Am Nachmittag gegen 14 Uhr hebt der Tiefdecker in Zagreb zum Rückflug nach Sichtflugregeln in Richtung Salzburg ab – der Pilot hat keine IFR-Berechtigung. Die Wettervorhersage für den Flug über die Alpen ist schlecht: Eine starke Föhnströmung von Süden dominiert das Wettergeschehen; zusätzlich lässt eine Kaltfront ihre Muskeln spielen. Für Salzburg sind Niederschläge und eine auf 5000 Fuß absinkende Nullgradgrenze vorhergesagt.
Foto: Österreichisches Bundesheer
Auf dem ersten Streckenabschnitt ist das Wetter jedoch passabel. Die Cirrus nimmt in 11 500 Fuß Höhe Kurs auf die Mozartstadt. Etwa eine Stunde nach dem Start ruft der Pilot Wien Information und erbittet nahe Zeltweg in einer Höhe von 8800 Fuß Verkehrsinformationen. Dies sollte der letzte Funkkontakt mit der Crew der SR20 sein. Ab diesem Zeitpunkt verläuft der Flug alles andere als geplant. Nachdem die Maschine ihre Reiseflughöhe verlassen hat, haben die Piloten offenbar Probleme, die Höhe zu halten. Außerdem sinkt die Geschwindigkeit über Grund auf niedrige 84 Knoten.
Augenzeugen werden später berichten, dass die Maschine kurz darauf mit lautem Motorengeräusch und erheblicher Schräglage aus den Wolken kommt und mit großer Wucht in ein Waldgebiet nahe der Gemeinde Tamsweg einschlägt. Die Unfallstelle liegt 1250 Meter über dem
Meeresspiegel. Die Insassen haben keine Chance, den Aufprall zu überleben.
Gefahr durch das Rettungsgerät
Den österreichischen Ermittlern der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB) bietet sich vor Ort ein Bild des Grauens. Der Einschlag der Cirrus war derart heftig, dass sich der Propeller zirka 1,5 Meter tief ins Erdreich gegraben hatte. Eine Untersuchung des Wracks – so weit diese noch möglich war – ergab keine Hinweise auf technische Mängel am Luftfahrzeug.
Doch bevor die Bergung beginnen konnte, musste zunächst das in der Cirrus verbaute, nicht ausgelöste Gesamtrettungssystem entschärft werden. Dessen Rakete, die den Rettungsfallschirm aus dem Rumpf des Flugzeugs zieht, stellt bei unbeabsichtigter Auslösung eine Gefahr für die Rettungskräfte dar. Da die alarmierte Feuerwehr weder über das entsprechende Werkzeug noch das Know-how zur Entschärfung des Treibsatzes verfügte, wurde der Entminungsdienst des Bundesinnenministeriums hinzugezogen. Erst sechs Stunden nach dem Unfall konnten die Experten das System sichern. Danach konnten die Retter zu den Opfern vordringen.
Hätte es Überlebende gegeben, hätten die Einsatzkräfte eine komplexe Abwägung zwischen Eigensicherung und Rettung der Verletzen treffen müssen.
im Gebirge.
Drei Sicherheitsempfehlungen an die EASA
Die SUB hat aus diesem Grund drei Sicherheitsempfehlungen an die EASA formuliert. So fordern die Unfalluntersucher ein zentrales europäisches Register für alle Luftfahrzeuge, in denen Rettungsgeräte verbaut sind. Auf die Datenbank sollen Rettungsdienste Zugriff haben, um frühzeitig Maßnahmen zur Entschärfung einleiten zu können. Darüber hinaus fordern die Ermittler die Kennzeichnung des Raketenmotors mit einer Signalfarbe – ähnlich wie bei Flugdatenschreibern. Nur so könnten Bergungsmannschaften am Absturzort schnell erkennen, wo sich das gefährliche Bauteil befindet.
Des Weiteren empfiehlt die SUB, die Hersteller der Rettungssysteme zu verpflichten, eine Möglichkeit zur Sicherung der Treibsätze direkt am Raketenmotor zu schaffen. Bislang ist dies nicht möglich. Die einzige Sicherungsvorrichtung befindet sich derzeit am Auslösegriff im Cockpit – mit einem Sicherungsstift.
Die Unfallursachen sind vielfältig. Bleiben wir zunächst beim Gesamtrettungssystem: Der Pilot hatte dessen Sicherungsstift nicht entfernt, sodass der Auslösegriff blockiert war. Entsprechend konnte es auch nicht ausgelöst werden, obwohl es die Maschine laut Auffassung der Ermittler bei rechtzeitiger Betätigung hätte retten können. Weiterhin stellten sie fest, dass sich der Schwerpunkt außerhalb des zulässigen Bereichs befand und das Flugzeug überladen war.
Nach VFR in die Wolken
Die Experten der SUB vermuten, dass die Cirrus auf ihrem VFR-Flug vor dem Absturz längere Zeit in Wolken flog und dort Vereisungsbedingungen herrschten. In Kombination mit der Überladung und der unzulässigen Schwerpunktlage hat dies vermutlich zur Verschlechterung der Flugleistungen geführt. Turbulenzen durch Föhn über den Bergen könnten beigetragen haben. Durch räumliche Desorientierung und/oder einen Strömungsabriss kam es in der Folge mutmaßlich zu einem Kontrollverlust über das Fluggerät und schließlich zum Absturz.
In Anbetracht der Reiseflughöhe von 11 500 Fuß wäre die Crew zudem verpflichtet gewesen, spätestens nach einer Flugzeit von 30 Minuten Sauerstoff zuzuführen. Doch die Ermittler fanden keinen Hinweis für das Vorhandensein einer entsprechenden Anlage, sodass auch Sauerstoffmangelerscheinungen beim Piloten nicht auszuschließen sind.
Auf dem Unfallflug kam es zu einer Vielzahl vermeidbarer Regelverstöße durch den Piloten – von Weight & Balance über fehlenden Sauerstoff bis zum Einflug in Instrumentenflugbedingungen sowie in Gebiete mit vorhergesagter Vereisung.
Technisch einwandfrei Der Tiefdecker vom Typ Cirrus SR2o G1 hatte zum Zeitpunkt des Unfalls rund 2500 Betriebsstunden absolviert.
Dennoch könnte dieser Unfall etwas bewegen: Die Vorschläge der SUB zur Kennzeichnung und Sicherung von Rettungssystemen sind wichtig. Der Aufbau eines zentralen Registers durch die EASA für alle in Europa zugelassene Flugzeuge mit Rettungsgerät ist komplex – ultra-
leichte Luftsportgeräte, die oft ein solches System haben, unterliegen der Kontrolle nationaler Institutionen. Doch eine Lösung dafür sollte sich finden lassen.
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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