Unfallakte

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Whiteout in den Alpen: Unfall eines Leichthubschraubers CH-7

Zwei Leichthubschrauber düsen durchs winterliche Hochgebirge. Als einer der Piloten im Schnee landet, wird aus dem Wintertraum ein Alptraum

Von Redaktion
Foto: Samuel Pichlmaier

Wann ist Fliegen einfach die große Freiheit, und wo beginnt die Gefahr? Manchmal findet sich darauf erst im Untersuchungsbericht der Unfallermittler eine Antwort. Aber selbst dort bleiben nicht selten Fragen offen: Vermeintlich fatale Entscheidungen, fahrlässiges Verhalten und überflüssige Regelverstöße wirken mitunter erst in der Analyse fatal, fahrlässig und überflüssig. Was die Piloten im Moment ihres Handels bewegte, ist hinterher oft schwer rekonstruierbar. Manchmal gar nicht.

Ein solches Rätsel gibt auch die Entscheidung eines Hubschrauberpiloten im Februar 2013 auf. Es ist mit minus zwei Grad ein mäßig kalter Wintertag im Alpenvorland. Ein Nordstau sorgt für geschlossene Bewölkung am nördlichen Rand der Alpen, in den hohen Bergen südlich des Chiemgaus lockert die Wolkendecke jedoch auf: Hier herrschen einwandfreie Sichtflugbedingungen. Der 43-jährige Fritz R. ist zusammen mit einem Freund, dem bekannten Flying-Bulls-Piloten Guido Gehrmann, in den Chiemgauer Alpen unterwegs. Die beiden haben sich nachmittags zu einem gemeinsamen Rundflug verabredet.

In den Alpen: Ausflug unter Freunden bei einwandfreien Sichtflugbedingungen

Sie fliegen das gleiche Muster, einen zweisitzigen Leichthubschrauber vom Typ CH-7 Kompress. Gegen 16 Uhr haben sich die Hubschrauber am nördlichen Alpenrand getroffen und nehmen nun im Verbandsflug Kurs Richtung Ruhpolding, wo sie den 1645 Meter hohen Rauschberg umrunden. Dann drehen die Mini-Helis nach Süden ab. Der erfahrene Showflieger und Airlinepilot fliegt voraus, als plötzlich der Funkkontakt abbricht. Da er seinen Begleiter nicht mehr sieht, kehrt Gehrmann um und macht sich auf die Suche. Wenig später entdeckt er den zweiten CH-7-Helikopter nahe einer Berghütte am Kienberg. Die Maschine liegt unterhalb des Gipfels seitlich im Schnee.

Hart aufgekommen: Die Beschädigungen am verunglückten Heli sind erheblich. (Foto: BFU)

Schon aus der Luft lässt der Unfallort nichts Gutes ahnen: Der Rotorkopf ist vom Mast abgerissen, der Heckausleger stark abgeknickt. Das Instrumentenpanel liegt mit heraushängender Verkabelung neben dem Wrack im Schnee, die Cockpitverglasung ist in mehrere große Teile zerschlagen. Auf der rechten Seite sind außerdem von heftiger Gewalt zeugende Einschlagspuren im Boden zu sehen.

Gehrmann landet sofort neben dem Wrack und versucht, dem reglos in der Maschine liegenden Freund zu helfen. Es beginnt ein Kampf um Leben und Tod. Tatsächlich schafft er es, den Bewusstlosen wiederzubeleben. Doch ohne Funkverbindung kann er zunächst keine Hilfe rufen. Er schleppt den Schwerverletzten daher zu seinem Heli mit dem Plan, ihn selbst ins Tal zu fliegen. Bei einem erneuten Versuch kommt die Funkverbindung schließlich doch zustande, und ein Rettungshubschrauber bringt den Verunglückten kurze Zeit später ins Krankenhaus nach Traunstein. Sowohl der Rettungsflieger als auch Gehrmann berichten nach der Bergung von „starken Schneeaufwirbelungen während der Landung und von der ständigen Gefahr eines Whiteout“.

Untersuchung des Unfalls: Nicht die richtigen Gurte

Das Phänomen, bei dem Piloten durch auffliegenden Schnee die Orientierung verlieren, ist besonders in den Hochlagen der Alpen bei Neuschnee bestens bekannt. Dass der verunglückte Pilot bei seinem Landeversuch ähnliche Probleme hatte, liegt auf der Hand. Weshalb er aber überhaupt landen wollte, ist völlig unklar. Eine technische Ursache können die Ermittler der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) nicht finden. Der Verunglückte hatte auch seinem Begleiter, der bis zum Crash in ständigem Funkkontakt mit ihm stand, nichts von seinem Vorhaben oder von Problemen irgendeiner Art mitgeteilt. Er war einfach verschwunden.

Vermutlich kippte die Maschine bei der Landung um; der Pilot hat den Crash mit schweren Verletzungen überlebt (Foto: BFU)

Die BFU-Experten stellen bei der genaueren Begutachtung des Wracks fest, dass im Cockpit des CH-7 nur Beckengurte eingebaut waren. In den Ausrüstungsvorschriften für Selbstbauhelikopter werden aber ausdrücklich Schultergurte gefordert. Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass die Zulassungsstelle die Ausrüstung mit Schultergurten bestätigte, obwohl an der Unfallmaschine noch nicht einmal die notwendigen Haltepunkte für möglicherweise ehemals eingebaute Schultergurte vorhanden waren. Die Sitzwanne, wie bei Leichthubschraubern dieses Typs üblich, lässt den Einbau eines solchen Sicherheitsgurts nicht zu. Lediglich der Passagierplatz ist mit Rückenlehne versehen und bietet somit diese Option.

Ein Vierpunkt-Sicherheitsgurt hätte den Piloten aber vermutlich vor seinen schweren Verletzungen an der Wirbelsäule bewahren können. Höchstwahrscheinlich hatte die Wucht des aufschlagenden Rotors diese maßgeblich verursacht. Von dem beherzten Handeln seines Freundes und auch von dessen tödlichem Absturz mit einem Mini-Jet nur wenige Monate nach dem Unfall am Kienberggipfel bekam Fritz R. indes nichts mit. Er liegt bis heute im Wachkoma.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 6/2014

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