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Gesamtrettungssysteme: Fallschirm fürs Flugzeug

Die Technik und die praktische Bedienung von Gesamtrettungssystemen wie dem Cirrus CAPS oder denen in jedem UL ist immer mehr Piloten vertraut.

Von Thomas Borchert
Große Wirkung: Die Fotos von der Notwasserung in den Bahamas lösten eine Welle des Umdenkens in Sachen Rettungssystem aus Foto: Richard Mcglaughlin

Es war eine Riesenenttäuschung für den Hersteller ebenso wie für viele Piloten: Die Cirrus trat Mitte der neunziger Jahre auch mit dem Anspruch an, ein besonders sicheres Kleinflugzeug sein zu wollen.

Das Gesamtrettungssystem CAPS (Cirrus Airframe Parachute System), eine Rollkäfigkonstruktion rund um die Kabine, keine großen Steuerhörner direkt vorm Piloten und Airbags in den Vierpunkt-Gurten – die Maschine steckt voller Sicherheits-Innovationen. Und doch hatten die SR22 und SR20 eine alles andere als herausragende Unfallstatistik.

Nun ist in den letzten zwei bis drei Jahren ein Umschwung zum Positiven erkennbar – und die Gründe, die sich dafür vermuten lassen, sind durchaus auch auf die Fliegerei mit anderen Flugzeugmustern übertragbar.

Für 2013 gibt die US-Flugunfalluntersuchungsbehörde NTSB eine Rate von 1,07 tödlichen Unfällen pro 100 000 Flugstunden an. Das schließt die relativ sichere Business Aviation ebenso wie die Schulung mit ein. Die Gesamtrate aller Cirrus-Unfälle seit Einführung des Musters ist mit 0,97 darunter gesunken.

Mehr noch: Betrachtet man nur den Zeitraum über ein Jahr von Oktober 2013 bis September 2014 sinkt die Rate auf 0,32. „Dieser Erfolg hat viele Väter – und er geht zurück auf das Jahr 2011“, sagt Rick Beach, Sicherheits-Experte der Cirrus Owners and Pilots Association (COPA), in der sich Piloten und Besitzer zusammengeschlossen haben. Bis 2011, erklärt Beach, galt der Rettungsschirm als letzter Ausweg in Notsituationen – so wurde er Piloten nahe gebracht.

Auf der Notfall-Checkliste ganz oben: Consider CAPS

Dann präsentierte COPA eine ganz neue Philosophie, die der Hersteller Cirrus Aircraft sofort aufgriff. Seitdem ist der Schirm die allerste Erwägung. „Jede Notfall-Checkliste hat als ersten Punkt: Consider CAPS“, erklärt Beach, also die Aufforderung an den Piloten: Erwäge, den Schirm auszulösen. „Die Antwort wird dann oft ›Noch nicht‹ sein – aber bis zum Ende der Notsituation sollte sie nie kategorisch ›Nein‹ lauten.“

Tatsächlich ist seit 2012 zeitgleich die Zahl der tödlichen Unfälle mit Cirrus-Maschinen deutlich gesunken, während die Zahl der Schirmauslösungen gestiegen ist. „Es gab früher viele tödliche Unfälle, bei denen man zumindest die starke Vermutung haben muss, dass sie relativ harmlos ausgegangen wären, wenn der Pilot nur den Schirm ausgelöst hätte“, sagt Beach.

Travis Klumb, bei Cirrus Aircraft unter anderem für die Erstellung von Trainingsunterlagen verantwortlich, ergänzt: „Wir sind sehr viel konkreter und direkter in unseren Empfehlungen geworden, was CAPS betrifft. Heute sagen wir: Wenn der Motor ausfällt und Du nicht über einer Landebahn bist, zieh den Schirm. Das hätten wir früher nicht getan.“

Rettung vor den Bahamas: der rote Schirm der Cirrus war auf dem blauen Meer gut sichtbar

Im Januar 2012 versagte der Motor in der SR22 von Richard McGlaughlin in der Nähe der Bahamas. Die Fotos, die er und seine Tochter Elaine vom riesigen Schirm auf türkisblauem Meer machten, erzeugten ein großes Medien-Echo – und sie erzeugten ein Umdenken unter Piloten.

„Dieser Fall hat viele Skeptiker in den Internet-Foren überzeugt“, meint Rick Beach. Dazu kommt, dass alle CAPS-Auslösungen oberhalb der nachgewiesenen Mindesthöhe und unter der demonstrierten Höchstgeschwindigkeit ohne Todesfall ausgegangen sind.

Die Überlegungen zum Umgang mit dem Fallschirm sind für Europa besonders interessant: Schließlich muss in Deutschland jedes UL ein Rettungssystem haben, in den anderen Ländern sind Schirme ebenfalls üblich. Auch wenn Massen und Geschwindigkeiten in dieser Klasse geringer sind: Die Prinzipien bleiben übertragbar.

Neben dem Umgang mit dem Rettungssystem vermuten Beach und Klumb weitere Gründe für die Verbesserung der Statistik: Cirrus entwickelt aktiv standardisierte Trainingsunterlagen für seine Flugzeuge. Fluglehrer, die sich für die Ausbildung auf Cirrus-Maschinen qualifizieren, werden mit dem Qualitätssiegel des Cirrus Standardized Instructor Program (CSIP) ausgezeichnet.

„Wer mit einem CSIP-Lehrer schult, lernt bestimmte Standards, nach denen er die Maschine fliegt“, erklärt Travis Klumb. „Diese Standards entwickeln wir bei uns im Haus – sie geben vor, wie man eine Cirrus ›richtig‹ fliegt.“

Der Hersteller gibt ein Flight Operations Manual heraus, in dem etwa Power Settings und Speeds für die Platzrunde vorgegeben sind; ebenso sind Unterlagen für das Einsteiger-Training von Cirrus-Neulingen mit einem detaillierten Unterrichtsplan verfügbar. Ist es bei einer Kolbeneinmot mit Festfahrwerk, die von Privatpiloten zum Spaß geflogen wird, so wichtig, standardisierte und zum Teil sehr aufwändige Trainings zu absolvieren als wäre man bei einer Airline? Schließlich veranschlagt Cirrus für einen Umsteiger auf SR20 oder SR22 mal eben fünf bis zehn Stunden Flugzeit mit Lehrer.

Privatpiloten müssen sich selbst motivieren, für eine gute Sicherheitsstatistik zu sorgen

„Die Frage zeugt von einem Mangel an Bescheidenheit“, meint Rick Beach. Schließlich spreche die im Vergleich zur privaten Fliegerei viel bessere Sicherheitsstatistik der Profis für sich. „Die haben einen wirtschaftlichen Anreiz, so sicher wie möglich zu sein. Wir Privatpiloten müssen uns dazu selbst motivieren. Wer das nicht akzeptiert, ist ein weniger sicherer Pilot.“

Auch solche Erkenntnisse bezüglich des Trainings selbst für ein relativ einfaches Flugzeug sind leicht auf andere Muster übertragbar.

fliegermagazin 05/2014

Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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