Unfallakte

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Sichtverlust in den Alpen: Zweimot-Absturz einer Cessna 414 Chancellor

Ein Privatpilot fliegt jahrelang illegal Passagiere in den Urlaub – für gutes Geld. Dabei geht er nicht nur juristisch ein hohes Risiko ein

Von Redaktion
Foto: Roland Winkler

Eine der häufigsten Unfallursachen bei Sichtfliegern ist der Einflug in IMC – in eine graue Suppe, wo statistisch nach 180 Sekunden vollständiger Orientierungsverlust droht. Ohne qualifizierte Ausbildung endet so ein Blindflug allzu oft katastrophal. Meist ist ein sorgloser Umgang mit dem Wetterbericht, Zeitdruck oder Selbstüberschätzung die Ursache. Ein Bericht der österreichischen Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes Bereich Zivilluftfahrt (SUB/ZLF) aber stellt alles in den Schatten, was an Sorglosigkeit und Selbstüberschätzung denkbar scheint.

Am 30. September 2012 steht kurz vor Sonnenaufgang eine zweimotorige Cessna 414 abflugbereit auf dem Vorfeld des Flughafens Innsbruck. Die Maschine bietet in einer Druckkabine Platz für maximal neun Personen. An diesem Morgen im Frühherbst wollen sieben Passagiere mit dem Piloten ins spanische Valencia fliegen. Anschließend ist noch ein zweitägiger Zwischenstopp auf der Balearen-Insel Mallorca geplant. Für den Trip bezahlen sie den Piloten, der mit rund 10 000 Flugstunden, davon 1200 auf der 414, als sehr erfahren gilt.

Cessna 414: Start in Innsbruck – Flug in den Nebel

Allerdings: Weder ist die Maschine in einem Luftfahrtunternehmen eingetragen, noch hat der Mann eine Berufspilotenlizenz. Nicht einmal eine IFR-Berechtigung besitzt der Privatpilot. Vom Flughafen Innsbruck werden am Morgen des 30. September Sichtflugbedingungen gemeldet. Doch bereits in den nahen Seitentälern der Alpen hängt zäher Nebel, teilweise auf dem ansteigenden Gelände aufliegend. Eigenhändig verlädt der Pilot das Gepäck; ein Koffer passt nicht mehr ins Gepäckfach und wird in der Kabine verstaut. Die sieben Passagiere sind nach einem gemeinsamen Kaffee in guter Stimmung und nehmen in der Kabine ihre Plätze ein. Dass ihr Flugzeug deutlich überladen ist, ahnen sie nicht.

Kurzer Flug: Minuten nach dem Start taucht die Maschine in Nebel ein und stürzt in einen Wald (Foto: Google)

Um 4.50 Uhr startet die Zweimot von der Piste 26. Die beiden Continental-Sechszylinder-Kolbentriebwerke sind mit Turbolader und Verstellpropellern ausgerüstet. Zusammen leisten sie über 600 PS: Die nahen Alpenkämme sind für die Twin kein Problem. Kurz nach dem Start dreht der Pilot in eine Linkskurve Richtung Meldepunkt GOLF. Wenige Augenblicke später kurvt er bereits in 2500 Fuß Höhe erneut nach links in den Gegenabflug. Mit einer S-Kurve kürzt der 51-Jährige das Abflugverfahren ab und fliegt zum nahe gelegenen Wipp-Tal in Richtung Brennerpass. Dort taucht die Maschine vollständig in den aufliegenden Nebel ein. Wenige Sekunden später zieht der Pilot hart am Höhenruder, doch da streift die Cessna bereits die ersten Bäume; dann kracht sie in den ansteigenden Bergwald nahe der Ortschaft Ellbögen hinein.

Nach der Geländekollision: Absturz der Cessna wird rasch bemerkt

Da die vollgetankte Maschine noch im Flug durch die Kollision mit den Bäumen Feuer fängt, breitet sich der Brand nach dem Absturz schnell im Wrack aus. Einer der Passagiere ist bereits durch den Aufprall tödlich verletzt worden, vier weitere Fluggäste und der Pilot haben schwerste Verletzungen erlitten. Zum Verhängnis werden ihnen jedoch die sich mit dem Feuer rasch ausbreitenden hochgiftigen Rauchgase und das Kohlenmonoxid. Zwei Passagiere können sich dennoch aus dem Wrack befreien. Der Notsender der Cessna ist aktiviert, doch sind die beiden mit ihm verbundenen Stabantennen beim Aufprall abgebrochen – das Notsignal geht ins Nichts.

Doch es gibt Zeugen: Ein Jäger, der von seinem Hochsitz den Aufschlag hört, ruft sofort über sein Handy Hilfe und fährt anschließend zur Unfallstelle. Von dort kommt ihm bereits einer der Überlebenden entgegen. Die Flammen in der Cessna schlagen zu diesem Zeitpunkt schon so hoch, dass an weitere Rettungsmaßnahmen nicht zu denken ist.


Die Ermittler der österreichischen Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes, Bereich Zivilluftfahrt (SUB/ZLF), können am Wrack der Cessna keine Hinweise auf eine technische Störung oder Vorschäden finden, die ursächlich für den Absturz sind. Zwar werden am linken Triebwerk Risse und undichte Stellen nachgewiesen, welche die Steigleistung reduziert haben könnten. Auch die Überladung der Maschine um etwa 360 Kilo führte zu einer verringerten Steigleistung und einem nach hinten verschobenen Schwerpunkt. Der Unfall sei damit aber nicht zu erklären. Unstimmigkeiten in den Unterlagen wie Reparaturen durch nicht zertifizierte Wartungsbetriebe oder den Piloten selbst – wozu er nicht berechtigt war – vervollständigen das Bild eines kaum vorstellbar fahrlässigen Umgangs mit Regeln und Vorschriften.

Selbstüberschätzung: Der Cessna-Pilot flog jahrelang illegal Passagiere

Für den Unfall ursächlich sind aber auch diese Ermittlungsspuren nicht – außer dem Umstand, dass das Luftfahrzeug zum Unfallzeitpunkt formell gar nicht lufttüchtig war. Dagegen bringt die GAFOR-Gebietswettervorhersage einen klaren Befund: Die Strecke von Innsbruck über den Brennerpass nach Brixen und Bozen war zum Unfallzeitpunkt für Sichtflüge geschlossen. Doch der Pilot holte offenbar weder beim Flugwetterdienst der Flughäfen Innsbruck und Salzburg noch beim Online-Service von Austro Control eine Wetterberatung ein. Ob und welche Informationen zum Flugwetter er überhaupt hatte, ließ sich nicht mehr feststellen, so die Ermittler.

Ausgebrannt: Nach dem Aufschlag beginnt das Wrack zu brennen, zwei Passagiere können sich noch aus der Kabine retten (Foto: Versa)

Was die fliegerischen Gewohnheiten des Piloten betrifft, zeigt sich ein erschreckendes Bild: Jahrelang hatte er ohne die notwendigen Berechtigungen gegen Bezahlung Passagiere an ihr Ziel gebracht, als VFR-Pilot teils auch bei IFR-Bedingungen. Dass alles so lange gutging und er nicht aufflog, war dem 51-Jährigen möglicherweise zu Kopf gestiegen. Zur Selbstüberschätzung kam noch ein grober Mangel an Verantwortungsbewusstsein für seine Passagiere hinzu. So berichteten die beiden überlebenden Passagiere, dass es keinerlei Sicherheitshinweise von Seiten des Piloten gegeben habe – auch anschnallen mussten sie sich nicht.

Die österreichischen Ermittler schließen die Untersuchung mit deutlichen Sicherheitsempfehlungen an Austro Control und die EASA: Sie sollten künftig besser sicherstellen, dass Piloten keine gewerblichen Flüge ohne entsprechende Berechtigung durchführen. Kaum vorstellbar, dass der Unfallpilot in seinem fliegerischen Umfeld niemandem aufgefallen sein soll. Auch hinsichtlich des ELT gibt es eine Empfehlung, nämlich Antennen zu verwenden, die einem Aufprall besser standhalten.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2015

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