WISSEN

/

Unfall mit Kodiak 100 in Rendsburg: Wenn Erfahrung trügt

Beim Schulungsflug zum Erwerb der Klassenberechtigung für die Kodiak 100 misslingt eine Langsamflug-Übung im kurzen Endanflug – die dort nichts zu suchen hat.

Von Martin Schenkemeyer
In Verlängerung der Piste in Rendsburg setzt die Kodiak 100 auf einer Wiese noch außerhalb des Flugplatzgeländes hart auf.
In Verlängerung der Piste in Rendsburg setzt die Kodiak 100 auf einer Wiese noch außerhalb des Flugplatzgeländes hart auf. Bild: BFU

Es gibt mutige Piloten und es gibt alte Piloten. Aber es gibt keine alten Piloten, die mutig sind.« Dieser altbekannte Spruch kommt einem beim Studieren von Unfallberichten in der Luftfahrt immer wieder in den Sinn. Eine gewisse Portion (Über-)Mut spielte auch beim Absturz einer Kodiak 100 in Rendsburg-Schachtholm eine Rolle, den die Insassen zum Glück nicht mit dem Leben bezahlten.

Kodiak 100: Die Turboprop mit bis zu zehn Sitzen wird in den USA gefertigt, gehört aber zum französischen Hersteller Daher.
Bild: Daher Aircraft

Am Morgen des Unfalltags brechen der Eigner der einmotorigen Turboprop sowie drei Begleiter am Flughafen Guernsey (EGJB) in Großbritannien auf, um das Flugzeug nach Hamburg (EDDH) zu überführen. Hier soll ein Fluglehrer zusteigen, um einen der Begleiter auf der Turboprop ausbilden. Um 12.18 Uhr landet der Hochdecker in der Hansestadt. Nach dem Briefing der geplanten Ausbildungsflüge zum Erwerb der Klassenberechtigung startet die Maschine um 13.52 Uhr in Hamburg und nimmt Kurs in Richtung Kiel-Holtenau (EDHK). An Bord befinden sich nun der Fluglehrer, der auszubildende Pilot sowie der Eigner, der das Geschehen von einem der hinteren Sitze aus beobachtet.

Viel Erfahrung im Cockpit

Von Kiel geht es weiter nach Rendsburg- Schachtholm (EDXR). Unterwegs führt die Besatzung verschiedene Flugübungen durch. Nach zwei Pausen in Rendsburg und zwischenzeitlichen Platzrunden in Itzehoe (EDHF), startet die Kodiak um 17 Uhr wieder in Rendsburg, um hier weitere Platzrunden zu fliegen. Anschließend ist geplant, zurück nach Itzehoe und Kiel zu fliegen, bevor der Tag gegen 19 Uhr in Hamburg enden sollte. Das Buschflugzeug hebt schließlich auf der Piste 21 des Verkehrslandeplatzes ab und fliegt zunächst eine Platzrunde mit Landung ohne Klappen.

Nach dem Durchstarten plant die Besatzung diese Übung ein weiteres Mal durchzuführen. Im Endanflug soll dabei die Annäherung an eine kritisch niedrige Fluggeschwindigkeit mit anschließendem Recovery-Verfahren geübt werden. Dies bedeutet, das Höhenruder bei Ertönen der Stall-Warnung nachzulassen und nachfolgend zügig Startleistung zu setzen. Der Flugschüler reduziert wie gebrieft im Endanflug die Geschwindigkeit, bis der Warnton zu hören ist. Nun führt er das Recovery- Verfahren durch und plant, durchzustarten.

Das Bugrad reißt ab, das linke Hauptfahrwerk knickt weg. Die Maschine wird schwer beschädigt, aber nur ein Insasse leicht verletzt. Bild: BFU

Plötzlich verringert der Fluglehrer die Triebwerksleistung erneut, um die Übung unmittelbar zu wiederholen. Die Höhe über Grund beträgt zu diesem Zeitpunkt lediglich 180 Fuß. Die Warnung vor dem Strömungsabriss ertönt sofort wieder, der Flugschüler wendet nochmals das Recovery Verfahren an. Dabei sackt die Maschine allerdings unerwartet durch, und es gelingt der Besatzung nicht mehr, die Fluglage zu stabilisieren. Um 17.07 Uhr setzt die Kodiak hart auf einer Wiese außerhalb des Flugplatzgeländes auf. 70 Meter nach dem Bodenkontakt kommt das Flugzeug schwer beschädigt zum Stillstand. Die drei Insassen können das Flugzeug selbstständig verlassen. Lediglich der Fluglehrer wird leicht verletzt.

Keine Stalls unter 1500 Fuß

Die Untersuchung der Unfallursache stellte die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) nicht vor allzu große Rätsel. Denn es ist offensichtlich, dass Übungen, bei denen es zum Strömungsabriss kommt, nicht in niedrigen Höhen durchgeführt werden sollten. So steht im Flughandbuch der Kodiak 100 geschrieben, dass dabei mit einem Höhenverlust von bis zu 500 Fuß zu rechnen ist und diese daher in ausreichend großer Höhe zu fliegen sind. Die BFU verweist auf das „Airplane Flying Book“ der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA, wonach Übungen mit Grenzflugzuständen nicht in Höhen unterhalb von 1500 Fuß über Grund absolviert werden sollten.

GPS-Flugwegaufzeichnung vom Rollen zum Start bis zum Stillstand auf der Wiese vor der Piste 21.
Bild: BFU

Bei der Suche nach einer Erklärung, warum dies dennoch geschah, bringt die BFU die Flugerfahrung von Flugschüler und Fluglehrer ins Spiel: Beide waren im Besitz von Berufs- oder Verkehrspilotenlizenzen und hatten mehrere tausend Stunden Erfahrung. Auch der Flugschüler war Prüfer. Laut BFU ereignen sich immer wieder Flugunfälle mit Besatzungen, die über hohe Einzelerfahrung verfügen. Oft werden in dieser Konstellation höhere Risiken in Kauf genommen. Die BFU verweist darauf, dass diese gruppendynamischen Prozesse auch außerhalb der Luftfahrt anzutreffen sind. Darüber hinaus erwähnen die Ermittler in ihrem Bericht, dass Unfälle im Rahmen von Ausbildungs- oder Checkflügen keine Seltenheit sind, insbesondere beim Üben von Notverfahren.

8 Millimeter bis High-Idle

Der Fluglehrer gab nach dem Vorfall an, dass das Triebwerk bei der Erhöhung der Leistung verzögert reagiert habe. Tatsächlich wurde bei der Untersuchung der Kodiak festgestellt, dass der Fuel Condition Lever zirka acht Millimeter vor Erreichen der Stellung „High Idle“ auf einen Widerstand traf und sich somit nicht in der beabsichtigten Position befand. Dadurch war die Leerlaufdrehzahl des Triebwerks geringer als zu erwarten. Entsprechend dauerte es etwas länger, bis bei einer Leistungserhöhung wieder Startleistung anlag.

Schwergängig – Acht Millimeter vor der High-Idle-Position ist Widerstand beim Vorschieben des Fuel Condition Levers zu spüren. Bild: Axel Rokohl / BFU

Hersteller Daher gab in einer Stellungnahme zum Vorfall zu Protokoll, dass eigene Flugtests ergeben hätten, dass dieser Mangel so gut wie keinen Einfluss auf die Zeit für das Hochlaufen des Triebwerks sowie das Recovery-Verfahren bei Strömungsabriss habe. Weitere technische Mängel wurden an dem Luftfahrzeug nicht festgestellt. Auch das Wetter war gut und spielte keine Rolle.

Schüler dürfen „Nein“ sagen

Abschließend verweist die BFU darauf, dass im Rahmen von Flugausbildungen keine spontanen und nicht mit dem Flugschüler besprochenen Übungen durchgeführt werden sollten. Dies gelte auch dann, wenn das Ziel sei, Übungsszenarien realitätsnah und fordernd zu gestalten. Sicherheitsreserven dürften dabei nicht reduziert oder gar aufgegeben werden.

Der beschriebene Fall zeigt zum einen, dass man sich auch von großer Flugerfahrung nicht dazu verleiten lassen darf, unnötige
Risiken einzugehen. Zum anderen zeigt er, dass man als Flugschüler nicht alles mitmachen muss, was der Lehrer verordnet. Der Schüler sollte Übungen abbrechen, wenn er sich dabei unwohl fühlt. Denn Mut ist in der Fliegerei kein guter Berater.

LESEN SIE AUCH
Wissen

Kontrollverlust in den Wolken: Wider allen Regeln

Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

Schlagwörter
  • Unfallakte
  • Kodiak 100
  • Rendsburg-Schachtholm
  • Flugzeugabsturz