Unfallakte

Unfallflucht: Misslungener Go-around einer Cessna Citation C551 in Basel

Das Gefühl bei einer CAT-III-Landung stellt man sich am besten so vor:
 in der dicksten Nebelsuppe auf der Autobahn mit 200 unterwegs – und man weiß nicht, was kommt. Doch CAT-III-ausgebildete Crews meistern dank entsprechend ausgerüsteter Flugzeuge auch solche fast Null-Sicht-Landungen. Aber eben nur solche Crews …

Von Redaktion

Nebel hängt in den entlaubten Bäumen. Das Land ist wie in dicke Watte gepackt, man sieht kaum 50 Meter weit. Geräusche dringen nur gedämpft ans Ohr. Die gesättigte Luft scheint alles zu verschlucken. Die Höhe der Wolkenuntergrenze ist praktisch nicht messbar. Eine Landschaft grau in grau. Herbst im Elsass. Heute sind sogar die Vögel freiwillig zu Fuß unterwegs. Am Verkehrsflughafen Basel-Mühlhausen am Oberrhein schieben die Lotsen eine ruhige Kugel: Bei 50 Meter Bodensicht und einer Pistensichtweite (Runway Visibility Range, RVR) von 200 Meter im Aufsetzbereich der Landebahn 16 sind nur die harten Jungs unterwegs – ganz klar Bedingungen für Betriebsstufe (CAT) III.

Wer in dieser dicken Suppe landen will, muss entsprechend lizensiert sein. Zudem ist für das Flugzeug eine aufwendige Zusatzausrüstung für die vollautomatische Landung nötig: Autopilot und Autothrottle (automatische Schubregelung) übernehmen die Führung bei Anflug und Landung. Ohne dieses Equipment und bar jeglicher fundierter Schulung fährt man mit einer „Ein-bisschen-was-wird-schon-gehen“-Mentalität voll gegen die (Nebel-)Wand. Denn wer mit sehr viel Glück die Bahn finden und landen sollte, sähe sich bei Sichten gegen null mit dem nächsten Problem konfrontiert: Wo bin ich, wo sind die Rollwege und wo die anderen? Doch so weit kommt die Crew einer Cessna Citation C551 erst gar nicht, die sich Ende September 2002 auf den Weg zu dem französischen Platz macht.

Schlechte Sicht: Start einer Cessna Citation C551

Zu dem kurzen Trip startet der zweistrahlige Jet eines schwäbischen Business- und Executive-Unternehmens in Stuttgart um 9.08 Uhr bei CAVOK. Keine viertel Stunde nach dem Take-off erhalten die beiden Piloten von Basel Approach die Information, dass der Platz dicht sei: eine RVR für die Bahn 16 von 200, 250 und 300 in den einzelnen Segmenten sowie eine Hauptwolkenuntergrenze von 100 Fuß lassen nur einen Instrumentenanflug nach CAT III zu. Für den 54-jährigen Pilot in Command und seinen 40-jährigen Co, beide mit knapp 13 000 und 6000 Stunden recht erfahren, ein Tabu. In ihren Lizenzen für Verkehrsluftfahrzeugführer limitiert sie der Eintrag „Entscheidungshöhe 60 Meter/200 Fuß“ für Anflüge nach Kategorie I.

Das heißt nicht, dass sie den Anflug nach Übermittlung des Wetters hätten abbrechen müssen. Die europaweit vereinheitlichten Vorschriften im Luftverkehr gestatten selbst bei dermaßen hoffnungslos erscheinenden Sichten, einen Anflugversuch zu beginnen: Nach JAR-OPS 1.40 (a), den Bestimmungen der JAA über die gewerbsmäßige Beförderung von Personen und Sachen, darf man ungeachtet der gemeldeten Pistensichtweite einen Instrumentenanflug beginnen. Bis zum Voreinflugzeichen, aber nicht weiter, wenn die gemeldete Sicht geringer ist als die vorgeschriebenen Mindestwerte. Um 9.30 Uhr aktualisiert der Tower die Sichten auf der Bahn mit 250, 250 und 270 Meter. Die beiden Piloten zeigen sich unbeeindruckt, rauschen im Nebel weiter das ILS herunter. Was dann geschieht, sieht wegen des Nebels niemand: Zirka 300 Meter vor der Bahn und rund 40 Meter nördlich der Anfluggrundlinie setzt der Businessjet kurz auf einer Wiese auf und startet augenblicklich durch.

300 Meter vor der setzt der Businessjet kurz auf einer Wiese auf und startet augenblicklich durch

Basel Tower wird über den Go around informiert, dann herrscht Schweigen am Funk. Wo sind diese Deutschen, die im Nebel nach der Runway gestochert haben? Ist etwas passiert? Trotz mehrfacher Versuche erreichen die Lotsen den Jet die nächsten zweieinhalb Minuten nicht. Mit dem Hinweis, das Wetter liege unter dem Minimum, verabschiedet sich die Citation-Crew nach dieser Funkpause schließlich nach Stuttgart. Mit Unfallflucht ist das so eine Sache: Kann gut gehen – oder auch nicht. Nehmen wir beispielsweise an, ein Autofahrer beschädigt beim Ausparken mit seinem Pkw in einem Parkhaus ein anderes Fahrzeug. Wenn er Glück hat und es keine Augenzeugen oder Videokameras gibt, stehen die Chancen gut, sich unerkannt aus dem Staub zu machen.

Lediglich zerbrochenes Blinkerglas oder Lackspuren könnten den Unfallrowdy später überführen. Eine „Pilotenflucht“ bleibt hingegen nicht so leicht unentdeckt. Im Fall der Citation-Crew sind die Hinterlassenschaften ein paar Nummern größer: Bei ihrem Touch and go auf der Wiese brechen tragende Teile des linken Fahrwerks sowie eine Antenne ab. Auf dem Rückflug nach Stuttgart melden die beiden Piloten, sie hätten Probleme mit dem Fahrwerk, es sei nicht richtig eingerastet und baumle – von der Wieseneinlage kein Wort. Auf dem Verkehrsflughafen wird neben der Runway ein Grasstreifen gewässert, dort soll der lädierte Jet aufsetzen. Bei einem tiefen Vorbeiflug am Tower erkennen die Lotsen, dass das linke Hauptfahrwerk etwa 20 Grad nach außen gekippt und das Rad um zirka 30 Grad nach links außen gedreht ist. Bei der anschließenden Notlandung wird der Jet schwer beschädigt, die Piloten bleiben unverletzt.

Unfallflucht: Bei ihrem Touch and go auf der Wiese brechen tragende Teile des linken Fahrwerks sowie eine Antenne ab

Später wird der Pilot gegenüber den Experten der Flugunfall-Untersuchungsstelle die Version vortragen, dass das Fahrwerk beim Ausfahren im Endteil in Basel nur zu zwei Drittel ausgefahren und nicht verriegelt gewesen sei sowie das entsprechende grüne Kontrolllämpchen, das ein „Down and locked“ signalisiert, nicht geleuchtet habe. Alternative Notmaßnahmen zum Ausfahren des Gears hätten nichts gebracht. Kein Wort aber zum Touchdown. Bei der Untersuchung des Fahrwerks finden die Untersucher keine Hinweise auf technisches Versagen. Und noch etwas: Die Art der Schäden deutet mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass das Fahrwerk ausgefahren und verriegelt gewesen sein muss. Was ist tatsächlich während des Flugs genau passiert? Die Radaraufzeichnung werden ausgewertet, und im Anschluss bittet man die französischen Kollegen, doch mal die Wiese vor der Bahn in Basel-Mühlhausen auf Spuren abzusuchen.

Und tatsächlich finden sich dort die Fahrwerksteile und die Antenne der Citation – wenn auch erst nach sechs Monaten. Somit konnte man den beiden Piloten ihren halsbrecherischen Nebelanflug samt Bodenberührung nachweisen. Für sie dürfte es vor Gericht schwer werden, eine plausible Erklärung zu finden, warum sie den Anflug fortsetzten und die Entscheidungshöhe unterschritten. Ihnen wird die Gefährdung des Luftverkehrs nach Paragraph 315 StGB vorgeworfen. Luftfahrtrechtlich versierte Juristen gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Lizenzentzugs sehr hoch ist. Und ob die Versicherung bei diesem Sachverhalt den Schaden bezahlen wird, dürfte mehr als fraglich sein. Der Jet, hierzulande ein wirtschaftlicher Totalschaden, ist zwischenzeitlich repariert worden und fliegt bereits wieder in den Vereinigten Staaten.

Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 1/2005

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