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UL-Ausbildung am Verkehrsflughafen
Was manche UL-Piloten meiden, gehört in der Ultraleichtflugschule Hannover zum Programm: Fliegen im kontrollierten Luftraum. Am neuntgrößten Airport Deutschlands lernen Schüler den Maximalfall. Das hilft auch an kleineren Plätzen
Wenn du bei Sonnenaufgang hier reinfliegst mit deinen Schülern – das ist ein absoluter Traum“, sagt Timo Drollinger. Der Leiter der Ultraleichtflugschule Hannover steht am Fenster seines Büros im ersten Stock des General Aviation Terminals 2 und blickt zur Schwelle der Piste 27R. „Oder wenn hier abends alle Lichter hochgefahren werden und wir 25 Minuten nach Sunset zur letzten Landung anfliegen – einfach cool.“
Lernen bei den Großen
Eine Kontrollzone, neun Seiten Flugplatzkarten in der AIP, drei Hartbelagpisten, die längste 3800 mal 45 Meter, Airbus A320 und andere Verkehrsflugzeuge, Sicherheitskontrolle – will man da fliegen lernen? Nicht um Berufspilot zu werden, auch nicht Privatpilot, sondern um ein Luftsportgerät steuern zu dürfen? Beim UL-Fliegen liegen die Möglichkeiten extrem weit auseinander. Sie reichen vom offenen Wiesenschleicher bis zum 300 km/h schnellen Hightech-Gerät, vom kleinen Grasplatz, auf dem nur Luftsportgeräte zugelassen sind, bis zum internationalen Verkehrsflughafen. Hannover-Langenhagen(EDDV) ist so ein Platz. Und eine der Möglichkeiten, ultraleichtfliegen zu lernen. “Die Leute kommen nicht hierher, obwohl es Hannover ist, sondern weil es Hannover ist“, betont Timo. „Wer hier fliegen lernt, wird mit dem Größtmöglichen konfrontiert. Dann hat er es woanders leichter.“
Und es stimmt ja: Wer an einem kleinen Platz fliegen lernt und danach nie einen kontrollierten ansteuert, scheut Kontrollzonen. Damit scheiden nicht nur viele Ziele aus. Wenn D- und C-Lufträume nicht in Frage kommen, müssen unterwegs auch Umwege in Kauf genommen werden. Mitunter wird das aber gar nicht als Mangel betrachtet, sondern zur eigenen Philosophie erklärt: Kontrollierte Lufträume, Lotsen, Meldepunkte – damit will ich gar nichts zu tun haben.So unterschiedlich die fliegerischen Vor-stellungen in der UL-Szene sind, so groß sind die Unterschiede bei den Schulen. Timos Unternehmen verkörpert den Pol des Spektrums, der sich an der professionellen Fliegerei orientiert. „Berufspiloten“, so seine Beobachtung, „sind eigentlich immer Vorbilder, auch für Hobbypiloten. Je näher ich das Flugerlebnis an die Berufsfliegerei ranbringe, desto spannender wird es für unsere Piloten.“
Um in kontrollierten Lufträumen fliegen zu dürfen, müssen die angehenden Piloten das BZF erwerben
Schon bei der Funkausbildung lässt der Standort EDDV gar nicht das Minimum zu: Fürs UL-Fliegen genügt Flugfunkunterricht im Rahmen der theoretischen Ausbildung, doch wer sich in kontrollierten Lufträumen bewegt, braucht mindestens das beschränkt gültige Flugfunkzeugnis (BZF). Deshalb erwerben es alle Schüler in Hannover. Als Referenten holt sich Timo Profis vom Tower. „Die sind darauf aus, die Qualität zu heben“, sagt er, „vor der Prüfung bieten sie sogar ein Intensivabschlusstraining an. Alle ziehen hier an einem Strang.“ Nirgendwo in Deutschland sind die Lotsen übrigens jünger, ihr Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre.
Thorsten Jüngel, ihr Chef, pflegt mit neuen UL-Schülern ein ausgefallenes Ritual: Wenn er am ersten Tag gemeinsam mit ihnen den Flughafen abfährt, stoppt er am Rollhalt, wo jeder aussteigt und mit der Hand die Farbmarkierung berührt. Der Rollhalt, erfahren die Neulinge, sei wie ein Stoppschild, und was man angefasst habe, vergesse man nicht so schnell. Es sind Besonderheiten wie diese, die Hannover von anderen Ausbildungsortenunterscheiden.
Die Flugschüler erfahren auf dem Verkehrsflugplatz die selbe Ausbildung wie anderswo
Ungewöhnlich sind auch die Flugbetriebszeiten, verglichen mit Sonder- oder Verkehrslandeplätzen: von 6.00 bis 22.00 Uhr, so lange das General Aviation Terminal eben geöffnet ist und das Tageslicht UL-Flüge zulässt. Gut, der Sicherheitscheck … Aber die Kontrollstelle erhält laufend eine aktualisierte Liste mit den Namen der Schüler, sodass man weiß, mit wem man’s zu tun hat. Die Prozedur dauert angeblich nur eine Minute. Fliegerisch-handwerklich lernen Schüler in EDDV nicht mehr als anderswo – aber auch nicht weniger: Wie man auf kurzen Pisten zurechtkommt, üben sie auf Landeplätzen in der Region; zum Platzrundenschrubben geht’s meist nach Hodenhagen oder Hildesheim.
Es ist eher das Situations-bewusstsein, das durch die Komplexität des Flugbetriebs auf einem großen Airport geschärft wird: Wer macht was wo und wann? Zwar werden Piloten an einem kontrollierten Platz geführt, aber die Vielzahl der Flug-bewegungen zwingt zu erhöhter Aufmerksamkeit. Während Abläufe im Funk verfolgt, visuell wahrgenommen und antizipiert werden müssen, lernen die Flugschüler, sich aktiv ins Geschehen zu integrieren. Wirbelschleppen sind dabei, entgegen der Erwartung, kein Problem: Kleine Flugzeuge benutzen in der Regel die Centerpiste, die zwischen den beiden großen Runways liegt; bei An- und Abflug werden die Routen der Großen nicht berührt. Bekommt ein UL-Pilot dennoch mal die 3,8 Kilometer lange „09L/27R“ zugewiesen, gelten für ihn die markierten Aufsetzpunkte für Kleinflugzeuge. Falls gerade ein Airliner oder Militärjet gelandet ist (Hannover fungiert als Ausweichstützpunkt des Fliegerhorsts Wittmundhafen), wird den Schülern beigebracht, höher anzufliegen und den eigenen Aufsetzpunkt hinter den des zuvor Gelandeten zu legen, damit der Flugweg über die Wirbelschleppe führt. Wo sonst lernt man sowas in der praktischen UL-Ausbildung?
Der Flugschulleiter arbeitet heute mit mehreren Gutscheinportalen zusammen
Für Timo, den Flugschulleiter, stand immer fest, dass er sich genau hier in Hannover-Langenhagen niederlassen wollte. Mit 31 hatte er bei VW gekündet. Teamleiter im Marketing – da geht man nicht so einfach, doch er wollte etwas machen, das Hand und Fuß hat. Schon bald nachdem er die UL-Lizenz erworben hatte, probierte er etwas aus, das heute ein wichtiges Standbein seines Unternehmens ist: Rundflüge. Durch ganz Deutschland ging’s damals, 2003, vierzig Städte an vierzig Tagen, überall nahm er Passagiere mit. Organisiert wurde die Tour gemeinsam mit dem Geschenkgutschein-Anbieter Groupon.
Heute arbeitet er mit weiteren Gutscheinportalen zusammen, etwa Jochen Schweizer oder mydays. Denn die Idee hat sich bewährt: Neugierige im UL mitnehmen und sie so fürs Fliegen begeistern. „20 Prozent der Leute, die vor einem Flugzeug stehen, finden sowas nett“, weiß Timo, „aber 80 Prozent derer, die drinsitzen, flippen aus.“ Mittlerweile werden neben reinen Sightseeing-Flügen auch 30-minütige Schnupperflüge mit Fluglehrer angeboten, über die Republik verteilt in sieben Städten. Dabei können die Interessenten rausfinden, ob sie Pilot werden wollen. Tausend Flüge des einen oder anderen Typs führt die Flugschule Hannover pro Jahr durch, dafür betreibt sie ein eigenes UL. Geld verdienen, räumt der Chef ein, könne man damit zwar kaum, aber es erweitere den Horizont und bringe Abwechslung ins Flugschulleben. Und natürlich Kunden in die Schule.
Zu VW, sagt Timo, wolle er nicht mehr zurück, der Konzern hatte ihm diese Option auf fünf Jahre gewährt. Selbstständigkeit und Fliegerei zählen für ihn mehr als der Verdienst. Wichtig scheint die VW-Zeit dennoch gewesen zu sein, denn gutes Marketing ist zweifellos eine der Stärken seiner Schule: Rundflüge, Schnupperflüge, ein YouTube-Video über den Ausbildungsbetrieb, produziert von HannoverAirportTV …An der Freizeitmesse abf ist Timo auch schon dran, die Bühne für einen noch größten Coup soll ebenfalls die niedersächsische Landeshauptstadt sein: „Auf einer freien Fläche einen Flieger hinstellen und Werbung machen, am Samstagmorgen. Das wäre ein coole Sache!“
Text: Peter Wolter, Fotos: Ultraleichtflugschule Hannover fliegermagazin 04/2017
Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.
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