Unfallakte

/

Mangelnde Tauglichkeit des Piloten: Piper PA-60 Aerostar verunglückt nach dem Start

Fliegerische Tauglichkeit: Eine zweimotorige Piper startet auffällig langsam und gewinnt nach dem Abheben kaum Höhe. Im Cockpit kämpft der Pilot offenbar mit seinem Körper – ums Überleben

Von Redaktion

Wer fliegen will, muss fit sein. Schon eine Erkältung kann einem im Cockpit das Leben (zu) schwer machen. Da wären zum einen Konzentrationsstörungen, mit denen man dann zu kämpfen hat, weil etwa die Nase läuft oder dicht ist. Zum anderen kann es richtig schmerzhaft werden, wenn zugeschwollene Nebenhöhlen den Druckausgleich beim Auf- oder Abstieg verhindern. Flugtauglich sind Piloten damit auf gar keinen Fall, und wer die Symptome auf die leichte Schulter nimmt, handelt leichtsinnig.

Eine andere Sache ist eine dauerhafte Erkrankung wie beispielsweise Diabetes. Es ist durchaus möglich, damit fliegerisch aktiv zu sein, und neben dem Okay vom Fliegerarzt in Form eines gültigen Medicals wird ein betroffener Pilot schon im eigenen Interesse darauf achten, handlungsfähig zu sein, wenn er fliegt. Doch bei einem Unfall aus dem Jahr 2011 verdichten sich die Hinweise darauf, dass eine Diabetes-Erkrankung des Piloten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für den tödlichen Crash gewesen sein könnte.

Für den Überführungsflug wird die Piper PA-60 vollgetankt

Der 13. September 2013 ist ein mäßig warmer Spätsommertag. Mit 13 Kilometern Sicht herrschen VFR-Flugbedingungen, der Bodenwind weht mit sieben bis zehn Knoten aus westlicher Richtung. Der Pilot einer Piper PA-60 Aerostar will am Abend vom Verkehrslandeplatz Hildesheim zu einem Überführungsflug nach Augsburg starten; von dort ist er zuvor mit dem Zug angereist. Die Zweimot wurde von einer Werft in Hildesheim gewartet, nun soll sie wieder zurück an ihren Heimatplatz. Da dieser bereits um 21 Uhr schließt, hat der Pilot nach der Ankunft in Hildesheim nur ein kleines Zeitfenster für die Startvorbereitungen. Der 43-Jährige ist seit 25 Jahren Privatpilot.

Spurensuche: An der Unfallstelle bleibt nicht viel von der PA-60 Aerostar übrig. Die Kerben an der Maueroberseite stammen vom linken Propeller (Foto: BFU)

Laut seiner Luftfahrerakte beim Luftfahrtbundesamt (LBA) hat er bislang rund 3450 Stunden als Pilot in command (PIC) verbracht, zudem hat er eine Berechtigung als Ausbilder für Sicht- und Instrumentenflug. Beim Warmlaufen der beiden Lycoming-Turbo-Triebwerke bemerkt der Pilot noch ein Problem am Display des Navigationsgeräts, doch die Mitarbeiter einer Werft auf dem Flugplatz können es rasch beheben. Dem Start steht nach dieser Verzögerung nichts mehr im Weg. Die Piper ist vor der Übergabe vollgetankt worden, lediglich ein Zusatztank im Rumpf bleibt für den Überführungsflug leer. Um 19.40 Uhr startet die Zweimot auf der Piste 25.

Piper PA-60 Aerostar: Mühevoller Start

Schon der Startlauf scheint mehreren Augenzeugen zufolge auffällig langsam zu sein. Nach der zögerlichen Beschleunigung am Boden hebt die Maschine erst nach der Halbbahnmarkierung ab und überfliegt die Schwelle der „07“ in sehr geringer Höhe. Statt in den Anfangssteigflug überzugehen, gewinnt die PA-60 nicht weiter an Höhe, sondern sinkt sogar wieder. Dann schwenkt sie nach links. Zeugen berichten später, die Piper habe laute Knallgeräusche von sich gegeben. Augenblicke danach schlägt der Mitteldecker in einem angrenzenden Gewerbegebiet fast senkrecht auf dem Boden auf.

Die Maschine fängt Feuer und brennt aufgrund der vollen Treibstofftanks fast vollständig aus. Vom Sechssitzer bleibt nur ein Haufen verkohlter Trümmer übrig. Der Pilot hat keine Chance, den Crash zu überleben. Der steile Aufschlagwinkel ist für die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) bereits am Unfallort schnell zu erkennen: Auf dem Betriebshof eines Kompostwerks ist nur ein vergleichsweise kleiner Bereich, etwa 50 Quadratmeter groß, mit Trümmerteilen bedeckt. Alle Wrackteile können in diesem kleinen Gebiet sichergestellt werden.

Nach dem Start sinkt die Piper wieder und prallt fast senkrecht auf den Boden

Aufgrund der augenscheinlichen Probleme beim Start und der Zeugenaussagen untersuchen die Ermittler zunächst die betreffenden Antriebskomponenten, die aus dem Wrack geborgen werden. Durch den harten Aufprall und das anschließende Feuer ist die Untersuchung aber nur noch eingeschränkt möglich. Am rechten Triebwerk stellen die Experten fest, dass die bis auf die Propellerwurzel verbrannten Blätter beim Aufprall möglicherweise in Segelstellung waren.

Die Ursache dafür ist jedoch nicht abschließend zu erklären: Die Segelflugstellung könnte auch durch das abrupte Stoppen des Triebwerks bewirkt worden sein. Die vier Propellerblätter des linken Triebwerks sind allesamt auf halber Höhe abgebrochen, was darauf schließen lässt, dass das linke Triebwerk beim Aufprall noch lief. Darauf deuten auch Prallspuren an einer Mauer hin, die das Flugzeug beim Absturz berührte.

Für die Detailuntersuchungen an den Triebwerken beauftragte die BFU einen Fachbetrieb. Nach dessen Gutachten gibt es keine Hinweise auf einen technischen Defekt an den Antriebssystemen. Ein Versagen mechanischer Bauteile oder eine mangelhafte Schmierung, die einen Motorausfall verursacht haben könnten, schließt der Fachbetrieb mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.

Nicht flugtauglich: Der Pilot erlitt zum Unfallzeitpunkt eine Stoffwechselstörung

Dagegen zeigt sich im Wrack eine andere Spur für die Aufklärung der Unfallursache: Unter der Leiche des Piloten finden die Ermittler Traubenzuckerblättchen. Die Autopsie bestätigt die Vermutung, eine physische Störung könnte die Leistungsfähigkeit des Piloten beeinträchtigt haben: Die toxikologische Untersuchung ergibt Hinweise auf eine Zuckererkrankung, Diabetes mellitus.

Keine Auffälligkeiten: Die Motoren zeigen keine Hinweise auf vorherige Defekte. Sie sind aber zu sehr zerstört, um das auszuschließen (Foto: BFU)

Laut Gutachten der Mediziner könnte eine Stoffwechselentgleisung durch massive Unterzuckerung beim Piloten zu einer Bewusstseinsstörung geführt haben – ein physischer Ausnahmezustand. Weitere Ermittlungen ergeben, dass der Pilot zwei Monate vor dem Absturz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, bei dem er aufgrund von Unterzuckerung von der Fahrbahn abgekommen war. Zeitweise, so die BFU, habe der Pilot in der Vergangenheit außerdem über kein Medical verfügt.

Zwar können die Ermittler keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen, doch halten sie es für hochwahrscheinlich, dass der 43-Jährige zum Unfallzeitpunkt eine Stoffwechselstörung erlitt, er in seinem Bewusstsein getrübt und nur eingeschränkt handlungsfähig gewesen ist. Kurz nach dem Start geriet das Flugzeug in einen unkontrollierten Flugzustand und stürzte ab. Ein zusätzliches technisches Problem könne aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2017

Schlagwörter
  • Unfallakte
  • Überführungsflug
  • VFR
  • Piloten
  • PIC
  • Piper
  • Lycoming
  • fliegermagazin
  • Vorbereitungen
  • Motorausfall
  • Werft
  • Medical
  • Tank
  • Zusatztank
  • Zweimot
  • Unfall
  • Pilot in Command
  • Höhe
  • Brand
  • Wrack
  • BFU
  • Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung
  • Ermittler
  • Crash
  • Luftfahrt-Bundesamt
  • LBA
  • Aufprall
  • Verkehrslandeplatz
  • Propellerblätter
  • Sechssitzer
  • Triebwerk
  • Konzentration
  • Konzentrationsfehler
  • Leistung
  • Ermittlungen
  • Feuer
  • Aufschlag
  • Überlebenskampf
  • Tauglichkeit
  • Kampf
  • Erkältung
  • Krankheit
  • Konzentrationsstörungen
  • Druckausgleich
  • Nebenhöhlen
  • Flugtauglich
  • Symptome
  • kämpfen
  • Leichtsinn
  • leichtsinnig
  • Diabetes
  • tödlich
  • Bodenwind
  • Piper PA-60 Aerostar
  • PA-60
  • PA-60 Aerostar
  • Aerostar
  • Hildesheim
  • ‎EDVM
  • Zeitfenster
  • Instrumentenflug
  • Augenzeugen
  • nach dem Start
  • Knallgeräusche
  • Trümmer
  • Wrackteile
  • Trümmerteile
  • Fachbetrieb
  • Defekt
  • Antriebssystemen
  • Unfallursache
  • toxikologisch
  • Untersuchung
  • Zuckererkrankung
  • Diabetes Mellitus
  • Traubenzucker
  • Gutachten
  • Mediziner
  • Stoffwechselentgleisung
  • Unterzuckerung
  • Bewusstseinsstörung
  • physischer Ausnahmezustand
  • Stoffwechselstörung
  • unkontrollierter Flugzustand
  • Mitteldecker