Unfallakte

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Piper PA-32 und Cessna 172M: Kollision zweier Kleinflugzeuge über Norddeutschland

Zwei Sportflugzeuge nähern sich einander auf gleicher Höhe, mit 180 Knoten. Die Piloten von Cessna und Piper haben nur wenige Sekunden, um die Gefahr zu erkennen

Von Redaktion

Kollisionen in der Luft sind immer noch seltene Unglücksfälle. Möglicherweise wird die Gefahr deshalb von vielen Privatpiloten unterschätzt. Technische Hilfsmittel sind zwar in der kommerziellen Luftfahrt Standard, bei den Privaten jedoch allzu oft Mangelware.

Am 26. September 2015 sind es zwei Privatpiloten, die sich über dem niedersächsischen Flachland einander nähern. Ein Tiefdecker vom Typ Piper PA-28-161 ist am frühen Nachmittag in Bremen gestartet und auf dem Weg zum Flugplatz Bremerhaven. Zur gleichen Zeit fliegt eine Cessna F 172M in nordwestliche Richtung, von Rotenburg an der Wümme zur ostfriesischen Insel Juist; an Bord sind der Pilot und zwei Passagiere. Beide Maschinen fliegen nach Sichtflugregeln, haben keine Kollisionswarngeräte und stehen nicht in Kontakt mit dem Fluginformationsdienst (FIS). Um 13.36 Uhr hält die Cessna einen Kurs von 295 Grad auf 2300 Fuß über Grund.

Piper und Cessna auf Kollisionskurs: Ausweichen unmöglich

Zur gleichen Zeit bewegt sich die Piper etwas weiter westlich in Richtung 005 Grad und 2100 Fuß über Grund. Die Flughöhen ergeben sich aus den Radardaten, die jedoch durch die unterschiedlichen Transponder und den lokalen Luftdruck leichte Abweichungen aufweisen können. Die Flugzeuge sind zu dieser Zeit etwa 3,1 Nautische Meilen voneinander entfernt und nähern sich. Kurz darauf dreht die Piper in einer Rechtskurve nach Osten, um den Flugplatz Bremerhaven direkt von Süden anzufliegen und das Beschränkungsgebiet ED-R 41 über dem Kernkraftwerk Unterweser zu meiden. Die Rechtskurve verkürzt die Distanz zu der von rechts kommenden Cessna deutlich. Der Hochdecker bewegt sich noch immer auf dem gleichen Kurs und in fast gleicher Höhe. Er ist mit der Piper jetzt auf Kollisionskurs und nur noch 1,2 Nautische Meilen von ihr entfernt.

Spurensuche: Das Hauptwrack der Cessna stürzt auf eine Wiese, das Leitwerk und weitere Teile findet man bis zu 430 Meter vom Absturzort entfernt (Foto: BFU)

Erst zwei Sekunden vor dem Zusammenstoß sieht der Piper-Pilot in seiner 1- bis 2-Uhr-Position die Cessna leicht unterhalb wie aus dem Nichts kommen und zieht den Tiefdecker sofort in einen steilen Steigflug. Doch es ist zu spät: Mit der Flügelwurzel der rechten Tragfläche und dem rechten Hauptfahrwerk reißt die Piper Seitenleitwerk und rechtes Höhenleitwerk der Cessna ab. Der Hochdecker stürzt unkontrollierbar in die Tiefe, alle drei Personen an Bord sterben. Auch die Piper ist durch die Kollision schwer beschädigt. Der Pilot schafft es aber noch zum nahegelegenen Flugplatz Bremerhaven und kann mit beschädigtem Hauptfahrwerk notlanden. Er überlebt den Zusammenstoß unverletzt.

Welche Ausweichregeln gelten für die beiden Kleinflugzeuge überhaupt?

Bei den Ermittlungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig stellt sich zunächst eine kuriose Frage: Welche Ausweichregeln galten bei der Annäherung der beiden Flugzeuge überhaupt? Die Experten stellen dazu fest: „Bis zu welchem Winkel sich zwei Flugzeuge entgegenkommen und ab welchem Winkel man von einer Kreuzung sprechen kann, war in den zum Unfallzeitpunkt geltenden Vorschriften nicht definiert.“ Das Problem ist auch in der derzeit geltenden Nachfolgeregelung nicht geklärt: Zieht man die Regel für Überholmanöver als Maßstab heran, so ist bei einem Winkel von über 110 Grad – wie im vorliegenden Fall – von einer Annäherung im Gegenflug auszugehen. Das heißt: Beide Piloten hätten nach rechts ausweichen müssen.

Chancenlos: Mit zerstörtem Leitwerk ist die Cessna 172 nicht mehr steuerbar und stürzt ab. Alle drei Insassen sterben (Foto: BFU)

Was die Wahrnehmung und Reaktionszeit betrifft, ist das Ergebnis der Untersuchung jedoch ernüchternd: Bei einer relativen Annäherungsgeschwindigkeit von 180 Knoten blieben dem Piloten der Piper bei optimalen Bedingungen theoretisch 18 Sekunden, um eine Kollision zu vermeiden. Zieht man Wahrnehmungs- und Reaktionszeit ab, so hatte er 5,5 Sekunden, um die Cessna zu erkennen. Die Wahrscheinlichkeit einer Luftraumüberwachung im richtigen Sektor, so die Ermittler, gehe damit gegen Null.

Keine optimalen Bedingung, die Cessna zu erkennen: Kaum Zeit zum Reagieren

Die Aussichten für den Cessna-Piloten waren noch ungünstiger, er hatte Schätzungen zufolge nur zwölf Sekunden Zeit, um die Piper zu sehen und zu reagieren. Zieht man bei den Berechnungen nicht die sichtbare Rumpflänge, sondern die Rumpfhöhe heran – etwa 1,50 Meter – , so wäre das Flugzeug für den jeweils anderen Piloten erst fünf bis acht Sekunden vor der Kollision erkennbar gewesen. Sonnenstand und Wetter hatten zum Unfallzeitpunkt keinen nachweisbar negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Piloten. Ein Kollisionswarngerät oder FIS hätten die Piloten vielleicht rechtzeitig vor dem Zusammenstoß warnen können.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 9/2017

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