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Marktlücke Luftbildfotografie: Der Blick von oben

Fliegen als Beruf – da gibt es mehr, als Fracht und Passagiere von A nach B zu bringen. Agraringenieur Wolfgang Bauer hat eine besondere Nische entdeckt: Er fotografiert die Erde, großmaßstäbig senkrecht von oben.

Von Redaktion
Auf Mission
Auf Mission: Mit seiner Cessna 172 fliegt Wolfgang Bauer Fotoeinsätze der besonderen Art. Foto: Argoluftbild

Wenn Wolfgang Bauer mit seiner Cessna 172 am Himmel unterwegs ist, unterscheidet ihn etwas von anderen Piloten: Sein Blick und seine Sinne sind dann nicht allein auf Navigation und Flugzeug gerichtet, sondern vor allem auf das Terrain unter ihm.

Was er dort sieht, ist für Normalbetrachter oft wenig aufregend, doch für das geschulte Auge spannender als alle anderen Eindrücke. Er scannt nach Auffälligkeiten: Spuren von Wildtieren, geologische Besonderheiten, verräterische Stellen, die auf Fehler bei der Bewirtschaftung von Äckern oder auf Pflanzenkrankheiten hinweisen. Wir haben Wolfgang Bauer bei seiner Arbeit begleitet und geben Tipps zum Thema Luftbildfotografie.

Die Jahreszeiten spielen bei der Luftbildfotografie eine wichtige Rolle

Die Jahreszeiten spielen eine Rolle: Manches Bodenrelief und auch Strukturmerkmale zeigen sich erst im Winter, wenn Schneeanwehungen sogenannte Snowmarks hinterlassen. Wo das menschliche Auge nicht ausreicht, nimmt Bauer eine Wärmebildkamera und kann damit sogar Strukturschäden wie Vernässungen oder Bodenverdichtungen erkennen. Den Blick dafür hat der Pilot über Jahrzehnte geschärft und sich mögliche Zusammenhänge erschlossen. Fachliche Grundlage dafür: ein Studium der Agrarwissenschaften nebst praktischer Ausbildung zum Landwirt. Neben vielen Umwelteinsätzen fliegt Wolfgang Bauer heute vor allem für Unternehmen, die Rohrleitungen verlegen. Seine Firma heißt agroluftbild. Doch der Reihe nach.

GesteinsfaltungenGesteinsfaltungen
Enthüllung: Erst Reif und angewehter Schnee machen im Winter Gesteinsfaltungen im Boden sichtbar.

Schon in jüngsten Jahren kommt der Bayer in Kontakt mit der Fliegerei. Im zarten Alter von drei Jahren steigt er zum ersten Mal ins Cockpit der Aeronca seines Vaters, mit sechs Jahren hat er den Steuerknüppel einer Jodel Ambassadeur in der Hand. Mit 20 kann er sich endlich ganz offiziell nach Erwerb der Fluglizenz am Flugplatz Beilngries selbst Pilot nennen. Während des folgenden Studiums ist es nicht immer leicht, Stunden zu sammeln, vor allem mit Blick aufs Geld. „Oft stand ich vor der Wahl: Gehe ich für zwei Tage Bergsteigen oder für zwei Stunden in die Luft?“, erinnert sich der 65-Jährige. Häufig heißt die Antwort: fliegen!

Bergsteigen oder Fliegen? Die Antwort ist leicht!

Die erste größere fliegerische Herausforderung führt Bauer und seine damalige Freundin über Frankreich zur britischen Kanalinsel Jersey. Smartphone und GPS sind da noch unbekannt, navigiert wird klassisch mit Kompass und Uhr, ab und zu auch mal per VOR. Doch irgendetwas fehlt ihm, eine konkrete Aufgabe muss her – nur welche? Langsam entsteht eine Idee, die erneut einen familiären Hintergrund hat: Wolfgang Bauers Vater war nicht nur Privatpilot, sondern auch Pächter eines Guts und Landwirt, und da lag es für ihn auf der Hand, die Feldbestände auch aus dem Flieger kritisch zu betrachten. Schon damals entging ihm kein Unkrautnest, kein Fehler bei der Aussaat, erinnert sich der Sohn.

BodenunterschiedeBodenunterschiede
Bodenunterschiede: Wintergerste zeigt, wie unterschiedlich der Acker beschaffen ist. Sandbänke links führen zur „Notreife“, rechts dagegen bringt Humus eine Überversorgung mit Nährstoffen.

Als frischgebackener Diplom-Agraringenieur mit praktischer Ausbildung bekommt Wolfgang Bauer 1986 eine Stelle als Gutsverwalter auf einem großen Hof mit rund 300 Hektar Fläche. Hier kann er nun selbst Erfahrungen sammeln. Gleich neben dem Gutsbetrieb liegt der Flugplatz Offenburg, und Bauer nutzt diese Chance, um die Felder ebenfalls wie schon der Vater aus der Luft zu begutachten. Dabei entstehen bereits erste Fotos aus dem Fenster.

Marktlücke Senkrechtluftaufnahmen: Bauer gründet sein Unternehmen

Eines Tages erhält Bauer vom damals führenden Institut für Fernerkundung an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg den Hinweis, dass es für Senkrechtluftaufnahmen im Großmaßstab eine Marktlücke gebe. Zwar liefern schon Satelliten interessante Fernerkundungsdaten aus dem Orbit, aus mehreren 100 Kilometern Entfernung, und Motorflugzeuge machen Messbildflüge in mehreren 1000 Metern Höhe. Doch Senkrechtbilder aus nur wenigen 100 Metern Höhe? Das ist neu. Wolfgang Bauer beschließt, vom Gutsverwalter auf Fernerkundung umzusatteln, und er gründet seine Firma agroluftbild.

Pipeline-LagerPipeline-Lager
Großer Vorrat: Das Pipeline-Lager ist angelegt, die eigentliche Trasse gibt es aber vorerst nur auf dem Plan.

Beim ersten Auftrag spielt der Zufall eine Rolle. Es ist 1992, und eine gewaltige Pipeline soll entstehen, die „Mitteleuropäische Rohölleitung“, kurz MERO. Sie verläuft auf fast 200 Kilometern zwischen dem zentralen Rohöllager Tschechiens und Ingolstadt – und direkt an Wolfgang Bauers Geburtsort Niedertraubling vorbei. Etwa 2000 Landwirte und ihre Felder sind von der Rohrleitung betroffen und befürchten nachhaltige Schäden ihrer Böden. Stellenweise ist schon von einem „Bauernkrieg“ die Rede, die Emotionen kochen hoch.

Zufall: Die neu entstehende Rohölleitung läuft genau an Bauers Geburtsort vorbei

Um Ruhe und Transparenz zu schaffen, erhält agroluftbild den Auftrag, Senkrechtaufnahmen der geplanten Trasse zu erstellen – jeweils vor dem Bau und einige Jahre danach. So kann genau verglichen werden, welche Schäden entstanden sind, und die Aufnahmen dienen auch als Beweissicherung für eine eventuelle Entschädigung der Bauern. Außerdem verwendet man die Bilder  als Planungshilfe und schlussendlich sogar für archäologische Betrachtungen. Insgesamt werden sieben Ausführungen geordert, in Auftrag gegeben von der Firma Lässer-Feizlmayr aus München, ein weltweit tätiger Pipelinebauer.

Gleich der erste Einsatz zeigt, welch großer Aufwand notwendig: Die Trasse muss lückenlos, exakt senkrecht und maßstabsgerecht aufgenommen werden. Dabei ist der Trassenverlauf trotz vieler Windungen immer im mittleren Bilddrittel zu halten. Die Aufnahmen müssen außerdem zu einer Zeit entstehen, in der die Wachstumsphase der Pflanzen die größtmögliche Ausprägung eventueller Aufwuchsschäden erkennen lässt. Nicht zu vergessen: Das Wetter muss passen – nicht nur, weil Bauer nach VFR fliegt, sondern auch, damit keine Wolkenschatten die Aufnahmen verfälschen.

Luftbildfotografie im Solobetrieb: Geht das mit einer Cessna 172?

Doch lässt sich so etwas mit einer Cessna 172 im Solobetrieb schaffen? Auch bei Seitenwind, mit Vorhaltewinkel? Wenn es durch eine Kontrollzone geht? Wenn noch gar keine Trasse sichtbar ist, sondern nur ein Strich auf der Karte? Um es kurz zu machen: Es geht. Doch einfach ist es nicht!

ArbeitspferdArbeitspferd
Arbeitspferd: Wolfgang Bauer schätzt seine Skyhawk für ihre Zuverlässigkeit und hohe Reichweite.

Es sind aufwändige Berechnungen nötig, wobei Flughöhe, der gewünschte Maßstab und das Intervall einfließen, in dem die Bilder geschossen werden, um eine bestimmte Überlappung der Bildausschnitte zu erreichen. Wenn ein Einzelbild eine Fläche von 500 x 750 Metern abdeckt, muss es bei einer Speed von 50 Metern pro Sekunde alle 325 Meter oder alle 6,5 Sekunden „klick“ machen. So erhält man eine Überlappung von 35 Prozent: Bei einem Maßstab von 1:2500, passend für das Format A4, macht das bei 200 Kilometern Strecke 615 Einzelbilder.

Alles in Handarbeit: Bauer fliegt ohne GPS und Autopilot

Und dann programmiert man also GPS und Autopilot, und … nein, weit gefehlt. Wolfgang Bauer fliegt manuell, immer, denn nur so ist es möglich, jedem noch so kleinen Leitungsknick exakt zu folgen. Richtig schwierig wird es, wenn die Trasse nur auf dem Papier existiert, denn dann heißt es, einige Dutzend Lagepläne auswendig zu lernen – nicht so ungefähr, sondern im Schlaf abrufbar. Zwar hat Bauer die Pläne immer mit an Bord, doch es ist nicht möglich, sich im Flug nachzuorientieren. Schaut man eine halbe Minute auf eine Karte, ist man flugs ein, zwei Kilometer vom eigentlichen Verlauf entfernt und muss wieder neu einsteigen. Fliegerisches Feinhandwerk, „Mikronavigation“ und Ausdauer sind hier gefragt.

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Nicht minder anspruchsvoll sind andere Aufgaben, wie das Fotografieren von Flussläufen oder bestimmten Einzelorten. Auch bei Vermisstenfällen war agroluftbild schon im Einsatz. Für spezielle Vegetationsbetrachtungen kann der Pilot auch Nah-Infrarotbilder (NIR) erstellen oder bei Flügen für Boden- oder Gewässerschutz einen hochauflösenden Wärmebildsensor (TIR) nutzen.

Löcher im Fußraum: Um Betriebskosten zu senken wird die Cessna umgebaut

Aus dem Flugzeugfenster seiner Cessna 172 fotografiert Wolfgang Bauer natürlich schon längst nicht mehr. Bis 1988 war die agroluftbild-Cessna im Vereinsbesitz, dann kaufte sie der Vater, bevor der Sohn sie zwei Jahre später übernahm – mit der klaren Absicht, ihre Betriebskosten mit Luftbildern zu bestreiten.

Einsetzen der KamerasEinsetzen der Kameras
Maßarbeit: Die Kameras werden in die Öffnung im Cessna-Boden eingesetzt.

Um den ersten Auftrag damit zu fliegen, musste sie jedoch umfassend modifiziert werden. Glücklicherweise gab es vom Luftfahrt-Bundesamt bereits eine solche Zulassung, das sogenannte Hamaland-Luftbildkit, genau für das betreffende Flugzeugmuster. Es sieht zwei große Löcher im Fußraum des Copiloten und im hinteren Teil der Maschine vor.

Optimierung: Nach dem Umbau musst die Cessna Abgenommen werden

In Zusammenarbeit mit dem Pilotenservice Robert Rieger wurden aus zwei großen Löchern zwei kleinere gemacht, Schaumstoffpolsterungen darin minimieren die Vibrationen für die Kamera. Die hintere Sitzbank musste raus und der ursprüngliche Schalldämpfer gegen einen längeren ausgetauscht werden, damit keine Abgase in die Kabine gelangen. Für die Abnahme kam die Cessna noch einmal auf die Waage, es gab CO2-Messungen und einen Festigkeitsnachweis. Die Zulassung wurde schließlich mit der Einschränkung erteilt, dass das Flugzeug ab jetzt nur noch für Fotoflüge eingesetzt werden darf.

In diesen vorgegebenen Rahmen wurde nun ein Kamerasystem eingepasst, mit dem zielgenau und senkrecht-perspektivisch Objekte in Serie abgelichtet werden können, ohne dass der Pilot die Hände vom Steuer oder den Blick auf die Ausrüstung richten muss. Mit der technischen Entwicklung war es ab Anfang der neunziger Jahre möglich, per Video ein Live-Bild aus dem Kamerasucher auf einen Monitor zu bringen. Anfänglich waren das noch platzraubende „Campingfernseher“, die im Fußraum des Co-Piloten platziert und dort über das 12-Volt-Bordnetz betrieben wurden. Die Bildqualität war mäßig, aber die Monitore lieferten die so wichtige Senkrechtperspektive.

Digitalfotografie: Mit der neuen Technik wurde vieles erleichtert

Die Öffnungen im hinteren Teil des Flugzeugs wurden mit einer Videokamera fürs Live-Bild und mit einer Mittelformatkamera bestückt und mit Hilfe von Mikrometerschrauben fokusgleich justiert. Dieses System hat sich, abgesehen von den eingesetzten Sensoren, bis heute kaum verändert. In der Zeit der Analog-Fotografie waren maximal 100 Mittelformat-Bilder pro Filmrolle möglich, und das Filmwechseln an der festverbauten Kamera während des Flugs ein handwerkliches Kunststück. Glücklicherweise hat die Digitalfotografie das grundlegend geändert.

KamerasystemKamerasystem
Ausgetüftelt: Das Kamerasystem ist in einem Gestell montiert und lässt sich leicht anpassen. Dank Digital-Fotografie gibt’s keinen Filmwechsel mehr

Ein wichtiges und komplexes Modul ist schließlich die Fernbedienung für das Kamerasystem, die ebenfalls über das Bordnetz versorgt wird. Das System meldet auch die Funktion der Kameras sowie die aufgenommene Bildmenge. Herzstück ist ein auf die Hundertstelsekunde genau programmierbares Zeitschaltrelais, das aus der Medizintechnik stammt. Passende Kabelquerschnitte, Absicherungen und Funkentstörung – einfach alles wurde von Wolfang Bauer so konzipiert, dass er zur Bedienung immer eine Hand am Steuer lassen kann.

Beschränkungsgebiet: Ausweichen auf andere Höhen erfordern eine Anpassung der Kamera

Doch was passiert, wenn ein Auftrag eine Route vorgibt, die durch eine Kontrollzone oder sogar ein Beschränkungsgebiet führt? Eine schlichte Freigabe über Funk, mit oder ohne Flugplan, genügt dabei keineswegs. Die Vorlaufzeit beträgt mehr als eine Woche, um einen präzise ausgearbeiteten Überflugplan von der DFS Deutsche Flugsicherung freigeben zu lassen, bisweilen ist eine eigene Abteilung für „besondere Luftraumnutzung“ damit befasst.

Manchmal wird ein ganz bestimmtes Zeitfenster oder eine andere Überflughöhe festgelegt; bei letzterem muss dann die Optik der Kamera angepasst werden, damit der Maßstab passend bleibt. Dann wird die Arbeitsbelastung so groß, dass ein zweiter Pilot mitkommt und Luftraumbeachtung und Kommunikation übernimmt.

Der Wind darf bei der Luftbildfotografie nie von der Seite kommen

Doch oft bleibt die größte Herausforderung das Wetter. Ein Tag ohne Wolkenschatten in Küstennähe? Fast ausgeschlossen! Oder im Hochsommer im Oberrheingraben, bei fast 40 Grad Celsius: Das heißt vormittags Dunst, ab Mittag rasch einsetzende Wolkenbildung und Entwicklung von Wärmegewittern. Kurios, aber verständlich ist die Sache mit dem Seitenwind: Das Flugzeug muss natürlich mit Vorhaltewinkel fliegen, um über einer Pipeline-Trasse zu bleiben. Doch der Wind darf nie von links kommen, denn dann geht die Sicht nach vorn verloren.

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Drei Erlebnisse gibt es, die Wolfgang Bauer in seiner bisher 30-jährigen Zeit als „Agroluftbildner“ als wahre Lichtblicke empfunden hat. Da wäre zuerst die Flugsicherung, die für ihn oft das schier Unmögliche doch möglich macht. Ein Beispiel: Eine Gas-Pipeline führte buchstäblich kreuz und quer über das Gelände des Airports Frankfurt am Main. Ihr zu folgen, dauerte zwar nur einige Minuten, doch es war während der Hauptreisezeit im Sommer – ein enormer Eingriff in den Flugbetrieb. Ganz wertvoll ist auch die individuelle Flugwettervorhersage, mit deren Hilfe entschieden wird, zu welcher Stunde die besten Aufnahmebedingungen herrschen.

Zweiter Lichtblick sind die kleinen, oft sogar ehrenamtlich betriebenen Sonderlandeplätze. Dort gibt es für Wolfgang Bauer einen Full-Service für Mensch und Maschine, oft bis zum kostenlosen Transfer in ein nahes Quartier. Dritter Lichtblick: die Cessna 172M und ihr robustes O-320-Triebwerk von Lycoming. Sie sei wie ein alter Mercedes 200 D, meint ihr Pilot, und schätzt die hohe Reichweite und die Leistungsreserven, dank Long-Range-Tanks und Einmannbetrieb.

Text: Timo Breidenstein, Fotos: Argoluftbild, erstmals erschienen in fliegermagazin 04/2021

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