Unfallakte

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Misslungener Go-around im Zweimot: Absturz einer Piper PA-34 Seneca

Für Multi Engine Ratings sind Anflüge mit nur einem Triebwerk vorgeschrieben. Durchstartmanöver bergen Gefahren, vor allem, wenn nur ein Motor zur Verfügung steht

Von Redaktion

Doppelt hält besser – mag sich mancher Pilot denken, der die Zweimot-Berechtigung anstrebt. Die Gründe sind vielfältig. Tatsache ist: Das Twin Rating bringt eine neue Dimension des Fliegens mit sich. Fällt ein Triebwerk aus, muss der Pilot in der Lage sein, den asymmetrischen Flugzustand zu kontrollieren und das Flugzeug sicher auf den Boden zurück zu bringen. Aus diesem Grunde werden in der Ausbildung Anflüge und Landungen mit nur einem laufenden Triebwerk trainiert. Doch was, wenn die Bahn blockiert ist oder die Landung unsicher erscheint und abgebrochen werden muss? Auch dieser Fall wird für das Zweimotrating geprobt und nennt sich Single Engine Go around. Dieses Verfahren gehört zu den schwierigsten praktischen Übungen überhaupt.

Beim Durchstartmanöver muss jeder Handgriff sitzen. Airline-Piloten üben das ausschließlich im Simulator. Aber auch in der Praxis der Allgemeinen Luftfahrt ist das Manöver üblich, jedoch immer eine heikle Angelegenheit, die vom Piloten alle Konzentration fordert. Mit nur halber Triebwerkleistung, Klappen in Landestellung und ausgefahrenem Fahrwerk bewegt sich die Maschine in einem ohnehin kritischen Flugzustand. Falsche oder verzögerte Reaktionen verschlimmern die Situation erbarmungslos. Hier zeigt sich, ob jemand sein Flugzeug wirklich kennt oder erst die Minimalerfahrung eines Zweimot-Prüflings hat. Ist der Entschluss zum Single Engine Go around getroffen, entscheidet wesentlich das harmonische Zusammenspiel von Power und Seitenruder über das Gelingen des Manövers – oder einen Absturz. So geschehen am 30. März dieses Jahres in Straubing.

Durchstartmanöver: jeder Handgriff muss sitzen

Eine Piper Seneca ist im Anflug auf die „10“. An Bord: vier Piloten aus Österreich. Der Tower meldet am späten Vormittag gute Sicht und schwachen Wind aus Nordost. Im Cockpit herrscht Prüfungshitze. Vorne links sitzt ein 37-jähriger Flugschüler, der gerade die Prüfung zum Multi Engine Rating absolviert. Er besitzt seinen PPL seit fast einem Jahr mit einer Gesamtflugerfahrung von 73 Stunden. Bis zur heutigen Prüfung hat er 23 Stunden auf der Seneca gesammelt. Als Besitzer der Twin möchte er gerne bald den MEP-Eintrag (Multi Engine Piston) im Schein haben.

Neben ihm sitzt – als verantwortlicher Flugzeugführer – sein Fluglehrer. Der 56-Jährige hat neben einer Lehrberechtigung für ein- und zweimotorige Flugzeuge mit Kolbentriebwerk auch eine Erlaubnis für Verkehrsflugzeugführer. Von 7400 Flugstunden entfallen 100 auf die Piper PA-34. Auf den hinteren Plätzen des Tiefdeckers sitzen der Prüfer – ein Sachverständiger mit ATPL und 9600 Stunden Flugerfahrung – sowie ein weiterer Pilot, der ein Flugzeug in Straubing abholen soll.

Die Crew ist um 10 Uhr vom Flugplatz Vöslau-Kottingbrunn (LOAV) gestartet. Ein Übungsanflug am Flugplatz Schärding-Suben, wenige Kilometer vor der deutschen Grenze, verläuft routinemäßig. Auch der Anflug in Straubing scheint zunächst unproblematisch. Der Sechssitzer ist für Anflug und Landung mit einem Triebwerk ausgetrimmt. Der Flugschüler steht kurz vor dem Ende seiner Prüfung. Jetzt noch die Abschlusslandung – das wär’s dann. Zur vorweggenommenen Erleichterung mischt sich jedoch ein mulmiges Gefühl: Dieser Approach erfolgt (vermutlich auf Anweisung des Fluglehrers) mit abgestelltem rechten Triebwerk. Im Klartext: Das Triebwerk ist auf die Schnelle – etwa im Falle eines Durchstartmanövers – nicht verfügbar. Der Tower Straubing meldet: „Oscar Echo Alpha India, cleared to land 10, Wind 040, 3 knots“.

Approach auf Straubing mit abgestelltem rechtem Triebwerk

Im kurzen Endteil legt die Seneca offenbar an Speed zu. Der Flieger ist zu schnell. Erst kurz vor Bahnmitte der 1350 Meter langen Piste setzt die Piper zum ersten Mal auf – springt, setzt auf, springt – das Bahnende rückt näher. „Go around!“ ruft der Fluglehrer. Durchstarten – ein schwieriges Manöver, das kaum zu händeln ist. Aus dem Tower beobachtet der Straubinger Lotse die holprige Landung und das Durchstartmanöver. Die Seneca gewinnt kaum an Höhe und driftet deutlich nach rechts ab. Nach rund 100 Metern stürzt das Flugzeug mit starker Querneigung über die rechte Tragfläche in einen Baggersee neben der Bahn. Wasser statt Erde. Glück im Unglück. Alle vier Insassen können sich, wenn auch teilweise schwer verletzt, ans nahe Ufer retten.

Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) stellt nach Bergung des Wracks fest: Beide Magnete des rechten Triebwerks standen in der OFF-Position. Landeklappen und Fahrwerk waren ausgefahren. Das rechte Triebwerk war also definitiv abgestellt worden und der Flieger immer noch in Landekonfiguration. Doch ist damit die Ursache für diesen Unfall schon geklärt? Hauptgrund könnte nach Ansicht der BFU der starke Giereffekt nach rechts gewesen sein – ausgelöst durch abruptes Powersetzen auf dem linken Triebwerk. Da die Maschine zu langsam war, konnte auch ein voll durchgetretenes linkes Seitenruder die Situation nicht mehr retten. Diese Erklärung lässt sich bislang aber nur mutmaßen, weil die Untersuchungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Richtig ist, dass nicht ein Faktor allein den Unfall verursacht hat, sondern – wie so oft – die Verkettung der beschriebenen Vorfälle.

Piper PA-34 Seneca: Asymmetrischer Flugzustand beim Durchstarten

Wer die PA-34 kennt, weiß, dass die Twin (und nicht nur diese) in asymmetrischen Flugzuständen extrem empfindlich um die Hochachse (rea-)giert. Manfred Daiberl, ehemaliger Chef der Flugschule Jesenwang und selbst erfahrener Seneca-Pilot, kennt das Problem: „Nach meiner Erfahrung ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Piper Seneca im Single Engine Go around wieder in einen unkritischen Flugzustand zu bringen. Mit einem laufenden zweiten Triebwerk sähe die Sache schon wesentlich einfacher aus.“ Daiberl hält es daher auch für unsinnig, bei Übungsanflügen mit Zweimots ein Triebwerk komplett abzustellen. „Wir üben bei Einweisungsflügen auch das Abstellen und Wiederstarten (Airstart) eines Triebwerks, aber nur im Reiseflug in ausreichender Höhe.“

Auch die BFU fragt sich im Nachhinein, wieso sich die Crew mit einem abgestellten Triebwerk „eines redundanten Systems beraubt hat“. Die Unfallexperten gehen davon aus, dass der Absturz vermutlich nicht passiert wäre, hätte die Leistung des rechten Triebwerks zur Verfügung gestanden. Dass die Maschine noch in Landekonfiguration war, dürfte nur zweitrangig gewesen sein. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Warum werden Twin-Anflüge überhaupt mit abgestelltem Triebwerk geflogen? Spricht man über dieses Thema in Pilotenkreisen, so ist die Antwort fast immer gleich: Einmotorige Übungsanflüge mit Zweimots sollten besser mit einem im Leerlauf arbeitenden Motor geübt werden. Abstellen ist ziemlich verpönt. Eine Stellungnahme der zuständigen österreichischen Austro Control oder des Luftfahrtbundesamts steht bislang aus. Offenbar existieren keinerlei Rechtsvorschriften für solche Anflüge. So ist es jedem Fluglehrer oder Prüfer freigestellt, das Triebwerk in Leerlaufstellung aktiv zu halten oder die Variante der „Good Guys“, der harten Jungs, zu wählen – Abstellen und aufs Beste hoffen.

Text: Peter Berg, fliegermagazin 9/2007

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