Unfallakte

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Unzulässige Trudelübung: Absturz des Zweimot Cessna 441 Conquest

Trudeln mit einer Zweimot ist ein extrem gewagtes Manöver. Per Notfall-Strategie aus dem Handbuch kann der gefährliche Flugzustand beendet werden – wenn die Höhe ausreicht

Von Redaktion

An einem bedeckten Apriltag beobachten Spaziergänger nahe der Ortschaft Ascheberg im Münsterland das beeindruckende Spektakel einer Zweimot. In starker Schräglage kurvt das Flugzeug mal links, mal rechts herum. Erst verliert die Maschine zügig Höhe, anschließend geht sie in einen treppenartigen Steigflug über – erst langsam, dann schnell, dann wieder sehr langsam. Die ungewöhnlichen Flugbewegungen erscheinen den Augenzeugen an diesem Nachmittag wie die Abfolge genau einstudierter Manöver. Die da oben müssen schließlich wissen, was sie tun. Was die Beobachter am Boden nicht ahnen können: Dort oben fliegen zwei Piloten, die ihre Maschine, eine Cessna 441 Conquest, bewusst an die Grenze der Flugfähigkeit bringen – und darüber hinaus, wie sich später herausstellen soll.

Die Steilkurven und Überziehmanöver sind Übungen im Rahmen einer Einweisung. Der verantwortliche Pilot gilt mit fast 14 000 Stunden als sehr erfahren. Seit 14 Jahren hat er den ATPL und darf Piloten auf die Muster ATR 42/72 und Cessna 441 einweisen. Sein Schüler hat fast 2000 Stunden Flugerfahrung, überwiegend auf Einmots. Mit der zweimotorigen Turboprop absolviert er gerade seine vierte Einweisungsstunde. Aus den Radaraufzeichnungen lässt sich detaillierter entnehmen, was den Spaziergängern am Boden wie eine Airshow vorkommt.

Einweisungsflug mit Cessna 441 Conquest

Westlich der Stadt Werne fliegt die Maschine in Flugfläche 27 erst einen Kreis nach links und geht dann in einen Rechtskreis über. In diesem Rechtskreis sinkt sie kurzfristig mit 2000 bis 3000 Fuß pro Minute auf Flugfläche 15. Dabei muss die Eigengeschwindigkeit der Conquest zunächst 150 Knoten und am Ende des Kreises 125 Knoten betragen haben. Anschließend steigt die Cessna wieder auf Flugfläche 38, was einer Höhe von 3259 Fuß über Grund entspricht. Die Steigrate erhöht sich dabei zunächst von 700 auf 2000 Fuß pro Minute, um dann auf Werte zwischen 200 und 500 Fuß pro Minute abzufallen.

Im weiteren Flugverlauf kurvt der Pilot wieder auf Nordkurs, während die Geschwindigkeit kurzzeitig auf 75 Knoten abfällt. Laut Handbuch beträgt die Stallspeed der Conquest mit null Grad Querneigung, eingefahrenen Klappen und einer Masse von 3628 Kilogramm 82 Knoten IAS. Das entspricht genau dem Gewicht, was die Cessna zu dieser Zeit hat. Unmittelbar darauf zeichnet das Radar einen steilen Sinkflug mit 4500 Fuß pro Minute auf. Dabei beträgt die Geschwindigkeit kaum mehr als 60 Knoten. In Flugfläche 11 (590 Fuß GND) enden die Radaraufzeichnungen.

Während dieser Sekunden hören die Spaziergänger das Aufheulen überdrehter Triebwerke. Sie beobachten, wie sich die Conquest in einer „korkenzieherartigen“ Bewegung dem Erdboden nähert. Die Zeugen geben später zu Protokoll, sie hätten gesehen, wie die Maschine in geringer Höhe und ohne Längsneigung „flach wie ein Teller“ um die eigene Achse drehte, bevor sie nahe eines Bauernhofes auf einen Acker prallte.

Bei der Besichtigung des Unfallorts stellten die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) fest, dass die Zweimot keine Spuren hinterlassen hat, die auf eine Vorwärtsgeschwindigkeit beim Absturz schließen lassen. Die Piloten waren beide nicht angeschnallt und erlitten durch den fast senkrechten Aufprall der Maschine mehrfache Brüche der Wirbelsäule. Der Absturz war nicht überlebbar. Auch nach Auswertung der Augenzeugenberichte lag die Vermutung nahe, dass die Cessna zum Schluss ins Flachtrudeln geraten war und nicht mehr abgefangen werden konnte.

Einweisung auf C441: Überziehen bis zum Abkippen

Wetteraufzeichnungen belegen, dass die Wolkenuntergrenze an diesem Tag bei 3500 bis 4000 Fuß GND lag. Ohne Zweifel gutes VFR-Wetter, aber zu tief, um das Verhalten der Conquest beim Strömungsabriss kennenzulernen. Denn das Handbuch schreibt eine Mindesthöhe von 5000 Fuß GND für solche Übungen vor. Technische Probleme, die zum Unfall beigetragen haben könnten, schließt die BFU aus. Es wurden keine unfallrelevanten Mängel gefunden. Schwerpunkt und Masse lagen innerhalb der zulässigen Grenzen. Zudem konnte im Nachhinein nicht festgestellt werden, welcher der beiden Insassen zum Unfallzeitpunkt das Flugzeug steuerte.

Allerdings stellten die Ermittler im Laufe ihrer Untersuchungen fest, dass der einweisungsberechtigte Pilot die Ansicht vertrat, dass bei einer Einweisung auf ein neues Muster mindestens einmal ein Überziehen bis zum Abkippen gezeigt werden sollte. Die schriftliche Aussage eines Informanten belegt, dass es zirka vier Wochen vor dem Unfall zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen war, als der Einweiser mit derselben Maschine einen Stall vorführte. Dabei gelang es der Besatzung erst im dritten Versuch bei einer Geschwindigkeit von 160 Knoten und einer Längsneigung von 45 Grad, das Flugzeug wieder in den Griff zu bekommen. Der Höhenverlust betrug damals zwischen 2300 und 2800 Fuß.

fliegermagazin 9/2008

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