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Flugplatz Stettin – EPSD

Warum nicht einmal gleich hinter der deutschen Grenze auf Sightseeingtour gehen? Szczecin in Polen, das einstige Stettin, verspricht jede Menge Kultur und Unterhaltung

Von Redaktion

Stettin (Szczecin, sprich Schetschin) an der Odermündung ist heute mit 412000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt Polens und gehört zu Westpommern. Sie liegt nur einen Steinwurf östlich der Grenze – rund 120 Kilometer von Berlin entfernt. Ihre Anfänge gehen auf eine slawische Siedlung im 7. Jahrhundert zurück. Hier gab es schon immer regen Handel; schließlich gehörte der Ort schon Ende des 13. Jahrhunderts zur Hanse. Bereits damals war die Bevölkerung überwiegend deutschsprachig, doch in den kommenden Jahrhunderten wechselte die Herrschaft zwischen Dänen, Schweden und Polen. Stettin wurde schließlich 1720 preußisch und wuchs bis zum Zweiten Weltkrieg zur flächenmäßig drittgrößten Stadt des ehemaligen Deutschen Reichs heran. Hafenpromenade, Verwaltungsgebäude und Bürgerhäuser aus jener Zeit bestimmen noch heute das Stadtbild. Prominente wie der Schauspieler Heinrich George sind hier geboren. Der Krieg brachte Zerstörung, Vertreibung und polnische Neubesiedlung; ihm folgten zähe Jahre des Wiederaufbaues im ehemaligen Ostblock.

Heute, frei von ideologischen und bürokratischen Hürden, kann man die alte, neue Stadt entspannt erkunden. Einheimische Spezialisten haben bei der Rettung alter Bausubstanz ganze Arbeit geleistet. Alte Stettiner und junge Wessis sind gleichermaßen beeindruckt: Kirchen und Museen sind wieder im alten Glanz hergestellt – liebevoller kann man mit „geerbter“ Vergangenheit kaum umgehen. Vertraute Fassaden und Schnörkel wie in Braunschweig oder Hamburg, dazu polnische Sprache und Kultur, das ist für manchen Westbesucher anfangs schwer verdaulich. Das merkwürdige Gefühl, in einem anderen Land und doch irgendwie zu Hause zu sein – dazu auf einer architektonischen Reise in die Vorkriegszeit – wird von vielen Einheimischen durchaus verstanden; ihre Eltern und Großeltern wurden selbst zwangsumgesiedelt. Dennoch ist man überall in der Region freundlich und tolerant, kaum jemand erwartet, dass deutsche Touristen Stettin spontan „polnisch“ finden.

Stettin an der Odermündung ist heute mit 412000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt Polens

Stolz sind die Nachkriegs-Stettiner dagegen zu Recht auf den Wiederaufbau und das Flair ihrer Stadt. Hier finden wichtige Theater- und Konzertveranstaltungen oder Festivals statt. Mehrere Hochschulen und eine Universität schwemmen zahllose junge Kunden in Kneipen und Cafés.
Besucher sollten einen Rundgang am Hafen beginnen, einem der bedeutendsten der gesamten Ostseeregion. Von hier aus bietet sich ein tolles Panorama: die berühmte Hakenterrasse an der Promenade, benannt nach einem Oberbürgermeister der Kaiserzeit, dahinter herrschaftliche Museen und Verwaltungsgebäude. Es gibt einen historischen Pfad zwischen den wichtigsten Bauten der Hafenumgebung, alles gut in einer Stunde zu Fuß zu schaffen. Bei schlechtem Wetter besucht man das Schloss oder geht in der Galaxy-Mall shoppen (auch sonntags). Für den Abend gibt’s eine Menge polnischer und internationaler Restaurants. Vorher bietet sich ein Drink im „Café 22“ an – im 22. Stockwerk des Radisson-Plaza-Hotels.

Und dann gibt es ja noch den Flugplatz – auch der hat Tradition: Anfang der zwanziger Jahre brauchte die aufstrebende Stadt einen eigenen Flugplatz. Am Dammschen See gleich östlich der Stadt wurde man fündig. Neben der kleinen Gemeinde Altdamm, nur sieben Kilometer vom Stettiner Hauptbahnhof entfernt, lagen hindernisfreie Wiesen. Die Stadtväter beschlossen, dort einen kombinierten Land- und Seeflughafen zu bauen – eine gewinn- und prestigeversprechende Angelegenheit. Im Dezember 1924 wurde die „Flughafen Stettin GmbH“ gegründet. Der schmucke neue Platz, mit 273 Hektar einer der größten in Deutschland, war bereits ein Jahr später ans internationale Luftverkehrsnetz angeschlossen; das Marketing besorgte die „Luftverkehr Pommern GmbH“. Zu den ersten Fluggesellschaften in Altdamm gehörte die Deutsche Luft Hansa, Großmutter der heutigen Kranich-Linie. Besonders ertragreich war die Strecke Stettin–Königsberg über den Zollflughafen Stolp und Danzig.

Gründung des Flugplatzes: Am Dammschen See gleich östlich der Stadt wurde man fündig

Wer um 9.55 Uhr das Flugzeug nahm, erreichte Königsberg um 15.15 Uhr. Andere Ziele waren Berlin, Stockholm oder Kalmar. Stettin wurde auch von vielen Fracht- und Privatmaschinen aus Skandinavien, Litauen und Westeuropa angeflogen. Oft landeten Militärflugzeuge auf Übungs- und Erprobungseinsätzen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges brachte den zivilen Verkehr in Altdamm bald zum Erliegen; der Platz wurde kurzerhand zum Luftwaffen-Fliegerhorst erklärt. Hier lag die Flugzeugführerschule See, gefolgt von zwei weiteren Pilotenausbildungsstätten. Altdamm bot damit für Land- und Wasserflugzeuge jegliche Trainingsmöglichkeit. Das Personal brauchte nur die Straße zu überqueren und stand schon vor dem Seeflieger-Hangar. Durch die Doppelrolle kamen besonders viele Flugzeuge zum Einsatz, vom Grunau Baby-Segler über Bücker 131 bis zu den Arado-Typen Ar 65, 66 und 96. Gut 50 Kilometer im Nordosten von Altdamm lag ein weiterer Militärflugplatz, Gollnow.

Beide Anlagen fielen bei Kriegsende weitgehend intakt in russische Hände. Ironie des Schicksals: Das ehemals wichtige Stettin-Altdamm verlor gleich nach dem Krieg seine Bedeutung, die Runway im eher drögen Vorort Gollnow wurde dagegen zum internationalen Verkehrsflughafen Szczezin-Goleniow ausgebaut und gehört heute als wichtiger Wirtschaftsfaktor zum europäischen Streckennetz. Wer mit der Einmot in Goleniow landet, fühlt sich wie ein Businessjet-Kapitän behandelt: Ruckzuck erscheint der Tankwagen, dann ein Line-Taxi mit freundlichen Angestellten in Anzug und Kostüm, die den Piloten zum Terminal bringen. Dieses Handling ist bis zum vollen Schengen-Anschluss (frühestens Ende 2007) Pflicht und nicht gerade billig, dafür gehen die Einreiseformalitäten recht fix, und der obligatorische Zoll kann hier erledigt werden. Für die nächsten 30 Meilen zu unserem Zielflughafen Dabie ist erneut ein Flugplan fällig. Ein Flugplan ist für jeden Trip von und zu einem Flughafen in Polen obligatorisch – und nur an diesen gibt es auch Avgas, nicht aber an kleineren Plätzen.

Ein Flugplan ist für jeden Trip von und zu einem Flughafen in Polen obligatorisch

Wir brummen ein paar Minuten gen Südwesten über den Dammschen See Richtung Dabie, früher Altdamm. Es ist nicht schwierig, den See samt Flugplatz zu finden. Eher schon, die richtige Landebahn zu erkennen, denn auf dem gewaltigen Grasgelände ist nicht allzuviel davon zu sehen. Reiter und Markierungen – Fehlanzeige, allenfalls dunkleres und helleres Gras gibt Hinweise. Wir entscheiden uns für eine südlich gelegene Ost-West-Trasse und treffen zufällig ins Schwarze. Wie sich später herausstellt, ist nur die „27L/09R“ offen. Nach dem Ausrollen ratlose Gesichter im Cockpit: Wohin jetzt? Hohe Grasbüschel erschweren die Sicht, das Gelände ist sehr uneben.

Glücklicherweise erscheint ein „Follow me“-Privatwagen, darin ein guter Geist namens Igor. Er gehört zum Aeroklub, spricht gut Englisch und lotst uns zwischen Gras und Schlaglöchern aufs Vorfeld. Das ist eine große Platte vor einem stattlichen Flugplatz-Gebäude der alten Luftwaffe. Die Halle ist weitgehend im Originalzustand und nur von den wichtigsten Insignien der Vorgänger befreit. Aeroklub Szczecinski steht in stolzen Buchstaben über den Hallentoren. Ein paar Mitglieder schieben die Tore auf, drinnen steht zu unserem Erstaunen alles voller Schul- und Privatflugzeuge – vom UL bis zur Antonov 2.

Wir dürfen die Piper unterstellen und steuern schnurstracks auf die Bar zu. Sie befindet sich – wie Met-Büro und Verwaltung – im seitlichen Anbau des Hangars. Neugierige polnische Segelflieger und Piloten einer Polizeihubschrauberstaffel versorgen uns mit Drinks und Grillfleisch, mit der Konversation hapert es ein wenig, doch die gute Stimmung macht das wett. Am übernächsten Tag, nach ausgiebiger Stadtbesichtigung und vor dem Abflug nach Danzig, zeigt Igor uns die früheren Seefliegerhallen – heute lagern hier Yachten am Dammschen See. Noch immer macht die ganze Anlage einen großzügigen Eindruck. Alles hat die vielen Jahrzehnte ziemlich unbeschadet überstanden, selbst Feuerlöscherschilder und Luftwaffenspinde der Vorkriegszeit hängen noch in den Fluren.

Der gemütliche Clubbetrieb ist im Vergleich zur ruhmreichen Airport-Vergangenheit reinster Dornröschenschlaf – aber immerhin existiert der Platz noch: In Deutschland wäre er wohl längst durch eine Wohnsiedlung mit Baumarkt ersetzt worden. In Dabie braucht man auch mit null Polnischkenntnissen kein Lampenfieber vor dem Anflug zu haben. Die Info-Frequenz wird meist abgehört, und irgendein Englisch sprechendes Clubmitglied ist fast immer zur Stelle. Sollte niemand da sein, fädelt man sich einfach in die Nordplatzrunde 1000 Fuß über Grund ein. Bevor wir wieder abfliegen, donnern mehrere Polizeihubschrauber russischer Bauart über den Platz. „Morgen ist ihr großes Treffen“, verrät Igor; eine Art Fly-in für Cops. Er erläutert uns in groben Umrissen den Zustand des polnischen Luftverkehrs: Allgemein herrscht ein zaghafter Aufschwung, allerdings gebe es massenhafte Schließung von Militärplätzen wie bei uns im Westen.

Der Übergang vom alten sozialistischen Aeroklub-System zu privaten Vereinen sei voll im Gange, dazu kämen ein paar wohlhabende Geschäftsleute mit Privatflugzeugen – vor allem aber sei viel, viel Eigeninitiative und Improvisation gefragt. Kurz: ein Flieger-Land im Wandel. Beim Bezahlen der Landegebühr wird man in Dabie nicht abgezockt wie drüben in Goleniow – lediglich eine Anerkennungsgebühr für Parken und Übernachten wie auf jedem kleineren Verkehrslandeplatz hierzulande ist fällig. Die Polizeihelikopter sind wieder unten, die Cops trinken Kaffee. Unser „Follow me“ geleitet uns sicher zur „27L“. Im Abflug sehen wir das schöne Seegelände und Stettin nochmal von oben. Ohne Flieger wären wir auf der blöden Autobahn da unten, denke ich, und hätten Igor und seine Freunde nie kennengelernt. Und diesen wilden alten Platz. Polen „light“ für Einsteiger – das heißt Stettin.

Stettin – Tipps und Infos

So kommt man hin: Auf dem internationalen Flughafen Szczecin-Goleniow im Nordosten der Stadt sollte man die Zollabfertigung erledigen und dann mit Flugplan rund 30 NM südwestlich nach Stettin-Dabie (sprich: Dombie) fliegen. Einflug-Infos unter http://ais.pata.pl/aip/ Dabie liegt direkt am Dammschen See nahe der Stadt. Clubgebäude und Gelände sind gut zu finden, weniger die richtige Grasbahn (in Betrieb: nur 27L/09R). Im Zweifel einmal drüberfliegen, denn das Gelände ist groß. Die Platzrunde verläuft in 1000 Fuß nördlich für Motorflugzeuge, südlich für Segler.
Unterkunft: Das Hotel Bocza, ul. A. Krzywo 18, Telefon 0048/91/4693504, liegt in Flugplatznähe.

Ausflüge: Stettin bietet eine große Vielfalt an Museen: Nationalmuseum (www.muzeum.szczcecin.pl), offen Dienstag bis Sonntag (donnerstags gebührenfrei); Seemuseum (Waty Chrobrego 3, Telefon 0048/91/4 31 52 61); Museum der Stadt Szczecin (ul. Msciwoja 8, Telefon 0048/91/ 4315255); Kathedralemuseum (St. Jakob Kirche, offen Montag bis Samstag, Telefon 0048/91/ 4330595); Ausstellungssäle des Schlosses der pommerschen Herzoge (ul. Korsarzy 34, offen Dienstag bis Sonntag, Telefon 0048/91/4347391)
Empfehlenswert sind Charterfahrten durch den Hafen und das Oderdelta, Telefon 0048/91/4601437, www.statek.pl
Mit dem Kajak kann man durch das untere Odertal paddeln, die Anlegestelle des Klubs „Plonia“ liegt in Dziewoklicz.
Der Glockenturm des Schlosses der Pommerschen Herzöge ist an Wochenenden geöffnet. Eine tolle Aussicht über die Stadt bietet das Café 22 im 22. Stockwerk des PAZIM-Radisson SAS Hotels, Telefon 004891/359 5200
Weitere Auskünfte und Zimmernachweise bei der Tourist-Information, ul. Korsarzy 34, Telefon 0048/91/4 89 16 30

Text: Rolf Stünkel, fliegermagazin 5/2006