Unfallakte

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VFR-Nachtflug bei marginaler Sicht: Beechcraft King Air B300

Ein Flugzeug mit IFR-Ausrüstung, zwei Profis im Cockpit und kein Zeitdruck: beste Voraussetzungen, um in kritischen Situationen angemessen zu reagieren – wenn die Crew als Team zusammenarbeitet

Von Redaktion

Teamwork: dazu gehört, dass einer auf den anderen aufpasst. Am 12. Januar 2006 funktioniert das in Freiburg im Breisgau leider nicht. Am Morgen hatte die Crew einer zweimotorigen Beechcraft King Air B300 ihren Umlauf am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden begonnen. Von dort wurden Passagiere nach Braunschweig gebracht. Am Nachmittag ging es zurück zum Baden-Airport, wo der Charterflug nach IFR um 17.19 Uhr Ortszeit landet – knapp eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang. Ohne Passagiere und im VFR-Nachtflug will die Crew das Flugzeug nun nach Freiburg überführen.

Für diese Strecke sind jedoch Wetterverhältnisse vorhergesagt, die keinen SIchtflug erlauben – schon gar nicht bei Nacht: Der GAFOR gibt für den Zeitraum von 16 bis 22 Uhr über dem Südschwarzwald „X-Ray“ an. Auch die Gebietswettervorhersage GAMET der FIR Frankfurt weist für den Westteil eine geschlossene Wolkendecke mit Untergrenzen von 200 bis 500 Fuß über Grund aus. Dennoch startet die Twin um 17.59 Uhr in Karlsruhe/Baden-Baden und nimmt Kurs auf Freiburg. Kurz erwähnt der Pilot den nahegelegenen Flughafen Lahr als Alternate; dort wäre ein ILS-Anflug möglich.

Keine Sichtflugbedingungen: Trotzdem startet die Beechcraft King Air B300 zum VFR-Nachtflug

Offenbar verwirft er den Gedanken aber wieder. In 3500 Fuß fliegt die Maschine mit aktiviertem Autopiloten den Platz in Freiburg an. In den folgenden Minuten gibt die Crew mehrfach Positionsmeldungen ab und erhält vom Flugleiter aktuelle Informationen über das Wetter in Freiburg. Als die Beech um 18.16 Uhr den Flugplatz erreicht, stellen die Piloten fest, dass keine Erdsicht vorhanden ist. Die Wolkenobergrenze liegt nach Einschätzung der Besatzung bei 3500 Fuß. Um 18.17 Uhr meldet der Flugleiter eine Bodensicht von 1500 Metern, die Wolkenuntergrenze sei für ihn aber nicht erkennbar.

Flugweg-Aufzeichnung: Deutlich ist der erste Überflug des Freiburger Platzes gefolgt von der Positionierung auf die Bahn 16 zu erkennen (Foto: BFU)

Nach kurzer Diskussion entscheidet der 64 Jahre alte PIC, den Anflug nach VFR dennoch zu versuchen – mit den lapidaren Worten: „Ja, dann probieren wir’s mal.“ Zur Vorbereitung passt die Crew die ins Flight Management System eingegebenen Wegpunkte dem Anflug an. In zwei 180-Grad-Kurven dreht die Beech dann auf das Final zur Piste 16 ein. Um 18.22 Uhr fährt der Pilot das Fahrwerk aus und schaltet die Landeklappen in die Stellung „Approach“, wenig später werden sie voll ausgefahren. Der Co-Pilot erhält nun vom PIC die Anweisung, den Sichtkontakt nach außen zu halten.

Orientierungslosigkeit im Landeanflug

Als die Beech die 1000-Fuß-Marke des Radiohöhenmessers passiert, hat der Co keine Bodensicht. Kurz darauf, beim Passieren der 500-Fuß-Marke, ertönt ein Warnsignal des Höhenmessers. Auch jetzt hat der Co-Pilot keine Bodensicht in Flugrichtung, lediglich aus dem Seitenfenster kann er die Landschaft erkennen. Bei der Warnung in 200 Fuß Höhe erkennt der 25-Jährige eine Straße, ist aber nicht sicher, welche Position die Maschine hat. Der Cockpit-Voice-Recorder dokumentiert die Orientierungslosigkeit: „Es ist vermutlich der Zubringer, ich kann es aber nicht sicher sagen.“ Vielleicht hätte zu diesem Zeitpunkt ein Durchstartmanöver noch helfen können. Aber die Crew setzt den Anflug unbeirrt fort. Wenige Sekunden nach der 100-Fuß-Warnung brechen die Aufzeichnungen des Voice-Recorders ab.

Rumpf: Kaum noch erkennbar ist der Rumpf mit der Kabine (Foto: BFU)

Um 18.26 Uhr kracht die Zweimot nach Baumberührung etwa 450 Meter vor der Schwelle der „16“ in ein kleines Waldstück. Beide Piloten kommen beim Aufschlag ums Leben. Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) schließen technische Mängel als Grund für den Unfall schnell aus und konzentrieren sich auf das Crew Resource Management (CRM), die Teamarbeit der Piloten. Eine Befragung unter den Kollegen der Crew ergibt: Der Kommandant wird fliegerisch als sehr qualifiziert und erfahren beschrieben, sein Stil jedoch als autoritär. Die Zusammenarbeit im Cockpit sei schwierig gewesen, auch wird von immer wieder auftretenden Auseinandersetzungen mit Flugleitern berichtet. Der Copilot wird als „durchschnittlich qualifiziert“ bezeichnet.

Kurz vor der Landebahn kracht die Zweimot in ein Waldstück

Er habe nicht dazu geneigt, Entscheidungen eines erfahrenen PIC „zu hinterfragen oder gar Kritik zu äußern“, so die Einschätzung der Kollegen. Im Untersuchungsbericht der BFU wird diese Konstellation als entscheidende Fehlleistung der Besatzung bewertet: „Die Anwendung dieser Verfahren (Crew Resource Management und Multi Crew Concept) hätte eine Bereitschaft zur Teamarbeit erfordert, die durch die Autorität und Handlungsweise des Kommandanten nicht vorhanden war. Eine gegenseitige Überwachung der Besatzungsmitglieder (…) hätte möglicherweise den Anflugversuch verhindert.“

Erste Baumberührung: 250 Meter vor dem endgültigen Stillstand berührt die King Air erstmals Bäume (Foto: BFU)

Der erfolgte auf einen Platz ohne Instrumentenanflug – und wäre doch höchstens nach IFR möglich gewesen. Der Blick aus dem Cockpit hätte auch der Crew genügen müssen, um zu dieser Einschätzung zu kommen: Als die Rettungskräfte der Feuerwehr nur wenige Minuten nach dem Aufschlag der Beech das Wrack finden, können sie 300 bis 400 Meter weit sehen. Die Spitze der auf 24 Meter ausfahrbaren Drehleiter verschwindet in den Wolken.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 1/2011

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