Praxis

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Passagierflüge

Anderen die Welt aus der Luft zeigen – das macht Spaß. Aber auch Ihren Mitfliegern? Sie können viel dafür tun, dass sich Ihre Gäste wohlfühlen

Von Redaktion
Wer ist hier der Chef? 
Alle quatschen und wissen es besser. 
Als Pilot sollten Sie vor dem Flug vereinbaren, wann Sie nicht gestört werden wollen

Dem ersten Soloflug geht eine gründliche Schulung voraus, dem Prüfungsflug eine weitere. Wer aber bereitet einen Privatpiloten auf den Umgang mit Passagieren vor? 

Gästeflüge beinhalten großes Ablenkungspotential

Flüge mit Passagieren beinhalten ein großes Ablenkungs- und Überraschungspotenzial, besonders für Anfänger, die mit den gewöhnlichen Aufgaben eines Piloten voll ausgelastet sind, während ein Routinier so manches nebenbei erledigt. Viele Clubs berücksichtigen das in ihren Statuten und legen eine Mindesterfahrung für Gastflüge fest. Als frisch gebackener Inhaber einer Segelfluglizenz durfte ich nicht mal meine Frau mitnehmen – was ich damals als anmaßend empfand. Heute sehe ich es anders. Ein Fluggast vertraut sich einem Piloten an, von dem er annehmen muss, dass der sein Handwerk beherrscht.

Verstehen hilft: Ängstlichkeit kann verschwinden, wenn Mitflieger begreifen, was technisch geschieht. 
Zu umfangreiche Erläuterungen verwirren aber eher

Doch es ist psychologisch eine ganz andere Situation, solo oder mit Ausbilder zu fliegen – oder mit einem Gast. Warum? Weil wir nie genau wissen können, wie sich ein Mensch in einer ihm fremden Situation verhält: Wird ihm übel? Hat er Angst? Überfällt ihn Panik? Zunächst sind es ganz banale Dinge, auf die es vor Flügen mit Passagieren ankommt. Ein Briefing-Gespräch (siehe Kasten Seite 73) ist der erste Schritt. Erzählen Sie, wo’s hingeht, wie lang der Flug dauern wird und welche Flugbedingungen zu erwarten sind. Scheuen Sie auch nicht den Hinweis auf eine fehlende Bordtoilette. Technische Erläuterung binden die Passagiere in die Abläufe ein und schaffen auf diese Weise Vertrauen.

Vorbereitung am besten alleine durchführen

Das Flugzeug sollten Sie schon vorbereitet haben, bevor die Gäste kommen oder während sie noch im Flugplatz-Café sitzen. Denken Sie an Spucktüten, eventuell Sitzkissen und je nach Flugvorhaben auch Schwimmwesten oder ausreichend Sauerstoff. Zum ersten Mal in einer kleinen Einmot mitfliegen – das bringt manchmal selbst coole Jungs und Outdoor-Freaks aus der Ruhe. Keinen festen Boden mehr unter den Füßen zu haben ist eine grundlegend neue Erfahrung, die Stress erzeugen kann. Darauf reagieren Menschen höchst unterschiedlich. In der Kommunikation führt Stress zu zwei Extremen: totalem Schweigen oder hektischem Geplapper. Das eine ist nicht sehr unterhaltsam, und das andere kann nerven oder sogar von einer sicheren Flugzeugführung ablenken. “Gesunde“ Reaktionen wie spontane Begeisterung über die Landschaft stressen mitunter den Piloten. Begeisterung, Euphorie – sowas will raus, besonders wenn Personen an Bord sind, die sich kennen.

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Es wird geredet, gelacht, gestikuliert. Das kann den Piloten ablenken; schließlich möchte er ein Teil der Gruppe sein. Da kommen schnell technische Abläufe zu kurz, ebenso wie die Kontrolle der Fluglage, -höhe und -geschwindigkeit sowie des Luftraums und die Beachtung der Luftraumstruktur.

Briefen Sie ihre Passagiere

Besonders während des Starts und bei der Vorbereitung zur Landung muss Ruhe herrschen. „Steriles Cockpit“ heißt das in der Verkehrsfliegerei. Auch eine wenig vertraute Platzrunde, in der sich noch andere Maschinen tummeln, verlangt dem Flugzeugführer Konzentration ab. „Einen Piloten, der beschäftigt ist, spricht man nicht an“ – das sollten die Mitflieger nicht in der Luft zum ersten Mal hören. Auch deshalb ist ein Vorflug-Briefing unerlässlich. Hier werden klare Absprachen getroffen, zum Beispiel, dass ein Handzeichen des Piloten zum Schweigen verpflichtet. Vor allem wenn er aus einer Kontrollzone heraus startet oder sich unterwegs in eine FIS-Frequenz eingklinkt, muss er auf Funkpräsenz achten. Die meisten Passagiere haben dafür Verständnis, schließlich geht es auch um ihre Sicherheit. Doch darüber sollte der Pilot vorher mit seinen Gästen gesprochen haben.

Gäste ins Geschehen einbinden

Es ist auch nicht taktlos, die physiologische Lufttüchtigkeit zur Sprache zu bringen. Wer schon auf einem Flussdampfer zur Seekrankheit neigt, sollte langsam an die Fliegerei gewöhnt werden. Ein abendlicher Rundflug in ruhiger Luft ist sicher besser geeignet als ein Streckenflug in ruppiger Thermik. Und Steilkurven sind bestimmt das Falsche. Steigern Sie sachte die Dosis, die Ihr Gast abbekommt. Die Anfälligkeit für Übelkeit lässt sich durchaus wegtrainieren: Ein Segelflugkamerad, immerhin langjähriger Weltrekordinhaber, begann jede Saison mit intensiver Benutzung der Spucktüten. Nach dem ersten Streckenflug aber war das Problem stets überwunden. Mit zunehmendem Alter wächst übrigens die Resistenz gegen Kinetose (eigentlich: Bewegungskrankheit).

Passagieren die Angst nehmen

Verunsicherung lässt sich nicht so einfach auffangen. Psychologen unterscheiden zwischen Angst und Furcht. Erstere entspringt eher einem Gefühl allgemeiner Unsicherheit als konkreter Besorgnis. Da hilft nur Ruhe und positive Ausstrahlung des Piloten. Einer jungen Dame konnte ich die Angst vor dem Fliegen nehmen, indem ich sie mal „nur zum Anschauen“ in das Cockpit eines Motorseglers lockte. Dann startete ich das Triebwerk, „nur um einmal hin und her zu rollen“ und ließ sie dabei ganz in Ruhe die Steuerung bedienen. Schließlich hatte sie so viel Vertrauen gewonnen, dass ihre Neugier auf einen kleinen Rundflug – „nur fünf Minuten“ – die verbliebene Unsicherheit überwog. Sie hatte ein tolles Erlebnis – nicht nur wegen der schönen Aussicht, sondern vor allem wegen des Siegs über die eigenen Ängste.

Vorbeugende Maßnahme: Ist die Landeklappe 
ausgefahren, wird kein Passagier draufstehen

Während Angst meist schwer zu ergründende Ursachen hat und kurzfristig kaum zu beseitigen ist, kann man einer sachlich begründeten Furcht über den Verstand beikommen. Da reichen meist wohldosierte Hinweise auf physikalische Gesetze (wie umfangreich für welchen Gast, das muss man als Pilot spüren), auf die Zuverlässigkeit des Auftriebs und darauf, dass Luft nicht „Nichts“ ist, sondern ein überaus tragfähiges Medium. Auch während des Flugs kann jemand seine Furcht dadurch loswerden, dass der Pilot ihm die Technik des Flugzeugs erklärt und vorführt, zum Beispiel den Autopiloten. Furchtsame lassen sich in der Regel von Statistiken überzeugen, und die sagen nun mal, dass Fliegen nicht spektakulär gefährlich ist.

Tür zu und verriegelt? Flugzeugtüren funktionieren anders als Autotüren. 
Erklären Sie Mitfliegern 
die Besonderheiten!

Den Spruch, das Gefährlichste am Fliegen sei die Fahrt zum Flugplatz, brauchen wir ja nicht zu bemühen – es gibt Flugunfälle, und ihre Opfer, die jahrelang zum Flugplatz gefahren sind, belegen die Fragwürdigkeit des Spruchs. Hilfreicher ist es, seine Gäste aktiv ins Geschehen einzubinden, indem man ihnen Aufgaben überträgt. Etwa die Luftraumbeobachtung – vier oder sechs oder acht Augen sehen mehr als zwei. Auf VFR-Flügen macht es vielen Gästen Spaß mitzunavigie-ren; „Navis“ kennen die meisten ja vom Autofahren – jetzt sehen sie, was ein GPS im Flieger kann. Bei IFR-Flügen bietet der Blick nach draußen vielleicht nicht so viel, dafür kann man Einblicke in die Instrumentennavigation geben. Auch das Raussuchen undBereithalten von Navigationskarten beschäftigt die Mitflieger und wirkt beruhigend.

Keiner will der Schwächling sein

Panikattacken sind der „worst case“, vor allem wenn ein Gast in Reichweite des Steuers sitzt. Es kann durchaus vorkommen, dass sich der Nebenmann daran festkrallt, womöglich gleich nach dem Abheben. In Side-by-side-Cockpits mag der Pilot noch Herr der Lage werden – durch ruhiges Zureden, notfalls per Muskelkraft –, doch in Tandemsitzern sollte man vorsorglich den zweiten Steuerknüppel entfernen. Dass sogar der Pilot selbst das Ziel einer Attacke sein kann, vom Rücksitz aus, zeigt folgendes Beispiel: „Sofort umkehren, ich habe meine Tasche vergessen!“ – mit diesen Worten umklammerte mal ein Passagier den Hals eines Cessna-182-Piloten unmittelbar nach dem Abheben auf der Insel Juist. Nur durch seine Routine hat es der Küstenflieger vermieden, das Steuer zu verreißen und abzustürzen.

Füße weg von den Pedalen:
 Die Steuerung muss frei beweglich sein und darf nur mit Zustimmung des Piloten berührt werden

Naheliegenderweise strahlt ein erfahrener Flugzeugführer eher Ruhe und Sicherheit aus als ein Anfänger. Deshalb sollte sich jeder Pilot, der Gäste mitnimmt, selbstkritisch fragen: Bin ich so weit? Fühle ich mich im Umgang mit der Maschine so sicher, dass ich hektische Reaktionen meiner Fluggäste souverän parieren kann? Oder brauche ich noch mehr Flugerfahrung, bevor ich die Verantwortung für Gäste übernehme?

Lassen Sie sich nicht von den Passagieren verunsichern

Eine besondere Problemkonstellation ergibt sich, wenn die Mitflieger selbst Piloten sind. Vier Clubkameraden auf großer Tour – da verderben schnell mal zu viele Köche den Brei. Im Unterrichtsfach HPL (Human Performance and Limitations) geht es deshalb auch um die Zusammenarbeit einer Crew, die aus Privatpiloten besteht. Ist derjenige, der heute vorn links sitzt, wirklich der Chef an Bord? Oder fliegt da als „Kommandant“ der Jüngste und Unerfahrenste mit drei Routiniers, die alles besser wissen? In so einem Team können kritische Entscheidungssituation möglicherweise dazu führen, dass erhöhte Risiken eingegangen werden („Risky Shift“): Die Risikobereitschaft einer Gruppe ist in der Regel größer als die Risikobereitschaft jeder Einzelperson. Das gilt auch für Piloten.

Falsche Schuhe, falscher Tritt: So verführerisch 
Gäste sein mögen – Schuhe mit spitzen Absätzen 
sind genauso daneben wie ein Tritt auf die Flaps

Keiner will als Schwächling dastehen, und gemeinsam fühlt man sich stark. Deshalb wird beispielsweise ein illegaler Einflug in IMC eher in Kauf genommen.

Lassen Sie sich nicht auf dubiose Angebote ein

Früher habe ich mir viele Flugstunden dadurch finanziert, dass ich Kollegen und Freunde mitnahm, etwa wenn es auf eine Nordseeinsel ging. Das lief unter dem Begriff „Selbstkostenflüge“, der aber schon lange Vergangenheit ist (siehe fliegermagazin #2.2009). Natürlich darf man weiterhin Gäste mitnehmen, und wenn sie sich an den Spritkosten beteiligen, wird niemand etwas dagegen haben. Angebote auf Flugtagen könnten aber heikel sein, falls die Form der Werbung darauf schließen lässt, dass Flüge nur nach Bedarf mit angeworbenen Gästen durchgeführt werden. Auch Inserate im Internet gelten als verdächtig. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt zählt bei Passagierflügen aber vor allem der soziale. Im Idealfall ergänzen sich beide. Der erste Flug mit Freunden erfüllt nicht nur mit Stolz, sondern vor allem auch mit Freude über das gemeinsame Erleben. Bilden Sie mit Ihren Gästen ein Team, schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre an Bord. So wird man Sie als guten Gastgeber immer wieder um Mitflüge bitten.

Worauf es ankommt

In einem Vorflug-Gespräch sollte der Pilot Mitflieger auf wichtige Punkte hinweisen, die für sie neu sind:

  • Nennen Sie Ihren Gästen die Eckdaten des Flugs: Ziel, Route, Dauer, Wetter, Flugbedingungen. Und weisen Sie darauf hin, dass es keine Bordtoilette gibt
  • Demonstrieren Sie, wie die Sicherheitsgurte geschlossen und geöffnet werden; führen Sie die Crash-Position vor: wie man sich bei einer Notlandung schützt
  • Erklären Sie, wie Türen und Fenster geöffnet werden und welche als Notausstieg dienen. Betonen Sie, dass diese nur am Boden und nach Rücksprache mit Ihnen geöffnet werden dürfen
  • Zeigen Sie, wo sich Notaxt, Verbandskasten, Feuerlöscher, Spucktüten und Frischluft-Düsen befinden
  • Erläutern Sie gegebenenfalls die Bedienung von Schwimmwesten und Gesamtrettungssystem
  • Führen Sie vor, wie sich die Steuerung bewegt und betonen Sie, dass deren Bewegungen nicht behindert werden dürfen. Wer die Steuerung oder andere Bedienelemente berühren möchte, muss Sie vorher fragen
  • Zeigen Sie, wie man die Kopfhörer handhabt (Abstand Mikro–Mund, Lautstärkeregelung, „Aktiv“-Schalter)
  • Machen Sie verständlich, dass Sie in bestimmten Situationen nicht mit den Gästen reden können. Vereinbaren Sie Schweigepflicht unterhalb von 1000 Fuß und ein Zeichen (erhobene Hand), mit dem Sie um Ruhe bitten, etwa bei eingehendem Funkverkehr. Sagen Sie, dass in anderen Situationen alle Fragen willkommen sind
  • Fordern Sie dazu auf, jedes andere Flugzeug in der Luft zu melden
  • Wünschen Sie Ihren Mitfliegern viel Spaß!

Text: Helmuth Lage, Fotos: Helmuth Lage, Thomas Borchert fliegermagazin 05/2012

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