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Motorausfall im Steigflug: Absturz einer Rans S-12 Airaile

Wenn der Motor seinen Dienst versagt, kann eine schnelle Reaktion lebensrettend sein. Dazu muss der Pilot seine Maschine gut kennen. Überraschende Eigenheiten können im Ernstfall zur Todesfalle werden

Von Redaktion

Schon in den ersten Übungsstunden bekommt man als Flugschüler eines immer wieder eingebläut: Streikt der Motor im Anfangssteigflug, muss der Knüppel sofort nach vorn. Das muss wie im Schlaf gehen, eine instinktive Bewegung. Denn nimmt der Flieger jetzt nicht rasch Fahrt auf, ist die Katastrophe programmiert: Strömungsabriss, Kontrollverlust, Trudelsturz.

Bestimmte Umstände verschärfen die Situation zusätzlich: Der Steigflug bei Vx oder Vy bringt zwar normalerweise einen zügigen Höhengewinn, bei Motorausfall schwindet die Fahrt aber so schnell, dass die Reaktionszeit auf wenige Augenblicke zusammenschrumpft. Für den Piloten einer Rans S-12 Airaile kommt es aber noch schlimmer. An einem warmen Sommertag im August 2008 will der 44-Jährige auf dem sächsischen Sonderlandeplatz Torgau-Beilrode zu einem Flug in die nähere Umgebung starten. Mit insgesamt 55 Flugstunden auf aerodynamisch gesteuerten Ultra-leichtflugzeugen, davon gerade mal 21 auf der Rans S-12, kann der UL-Pilot noch nicht auf viel Erfahrung zurückgreifen. Auch die Passagierflugberechtigung hat er erst vor wenigen Monaten erhalten. In seinem Flugbuch sind 35 Starts und Landungen mit der Rans S-12 eingetragen.

Rans S-12 Airaile: Unruhige Luft in der Platzrunde

Die Wetterbedingungen lassen an diesem Tag kaum zu wünschen übrig: CAVOK mit 40 Kilometer Sicht am Boden. Das Thermometer zeigt moderate 23 Grad Celsius an, bei einem Luftdruck von 1021 Hektopascal – selbst für schwach motorisierte Maschinen also kein Grund zur Sorge. Die Piste liegt in Richtung 26/08. Der Wind bläst mit vier Knoten aus 90 Grad fast exakt auf die Bahn. Trotz der optimalen Voraussetzungen am Boden berichten Piloten aber von „unruhigen Flugbedingungen“ in der Umgebung des Platzes. Am späten Nachmittag startet der Rans-Pilot den Rotax 582 seines Hochdeckers und rollt zur Graspiste 26. Warum er die Startrichtung mit Rückenwind wählt, ist später nicht mehr eindeutig zu klären. Möglicherweise hatte der Wind wegen aufkommender Thermik gedreht.

Rans S-12: ein baugleiches Muster (Foto: Hersteller)

Folgenschwerer ist aber ein Fehler, der mit den äußeren Bedingungen nichts zu tun hat. Wie sich später zeigen wird, stehen am Anfang der nun folgenden Ereignisse eine fatale Nachlässigkeit beim Start des Triebwerks und eine unvollständige Checkliste. Um 17.30 Uhr rollt der Pilot auf die Startbahn und beschleunigt. Nach 200 Metern hebt die Rans ab und steigt steil in den Himmel. Dann geht alles sehr schnell: In einer Höhe von 30 bis 40 Metern fällt plötzlich der Motor aus. Der Prop steht sofort. Dem Piloten gelingt es nicht, rechtzeitig die Nase zu senken und Fahrt aufzunehmen. Auch das Rettungssystem wird nicht ausgelöst. Die Maschine kippt über die rechte Tragfläche ab und kracht etwa 300 Meter hinter dem Ende der Piste in einem Längsneigungswinkel von zirka 80 Grad auf einem Acker auf. Dabei bohrt sich der Rumpf in den Boden, das Leitwerk ragt steil in den Himmel.

Durch den Aufprall wird der Pilot so schwer verletzt, dass er noch an der Unfallstelle stirbt. Eine technische Ursache für den Motorausfall können die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BfU) bei der Begutachtung des Wracks schnell ausschließen: Triebwerk und Propeller des Pushers zeigen keine Schäden, am Kühlkreislauf ist kein Leck zu finden. Auch die Untersuchung von Zündkabeln und Kerzensteckern bleibt ohne Befund. Die Kurbelwelle lässt sich am Wrack noch drehen. Ein Blick ins Cockpit offenbart dagegen den fatalen Pilotenfehler: Die Schaltung des Brandhahns steht noch in der Position „geschlossen“.

Im Vergaser lässt sich kein Kraftstoff mehr nachweisen, obwohl der Drosselklappenmechanismus einwandfrei funktioniert. Die BfU-Experten kommen deshalb zu dem Schluss, dass vor dem Start noch ein kleiner Rest Treibstoff im Vergaser gewesen sein muss, gerade genug für den Weg zur Piste, die Startstrecke und die ersten Sekunden des Steigflugs. Ein tödliches Timing. Bei weiteren Nachforschungen tritt ein Umstand zu Tage, der den Pilotenfehler nachvollziehbar macht: Auf der Checkliste fehlt der Hinweis, die Position des Brandhahns zu überprüfen.

Start mit Rückenwind: Erhöhte Stall-Gefahr

Bleibt die Frage, warum die Rans derart schnell in einen überzogenen Flugzustand geriet. Hätte der Pilot nicht durch rasches Drücken wieder Fahrt aufnehmen können und damit zumindest den harten Aufschlag verhindern, wenn nicht sogar eine Notlandung einleiten können? Aufschluss gibt das Betriebshandbuch der S-12.

Darin ist zu lesen: „Die S-12 Airaile ist ein Flugzeug mit Pusher-Konfiguration mit hochliegendem Schubstrahl. Daraus ergeben sich einige Besonderheiten, die bei anderen Flugzeugen nicht oder kaum auftreten: Wird bei der S-12 die Motorleistung erhöht, so hat sie die Tendenz, die Flugzeugnase zu senken. Dies kann durch leichtes Ziehen ausgeglichen werden. Diese Tendenz tritt besonders im Langsamflug auf. Daher sollte im Landeanflug auf ausreichend Geschwindigkeit geachtet werden, da sonst eine eventuelle Nickbewegung nach unten durch Erhöhung der Motorleistung unter Umständen nicht mehr rechtzeitig ausgeglichen werden kann. Wird andererseits die Motorleistung übermäßig stark reduziert, so hat die S-12 die Tendenz, die Nase anzuheben. Dies kann durch leichtes Drücken ausgeglichen werden. Auch hier ist die einzig kritische Phase die Landung.“

Die Kabine der S-12 hat sich fast senkrecht in den Acker gebohrt. Pusher-Antrieb, Propeller und Leitwerk sind nahezu unbeschädigt. (Foto: BFU)

Dass auch im Steigflug bei abrupten Leistungsänderungen kritische Flugzustände durch die hoch liegende Schubachse enstehen können, ist im Betriebshandbuch nicht erwähnt. Über das wohl gefährlichste Szenario in diesem Zusammenhang, einen Motorausfall im Anfangssteigflug und entsprechende Notverfahren, findet man dort ebenfalls nichts. Genau in diese Falle aber geriet der Rans-Pilot in Torgau-Beilrode: Schon der Motorausfall an sich brachte das UL in dieser Flugphase gefährlich nahe an den Stall. Durch schnelles Drücken wäre eine Notlandung aber vielleicht noch möglich gewesen.

Verheerend wirkte dann jedoch der Nose-up-Effekt – verursacht durch den abrupten Leistungsabfall in Verbindung mit der erhöhten Schubachse. Die Folge: Für den Piloten ergab sich eine extrem kurze Reaktionszeit, möglicherweise geriet die Maschine sogar unmittelbar nach dem Motorausfall durch den vergrößerten Anstellwinkel in einen überzogenen Flugzustand. Die geringe Höhe machte ein Abfangen unmöglich. Wie häufig in solchen Fällen ist es die Verkettung unterschiedlichster Umstände, die am Ende in die Katastrophe führte: vom geschlossenen Brandhahn über den restlichen Sprit im Vergaser, der den Start erst möglich machte, bis hin zu der fatalen Nickbewegung durch die erhöhte Schubachse des Pushers in der kritischen Flugphase des Anfangssteigflugs.

Unglückliche Umstände


Ein anderers Detail in der Chronologie des Geschehens ergänzt die Verkettung unglücklicher Umstände auf tragische Weise: Durch den relativ kurzen Weg zur Piste hatte der Rotax des Hochdeckers bis zum Start erst einen Teil des Treibstoffs verbrannt, der noch vom letzten Flug im Vergaser übrig war. An einem Platz mit größeren Rolldistanzen oder vielleicht längeren Wartezeiten am Rollhalt, beispielsweise wegen regen Schulungsbetriebs oder mehreren anfliegenden Maschinen, wäre der Sprit im Vergaser womöglich noch vor dem Start aufgebraucht gewesen. Der Pilot wäre dann mit dem Schrecken davon gekommen – und hätte den Brandhahn vor einem Flug nie wieder übersehen.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 7/2010

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