Unfallakte

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Propellerbruch am Ultraleicht: Absturz einer Evektor EuroStar SLW

Propellerbruch: Beim Rundflug mit einem UL reißt eins der beiden Propellerblätter von der Nabe ab. Durch die Unwucht wird die Maschine unkontrollierbar, und dem Piloten bleibt kaum Zeit, um auf die kritische Situation zu reagieren

Von Redaktion

Manche Gefahren sind für Piloten so gut wie unsichtbar. Dazu zählen ermüdeter Kunststoff oder Haarrisse, die mit bloßem Auge praktisch nicht zu erkennen sind. Besonders sensible Bauteile werden deshalb regelmäßig überprüft oder sogar ausgetauscht. Die Wartungsintervalle aber sind sehr unterschiedlich und mitunter auch unübersichtlich. Kommt eine missverständliche Information eines Herstellers dazu, kann das fatale Folgen haben.

Der Tag, an dem der Eurostar eines Aero-Clubs im niedersächsischen Rheine-Eschendorf ans Limit kommt, beginnt für den Piloten recht routiniert und unaufgeregt. Es ist der 30. November 2013. Der Nordwesten Deutschlands liegt auf der Rückseite einer nach Süden abgezogenen Kaltfront, es herrschen Sichtflugbedingungen. Der Pilot betankt den UL-Tiefdecker gegen 13 Uhr und startet den Motor anschließend mit einer externen Starthilfe. Dann rollt er zum Startpunkt. Bei der Flugleitung hat er als Ziel einen Rundflug Richtung Norden angegeben. Der 56-Jährige hat seine UL-Lizenz 1998 erworben und seither insgesamt 354 Stunden als PIC im Cockpit verbracht. Er ist außerdem im Besitz einer Klassenberechtigung für Segelflugzeuge und Touring-Motorsegler.

Eines der Propellerblätter reißt ab: starke Vibrationen

Um 13.33 Uhr hebt der Eurostar von der 930 Meter langen Graspiste ab und überfliegt den Verkehrslandeplatz von Süden nach Norden, dann geht er auf Kurs Nordnordost. In einer Höhe von 1700 Fuß dreht der Eurostar um 13.40 Uhr in Richtung Nordnordwest. Anschließend sinkt er auf etwa 1000 Fuß.

Nur noch Trümmer: Beim Abtransport des Wracks zeigt sich das hohe Ausmaß der Zerstörung (Foto: BFU)

Vermutlich bemerkt der Pilot zu diesem Zeitpunkt, dass es Probleme mit dem Motor oder dem Propeller gibt. Die Situation eskaliert: Eins der beiden Blätter des Verstellpropellers reißt ab. Der Prop, nun völlig aus dem Takt, verursacht so starke Vibrationen, dass es die gesamte Zelle des Tiefdeckers durchrüttelt und sich die Kabinenhaube öffnet: Die Jacke des Piloten, Luftfahrtkarten und andere Gegenstände werden durch den Fahrtwind aus dem Cockpit herausgezogen. Innerhalb von Sekunden verliert der Pilot die Kontrolle über die Maschine. In der extremen Ausnahmesituation schafft er es auch nicht mehr, das Rettungsgerät auszulösen.

Der Tiefdecker stürzt nahezu senkrecht in die Tiefe und schlägt Augenblicke später auf einem abgeernteten Maisfeld auf. Durch den harten, ungebremsten Aufprall hat der Mann am Steuer keine Überlebenschance, er ist sofort tot. Der Rumpf des Eurostars steckt wie eine Lanze im aufgeweichten Ackerboden, etwa 1,3 Kilometer östlich der Ortschaft Beesten. Selbst das abgeknickte Leitwerk hat sich zehn Zentimeter tief in den morastigen Untergrund gebohrt. Die Tragflächennasen sind bis zum Holm wie eine Ziehharmonika gestaucht, die Zelle ist völlig zerstört.

Dem Pilot der EuroStar gelingt es nicht, das Rettungsgerät auszulösen

Bei den folgenden Untersuchungen am Wrack finden die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) nahe dem Triebwerk ein abgerissenes Propellerblatt, außerdem Propellersplitter, die dem vom Flansch abgetrennten Blatt zugeordnet werden können. Das zweite, vor dem Aufschlag abgerissene Blatt können sie nicht sicherstellen. Auf einer Strecke von etwa 500 Metern bis zur Absturzstelle werden die Gegenstände gefunden, die es aus dem offenen Cockpit geweht hat: die Jacke des Piloten, mehrere Luftfahrtkarten und das Bordbuch.

Tief eingegraben: Nach einem fast senkrechten Sturz bohrt sich der Zweisitzer ins Erdreich. Der Pilot hat keine Chance, den Absturz zu überleben (Foto: BFU)

Die Wartungspapiere des Eurostars belegen, dass der Propeller schon einmal zur Inspektion und Reparatur zum Hersteller in die Tschechische Republik geschickt worden war. Der Deutsche Aeroclub (DAEC) hatte infolge wiederholter Störungsmeldungen bei verschiedenen Propellern desselben Herstellers eine Sicherheitsmitteilung herausgegeben. Darin heißt es, durch Vibrationen und Unwucht könne es zu Schäden an der Befestigung der Propellerblätter während des Betriebs kommen. Und weiter: „Um den sicheren Betrieb zu gewährleisten, müssen die betroffenen Propeller alle 150 Stunden zur Inspektion zum Hersteller.“ Dieser gibt an, dass ein herausgelöstes Propellerblatt starke Vibrationen erzeugen könne. Diese könnten sich auf die Flugzeugzelle übertragen und sogar ein Öffnen der Cockpithaube verursachen.

EuroStar-Absturz: Folgenreiches Missverständnis

Die Bescheinigung der letzten Inspektion des Propellers der Unfallmaschine enthielt einen Hinweis, der bei der Wartung durch einen Flugzeugwart des Aero-Clubs offenbar missverstanden wurde. Darin wird vermerkt, dass eine periodische Nachprüfung nach 300 Stunden erfolgen müsse (immensity 300 hours). Gemeint ist dabei jedoch nicht nach 300 weiteren Betriebsstunden, sondern bei 300 Stunden nach Inbetriebnahme: Da der Prop bis zur ersten Inspektion bereits 150 Stunden gelaufen war, wäre die nächste Nachprüfung bereits nach weiteren 150 Stunden fällig gewesen. 


Der vom Hersteller gewählte Begriff „immensity“ steht weder im Verzeichnis der Luftfahrtbegriffe, noch ist er bei Wartungsverfahren geläufig und scheint vom Hersteller frei gewählt zu sein. Ohne gemeinsame sprachliche Basis von Hersteller und Flugzeugwart, so die BFU, führte die Wortwahl zu einer Fehlinterpretation und damit zum Überschreiten des Wartungsintervalls: Zum Unfallzeitpunkt war der Propeller weitere 266 Stunden in Betrieb.

Spurensuche: Das beim UL gefundene Propellerblatt ist abgebrochen; das fehlende Blatte ist dagegen abgerissen (Foto: BFU)

So hat das missverständlich verwendete und tatsächlich falsch verstandene Wort ein verheerendes Unglück eingeleitet. Die Unwucht und das gewaltsame Öffnen der Cockpithaube brachten das UL in eine unkontrollierte Fluglage, aus der wohl der einzige Ausweg das Rettungsgerät gewesen wäre. Doch der Pilot schaffte es in dem losbrechenden Chaos nicht mehr, die lebensrettende Rakete für den Fallschirm auszulösen.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 12/2017

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