Unfallakte

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Treibstoffmangel und Realitätsverweigerung: Absturz einer Piper PA-32R bei Arnsberg

Treibstoffmangel: Mit sieben Passagieren startet eine Einmot von der Nordseeinsel Langeoog. Für sein Ziel hat der Pilot nicht genug Treibstoff an Bord

Von Redaktion

Eigentlich müsste völlig klar sein, dass der Flug nicht wie vorgesehen weitergehen kann. Und doch hält der Pilot trotz aller zumindest im Nachhinein überdeutlich erkennbaren Warnzeichen an seinem Plan fest – bis in den Crash. Immer wieder findet sich dieser Ablauf bei Flugunfällen. Der vom 27. August 2013 ist besonders tragisch.


An diesem schönen Spätsommertag startet gegen Mittag eine einmotorige Piper PA-32R von Dortmund in Richtung Arnsberg im Sauerland. Dort nimmt der Pilot einen Passagier auf, um Richtung Norden weiterzufliegen. Ziel ist die ostfriesische Insel Langeoog. Der Plan: Der Passagier soll dort aussteigen, dafür kommen sieben Familienangehörige von ihm an Bord, um dann mit dem Sechssitzer zurück nach Arnsberg zu fliegen. Unter den Passagieren sind vier Kinder im Alter von fünfzehn, sieben, fünf und vier Jahren sowie ein erst einjähriges Kleinkind – das Gesetz erlaubt Kindern unter zehn Jahren, einen Sitz zu teilen. Der Pilot hat eine Kostenteilung zwischen sich und allen Passagieren für den Flug vereinbart. Seit dem Erwerb seiner Privatpilotenlizenz im Jahr 2007 hat der 59-Jährige fast 1000 Stunden im Cockpit verbracht. Er plant, die Berufspilotenlizenz zu erwerben.

Einmotorige Piper PA-32R von Dortmund nach Langeoog

Bei der Zwischenlandung in Langeoog kann der Pilot nicht tanken, der Platz hat keine Tankstelle. Offenbar geht er davon aus, dass die Restmenge an Treibstoff für den Rückflug ausreicht. Die PA-32 startet nach 46 Minuten Aufenthalt auf der Nordseeinsel um 15.54 Uhr von der Piste 05 und dreht kurz nach dem Start auf Südkurs. Wenige Minuten später erreicht der Tiefdecker die Reiseflughöhe von 3000 Fuß. Um 16.52 Uhr meldet sich der Pilot auf der Frequenz des Zielflugplatzes, Arnsberg Info. Etwa drei Nautische Meilen nördlich der Piste von Arnsberg-Menden dreht die Piper um 16.54 Uhr im Sinkflug nach rechts in südwestliche Richtung. Zwei Minuten später hat der Tiefdecker eine Flughöhe von 1400 Fuß erreicht.

Verkalkuliert: Kurz vor dem Zielflugplatz ist der Sprit aufgebraucht, der Motor bleibt stehen. Die Notlandung misslingt (Foto: BFU)

Offenbar ist der Treibstoff jetzt nahezu aufgebraucht, der Motor beginnt zu stottern. Der Pilot meldet daraufhin: „… im linken Queranflug mit Motorproblemen.“ Der Flugleiter reagiert sofort: „Wo bist du?“ Der Pilot darauf: „Querab, äh, von, äh, Wickede.“ Der Flugleiter erkennt den Ernst der Lage: „Kannst du direkt rein?“ Doch es ist der letzte Funkkontakt zu der Piper, zwei Nautische Meilen westlich des Platzes wird das letzte Radarsignal aufgezeichnet. Der Tiefdecker rauscht Augenblicke später nur wenige Meter über dem Boden durch eine Reihe hoher Pappeln und kollidiert mit einigen Ästen.

Treibstoffmangel: Der Tiefdecker kollidiert mit einigen Ästen

73 Meter weiter kracht die Piper auf einer Flussinsel in der Ruhr, etwa 1,7 Meilen westlich der Schwelle 05 von Arnsberg, auf eine Wiese und überschlägt sich. Fünf der acht Insassen haben keine Chance und sterben noch am Unfallort, darunter Pilot, Mutter und Großmutter der Kinder sowie ein 15-jähriger Jugendlicher und ein fünfjähriges Kind. Zwei weitere Kinder laufen orientierungslos an der Absturzstelle umher. Eine Augenzeugin nimmt die schwer verletzten Überlebenden vor Ort in ihre Obhut. Das einjährige Kleinkind wird kurz darauf ebenfalls schwer verletzt aus dem Wrack geborgen. Es kämpft bis heute mit Lähmungen und anderen unheilbaren Folgeschäden.

Die Ermittler der BFU finden keinerlei Hinweis auf technische Mängel, die zum Unfall hätten beitragen können. Dafür ist ein anderes Indiz nicht zu übersehen: Tanks und Treibstoffleitungen sind leer. Die Ermittler finden Notizen einer meteorologischen Flugvorbereitung sowie Kurseinträge in die Luftfahrkarte, jedoch keinen Hinweis auf eine Treibstoffberechnung. Vor dem ersten Flug des Tages hatte der Pilot 80 Liter Avgas getankt. Aus Befragungen der vorherigen Nutzer ergibt sich danach ein Tankinhalt zwischen 175 und 194 Liter.

Keine Hinweise auf eine Treibstoffberechnung – auf das Unerreichbare fixiert

Nach umfangreichen eigenen Berechnungen für die drei Flugabschnitte von Dortmund über Arnsberg nach Langeoog und zurück nach Arnsberg kommen die Unfalluntersucher auf einen Mindestbedarf von 212 Litern – allenfalls hätte der Maximalwert von 194 Litern ausreichen können.

Zerschellt: Die Piper streift einen Baum und stürzt nur wenige Meter davon entfernt auf eine Wiese. Nur drei der sieben Insassen überleben den Crash (Foto: BFU)

Der Tankwahlschalter der Piper hat keine „both“-Stellung, es muss also im Flug regelmäßig zwischen linkem und rechtem Tank gewechselt werden. Dem Piloten hätte bei diesen Gelegenheiten der immer knapper werdende Spritvorrat eigentlich bewusst werden müssen. Dennoch hat er keinen der zahlreichen Plätze entlang der Strecke zum Nachtanken angeflogen. Die Ermittler merken an, dass das Flugzeug nicht voll für eine Notlandung konfiguriert war – so waren etwa die Landeklappen eingefahren. Unmittelbar vor der Kollision mit den Bäumen hatte der Pilot etliche große, gut für eine Außenlandung geeignete Freiflächen überflogen.

Doch offenbar war er so auf das Erreichen des bereits in Sichtweite befindlichen Flugplatzes fixiert, dass er die sich aus dem Spritmangel zwingend ergebende Konsequenz eines Motorausfalls und die dafür erforderlichen Maßnahmen ausblendete. Es mag angesichts des Unfallgeschehens fast nebensächlich erscheinen, ist aber für die (versicherungs)rechtliche Abwicklung höchst relevant: Der Flug war als kommerzieller Transport einzustufen, für den der Pilot eine Berufspilotenlizenz benötigt hätte und der Betrieb in einem Luftfahrtunternehmen erfolgen müsste. Denn die Kostenteilungsregel gilt nur für bis zu sechs Personen an Bord.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 11/2017

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