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Von Deutschland nach Afrika: Die langbeinige Heinkel He 64 „Lili Marleen“

Die Geschichte einer 1932 in Deutschland gebauten Heinkel He 64C, die zum Liebling von Colleen Bowker wurde und letztlich in Simbabwe landete.

Von Wolfgang Borgmann
Die afrikanische Heinkel He 64C wurde mit speziellen Hochauftriebshilfen nachgerüstet, die extrem kurze Start- und Landestrecken sowie niedrige Fluggeschwindigkeiten ermöglichten.
Die afrikanische Heinkel He 64C wurde mit speziellen Hochauftriebshilfen nachgerüstet, die extrem kurze Start- und Landestrecken sowie niedrige Fluggeschwindigkeiten ermöglichten. Bild: The A.J. Jackson Collection

Bis 1951 flog eine letzte Heinkel He 64 im südlichen Afrika. Deren erstaunliche Geschichte erfuhr fliegermagazin-Autor und AERRO INTERNATIONAL-Redakteur Wolfgang Borgmann aus erster Hand von Colleen Bowker, die mit ihrer Lili Marleen rund ein Jahr lang am Himmel des heutigen Simbabwes unterwegs war.

Es gibt magische Momente, die das eigene Leben auf eine positive Weise verändern. Dieses eine gehörte Wort, dieser eine gelesene Satz oder der eine, ganz spezielle Mensch, den man getroffen hat und der einen nicht mehr loslässt. So ist es mir vor genau zwanzig Jahren ergangen, als ich per Zufall ein vergilbtes Dokument aus den 50er-Jahren in meinen Händen hielt. Darin stand, ich wollte es kaum glauben, dass eine Heinkel He 64 in Afrika fliegen sollte. Was, wenn diese Maschine bis in die Gegenwart erhalten blieb und von Stroh und Spinnweben bedeckt im Schuppen einer abgelegenen afrikanischen Farm auf ihre Entdeckung – meine Entdeckung – wartet? Keine Frage, die Zeit für eine Schatzsuche war gekommen.

Heinkel He 64 gibt es tatsächlich in Afrika

Nach monatelanger Recherche, unzähligen Emails, Telefonaten und Briefkorrespondenz zwischen Deutschland, Namibia, den Niederlanden, Südafrika, Simbabwe und Australien war das Rätsel gelöst: Es gab sie tatsächlich, die afrikanische Heinkel He 64! Doch kam ich fast ein halbes Jahrhundert zu spät, um den „Roten Teufel“ aus seinem imaginären Schuppen zu befreien. Doch was ich gewonnen hatte, war eine einzigartige Geschichte und die Freundschaft zu der leider im vergangenen Jahr verstorbenen, letzten afrikanischen Pilotin jener He 64!

Start der blauen Heinkel auf dem Flugfeld von Umtali, das seit 1982 Mutare heißt und im heutigen Simbabwe liegt.  Foto: The A.J. Jackson Collection 

Die folgende Geschichte spielt im Jahr 1950, in der damals britischen Kolonie Südrhodesien. Und wenn Colleen Bowker von ihren einstigen Farmen in Afrika berichtet, dann kommen einem unweigerlich die unvergesslich schönen Bilder des Kinoklassikers „Jenseits von Afrika“ in den Sinn, mit Maryl Streep und Robert Redford in den Hauptrollen. Und noch eine Parallele gibt es zu den verfilmten Erzählungen der Dänin Karen Blixen: die Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit ranken sich um ein Flugzeug.

„Langbeiniges Flugzeug“: Heinkel He 64C heißt „Lili Marleen

Mit Wehmut dachte die zuletzt in Australien lebende, einstige Farmerin und Pilotin an Afrika und ihre 1932 in Deutschland gebaute Heinkel He 64C zurück. Lili Marleen hatte sie ihr langbeiniges Flugzeug in Anspielung auf die langen Beine von Marlene Dietrich getauft, die das ursprünglich von Lale Andersen auf deutsch gesungene Lied auch bei alliierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg zur Legende machte.

Die He 64B mit dem Kennzeichen D-2305 imponierte im Rahmen der Prüfungen des Europa-Rundflugs 1932 durch die geringste Geschwindigkeit aller Teilnehmer von 62,3 km/h. Dies machte das von Gustav Lachmann entworfene Schlitzflügel-System möglich, das für einen größtmöglichen Auftrieb im Langsamflug sorgte – und der die Konkurrenten des Wettbewerbs staunen ließ. An der Flügelvorderkante befanden sich zwei Vorflügel, die ab einer bestimmten Mindestgeschwindigkeit automatisch ausfuhren. Während die äußeren Vorflügel die gekoppelten Querruder um ein paar Grad zur Auftriebssteigerung absenkten, bewirkte das Aktivieren der inneren Vorflügel das maximale Setzen der Landeklappen. Dieses System arbeitete vollkommen autark, ohne jegliches Eingreifen des Piloten.

RAE kauft 1935 die D-2305

Obgleich Gustav Lachmann als Konstrukteur dieses genialen Systems aus Deutschland stammte, entwickelte er die He 64-Auftriebssysteme als Mitarbeiter der britischen Handley-Page-Flugzeugwerke, die ihrerseits von Ernst Heinkel mit der Konstruktion dieser auch „Handley Page Slots“ genannten Vorflügel beauftragt waren. Ihre, im Vergleich zu allen anderen He 64 ungewöhnliche „Hochbeinigkeit“, verdankte das Flugzeug der britischen Flugversuchseinrichtung Royal Aircraft Establishment (RAE). Denn noch zu Beginn der 30er-Jahre sah sich Lachmann mit den Bedenken vieler Doppeldecker-Piloten konfrontiert, die einem Tiefdecker-Design mit seinen damals ungewohnten Flugeigenschaften äußerst kritisch gegenüberstanden.

Um die Akzeptanz seines neuen Tiefdeckers vom Typ Handley Page H.P. 47 zu verbessern, den die Royal Air Force (RAF) geordert hatte, suchte Lachmann mit Unterstützung von Testpilot Cordes nach geeigneten Flugzeugen zur Umschulung der RAF-Piloten. Während letzterer die nachträgliche Ausrüstung einer gebrauchten Maschine mit Vorflügeln und Landeklappen favorisierte, erinnerte sich Lachmann „seiner“ He 64 und empfahl dem RAE alternativ den kostengünstigeren Erwerb einer bereits mit diesen Systemen ausgestatteten Heinkel. Das RAE willigte ein und kaufte im Dezember 1935 die einstige D-2305.

Nach dem Austausch des ursprünglichen Argus As 8 R-Motors durch ein de Havilland „Gipsy III“-Triebwerk nun als „C“-Version bezeichnet, wurde die He 64 mit einem besonders langen Fahrwerk zur Abfederung von harten Landungen ausgestattet – und war damit bestens für Trainingsflüge geeignet. Über sechs Monate wurde die nun G-ACBS registrierte Maschine vom RAE für Testflüge an Handley Page ausgeliehen. Die dabei durch Cordes und Squadron Leader T. England gewonnenen Erkenntnisse flossen direkt in die Entwicklung der H.P. 47 ein. Im Anschluss an die Testreihen übergab Handley Page das jetzt mit dem militärischen Kennzeichen K3596 versehene Flugzeug zum Pilotentraining an die RAF.

Das Flugzeug findet seinen Weg nach Simbabwe

Bereits 1936 endete die Schulung von Militärfliegern und RAF sowie RAE verloren schnell ihr Interesse an der deutschen Heinkel. Vielleicht wäre das Flugzeug schon damals verschrottet worden, wenn sich nicht ein gewisser A.H. Elton für die angebotene Maschine interessiert hätte. Der Farmer aus der rhodesischen Stadt Umtali – dem heutigen Mutare – war eigens nach England gereist, um für seinen Freund Chris Perrem ein schnelles Reiseflugzeug zu erwerben. Denn der künftige Eigentümer der He 64 und dessen Frau Kate suchten nach einem Ersatz für ihre betagte de Havilland Cirrus Moth, mit der sie regelmäßig ausgedehnte Geschäfts- und Urlaubsreisen in Afrika unternahmen. Mister Elton stieß zufällig auf das Angebot des RAE und man wurde sich schnell handelseinig.

Das heutige Simbabwe im Jahr 1950. Ganz im Osten liegt Umtali (Mutare), wo das Ehepaar Perrem und Neville sowie Colleen Bowker wohnten und die Heinkel He64C stationiert war.  Foto: The A.J. Jackson Collection 

Selbst am Steuer sitzend kehrte er mit der neu erworbenen He 64 auf dem Luftweg in das heutige Simbabwe zurück, wo Chris Perrem schon ungeduldig die Ankunft seines Flugzeugs erwartete. 

Heinkel bekommt neuen Spitznamen „fliegende Heuschrecke“

Auf Grund der ausgeprägten Reiselust des Ehepaars Perrem wurde die jetzt als VP-YBI zugelassene Privatmaschine zu einem bekannten Anblick auf den Flugfeldern des südlichen Afrikas. Ihr ungewöhnliches Aussehen mit den langen Fahrwerksbeinen brachte der Heinkel schnell den Spitznamen „fliegende Heuschrecke“ ein. Obgleich die ursprüngliche He 64B nach der Ausstattung mit dem „Gipsy III“-Motor nun als He 64C galt, glaubte Mister Perrem eine He 64D zu besitzen. Doch da irrte er, denn so wurde eine Version der „Roten Teufel“ mit ovalen Tragflächenspitzen – ähnlich jener der Heinkel He 70 – und ohne Vorflügel bezeichnet. Was zu dieser Verwechslung führte ist nicht überliefert.

Im Jahr 1938 starteten die Perrems mit ihrer gutmütigen „Heuschrecke“ zum bis dahin größten Flugabenteuer ihres Lebens. Die fast 14000 Kilometer lange Reise von Umtali nach London und zurück sollte eine mit vielen Hindernissen gepflasterte Tour werden, inklusive einer Verhaftung des Ehepaars in England als vermeintliche deutsche Spione, da sie ein in Deutschland gebautes Flugzeug flogen. Unmittelbar nach Kriegsende im Jahr 1945 begaben sich die Perrems auf einen weiteren Langstreckenflug. Diesmal trug sie ihre zuverlässige Heinkel He 64 rund 11000 Kilometer durch die damaligen Staaten des südlichen Afrikas: Rhodesien, Südwest Afrika, Südafrika und Portugiesisch Ostafrika. Dabei war die He 64 mit dem Kennzeichen VP-YBI das erste im südlichen Afrika zugelassene Privatflugzeug, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder starten durfte.

Heinkel Flugzeugwerke existieren nicht mehr

In einem Brief aus dem Jahr 1948 beschreibt Chris Perrem seine Bemühungen, in England Ersatzteile für seine Heinkel anfertigen zu lassen. An eine Ersatzteillieferung aus dem zerstörten Deutschland war damals nicht zu denken, zumal die Heinkel Flugzeugwerke in Rostock und Warnemünde nicht mehr existierten. Und bereits zu jener Zeit dürfte die rhodesische He 64 das einzige Exemplar dieses Typs gewesen sein, das die Wirren des Zweiten Weltkriegs flugfähig überlebt hatte. So nutzte Mister Perrem der Not gehorchend seine guten Kontakte nach Großbritannien und ließ beispielsweise einen neuen Propeller bei den Fairey-Flugzeugwerken produzieren.

Das Ehepaar Chris und Kate Perrem (Mitte) waren die ersten Eigner der He 64C im südlichen Afrika. Sie flogen mit ihr vom heutigen Simbabwe im Jahr 1938 bis nach Großbritannien, wo sie wegen ihres deutschen Flugzeugs als Spione kurzfristig festgenommen wurden. Foto: The A.J. Jackson Collection 

Abgenutzte Reifen, so Perrem in seinem Brief, ersetzte er durch „Räder eines moderneren Flugzeugmusters“, ohne auf den Typ näher einzugehen.  Im Eigenbau hatte er zudem neue Kabinenhauben entwickelt, die auf einer Schiene gleitend vor – und zurückgefahren werden konnten. Obgleich nach oben offen, vermittelten sie in der hinteren Position den Eindruck eines geschlossenen Cockpits, „ohne das Trommeln der Vibrationen in einer geschlossenen Kabine und bei guter Ventilation“, wie Perrem anmerkte.

1950 geht die He 64 an das Ehepaar Bowker

Zu diesem Zeitpunkt hatte die He 64 bereits 1000 Flugstunden in ihren Büchern stehen. Für die Qualität der Heinkel-Endmontage spricht, dass in den achtzehn Einsatzjahren des Flugzeugs die geklebten Rumpfschalen selbst den extremen Belastungen der afrikanischen Buschfliegerei ohne Probleme standhielten. Keine einzige Klebestelle zwischen den 1,5 Millimeter dicken Sperrholzplatten von Rumpf und Tragflächen musste erneuert werden.

Der großartige Zustand des Flugzeugs ist auch noch Colleen Bowker bestens in Erinnerung: „Bei jeder vorgeschriebenen Überholung im Jahr 1950 waren die Techniker von der Qualität der Holzstruktur begeistert, die keinerlei Zeichen der Zeit zeigte.“ Schweren Herzens trennte sich Chris Perrem im Jahr 1950 von seiner „fliegenden Heuschrecke“ und gab sie in die Hände des Ehepaars Bowker.

Die traurigen Überreste der He 64, nachdem sie von ihrem letzten Eigner, Louis Malloch im Jahr 1951 zu Bruch geflogen – und anschließend abgewrackt wurde. Foto: The A.J. Jackson Collection 

Colleen Bowker wuchs im rhodesischen Umtali nahe der Grenze zu Mocambique auf, das nach der Unabhängigkeit Simbabwes den Namen Mutare erhielt. Die Ländereien der Farmer waren riesig und so gehörte das Fliegen zum beruflichen Alltag der dort wohnenden Grundbesitzer und ihrer Verwalter. Colleen‘s Ehemann Neville Bowker zählte zu den bekanntesten Fliegern Rhodesiens, als sie sich im Jahr 1946 kennen und lieben lernten. Er wurde am 17. September 1918 im südafrikanischen Kimberly geboren und wuchs wie Colleen in Rhodesien auf. Im Februar 1940 trat er der Southern Rhodesian Air Force bei, wo er seine Flugausbildung begann. Schon kurz darauf wurde Bowker der britischen Royal Air Force zugeteilt und in den Irak entsandt, um dort sein Flugtraining zu vollenden.

Während des Zweiten Weltkriegs flog er Tomahawks und Gladiator für das auf Kreta und in Nordafrika stationierte 112. Squadron. Nach seinem Abschuss am 27. Dezember 1941 geriet Neville in deutsche Gefangenschaft, die er bis zum Kriegsende im Stalag 3 der deutschen Luftwaffe verbrachte, das alliierten Luftwaffenoffizieren vorbehalten war.

Große Distanzen zwischen Ländereien – ein Flugzeug als Transportmittel

Aus Kriegsgefangenschaft nach Rhodesien zurückgekehrt, bauten sich die Bowkers in Umtali eine Existenz als Tabakfarmer auf. Nachdem sie mit anderen Farmern Grund und Boden in weit entfernten Regionen des Landes getauscht hatten, kam einzig ein Flugzeug als Transportmittel zur Überbrückung der großen Distanzen zwischen den Ländereien in Frage. Als schließlich die Entscheidung für ein geeignetes Fluggerät anstand, hatte wie so oft der Zufall seine Hände im Spiel, denn die Bowkers waren mit dem ebenfalls in Umtali wohnenden Chris Perrem befreundet. Er plante zu jenem Zeitpunkt den Erwerb einer Taylorcraft Auster mit geschlossener Kabine und suchte somit nach einem Käufer für seinen offenen He 64-Zweisitzer. Man wurde sich schnell handelseinig und so bescheinigt der Logbucheintrag vom 24. Februar 1950 den ersten Flug der Lili Marleen mit Neville Bowker am Steuer.

Alleine am Steuer, oder gemeinsam mit ihrem 2005 verstorbenen Ehemann, eroberte Colleen fortan den Himmel über dem südlichen Afrika und ließ sich aus der Vogelperspektive von der Schönheit des Kontinents verzaubern. Neville Bowkers letzter Logbucheintrag stammt vom 20. Januar 1951, bevor die He 64 erneut den Besitzer wechselte und an Louis Malloch ging – der das Flugzeug nach einem von ihm verursachten Unfall nur kurz darauf verschrotten ließ.

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Über den Autor
Wolfgang Borgmann

Wolfgang Borgmann, seit Februar 2022 Redakteur beim Schwestermagazin AERO INTERNATIONAL, ist seit 29 Jahren als Luftfahrtjournalist tätig. Ihm wurde die Begeisterung für die Fliegerei von seinen bei Airlines tätigen Eltern quasi in die Wiege gelegt. Nach einem Volontariat und Festanstellungen war er für 22 Jahre als Freier Journalist und Buchautor tätig. Bislang erschienen 32 spannend und fachkundig erzählte Bücher in deutscher und englischer Sprache unter seinem Namen, die sich mit der Geschichte des Luftverkehrs in all seinen Facetten befassen. Im AERO-INTERNATIONAL-Team betreut Wolfgang Borgmann vorrangig die Rubrik Industrie & Technik. Für das fliegermagazin schreibt er immer wieder Storys aus dem Bereich Historie.

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