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Messerschmitt Bf 108: Mythos Taifun

Auf »108« folgt »109« – auch in der Typengeschichte: Scheinbar für völlig unterschiedliche Zwecke entworfen, sind die beiden Klassiker aus dem Konstruktionsbüro von Willy Messerschmitt in ihrer Entstehung miteinander verwoben.

Von Redaktion
Mitte der dreißiger Jahre setzt die 108 einen neuen Standard für Reiseflugzeuge. Doch sie ist auch staatlich finanzierter Technologieträger. Foto: DEHLA

Ein solch hypermodernes Flugzeug hatte niemand von den Bayerischen Flugzeugwerken (BFW) in Augsburg erwartet! Dort dachte man über den Europarundflug 1934 hinaus, jenen internationalen Wettbewerb, für den die künftige Taifun eigentlich bestellt worden war. Eigentlich.

Nichts an der Messerschmitt Bf 108 (wie sie nach 1938 und Gründung der Messerschmitt AG heißen wird) war wirklich neu. Aber die konsequente Zusammenführung vieler guter Ideen ergab den Prototypen eines sportlichen Reiseflugzeugs, das selbst Jahrzehnte später noch als zeitgemäß galt. So in etwa lautet die heute gängige Formel in Sachen Bf 108 Taifun. Es ist eine zivile Formel.

Die ersten sechs Messerschmitt Bf 108 fliegen für das Reichsluftministerium

Das in der Tat wegweisende Muster ist allerdings auch ein Kind seiner Zeit. Die ersten sechs Bf 108 fliegen als Auftragsarbeit des Reichsluftfahrtministeriums (RLM), dem einzigen Auftraggeber der deutschen Luftfahrtindustrie nach der Machtübernahme. Es wäre naiv zu glauben, der NS-Staat habe die deutsche Sportfliegerei in den dreißiger Jahren beflügeln wollen. Die paramilitärischen Strukturen des neu gegründeten Deutschen Luftsportverbands (DLV), der sich jedes Luftsportgrüppchen einverleibt hat, deuten in eine ganz andere Richtung.

Nach einem tödlichen Unfall müssen die Spoiler kleinen Querrudern weichen. Für gute STOL-Performance sind die Flaps immer noch extrem lang.

Entsprechend sehen die neuen Flugzeuge aus, deren eingetragene Halter fast ausschließlich staatliche Institutionen sind. Luftfahrtminister Göring will »das alte Zeug« aus den Zwanzigern nicht mehr sehen und sagt es genau so. Privater Flugsport ist seit 1933 weder erwünscht noch findet er statt. In diesem Reizklima entsteht die Messerschmitt Bf 108.

Lusser und Messerschmitt sind zu enger Zusammenarbeit gezwungen

Viel Geld wird jetzt an die deutsche Luftfahrtindustrie verteilt. Im Juni 1933 liegt die Ausschreibung für den Europarundflug im Sommer 1934 vor. 1932 hat ein polnisches Team gewonnen, also wird der Wettbewerb in Polen ausgetragen. Das RLM zögert lange, ehe es sich beteiligt. Im September ’33 wendet es sich an Klemm, Fieseler und BFW – drei Mittelständler; die Großen der Branche sind bereits mit der Luftrüstung ausgelastet. Je sechs Exemplare der drei teilnehmenden Muster sollen gefertigt werden.

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Bei Klemm entsteht die Kl 36, Fieseler baut die Fi 97. Bei den BFW soll sich Entwurfsleiter Robert Lusser um das Projekt M 37 kümmern – die künftige Bf 108. Der quecksilbrige Lusser, ein kreativer Feuerkopf, ist ein Ex-Klemm- und Ex-Heinkel-Mann. Diese Personalie, vom RLM arrangiert, ist delikat: Lusser und Heinkel hatten noch kurz zuvor einen öffentlichen Zwist mit Willy Messerschmitt ausgetragen. Nun sind Lusser und Messerschmitt, der seit 1927 als Technischer Direktor der BFW fungiert, zu enger Zusammenarbeit gezwungen.

Messerschmitt liefert Leichtbau-Lösungen und Details bei

Alles deutet darauf hin, dass der Ehrgeiz, den beide in die Bf 108 stecken, nicht nur auf den Europarundflug abzielt. Schon im Oktober 1933 hat Luftfahrtminister Göring an die oberen BFW-Etagen die Information durchsickern lassen, das Technische Amt der Luftwaffe werde Bedarf für ein einsitziges »blitzschnelles Kurierflugzeug« anmelden; noch vollzieht sich der Wiederaufbau der deutschen Luftwaffe geheim. Im Klartext: Man will einen modernen Jagd-Einsitzer. Der Wink dürfte im BFW-Aufsichtsrat verstanden worden sein. Die viersitzige Reisemaschine, die dann in Augsburg entsteht, kann man als Visitenkarte für den späteren deutschen Standardjäger begreifen. Oder als Technologieträger, bezahlt aus den Kassen des RLM.

Das Interieur mit durchgehender Rückbank sollte hochrangige Repräsentanten des Reichsluftfahrtministeriums beeindrucken.

Lusser und Messerschmitt packen in ihren Entwurf alles hinein, was der Stand der Technik und die Intuition genialer Konstrukteure hergeben. Von Lusser stammt die allgemeine Auslegung, Messerschmitt steuert Leichtbau-Lösungen und clevere Details bei. So auch das einbeinige Fahrwerk, das per Handkurbel in die Flächen gelupft wird. Dergleichen ist damals absolut neu für ein Reiseflugzeug, für ein modernes Jagdflugzeug hingegen werden Einziehfahrwerke bald zum Standard gehören.

Der Rumpf wird aus GlattblechHalbschalen gefertigt

Ungewöhnlich ist auch der aufwändig zu fertigende Rumpf aus Glattblech-Halbschalen. Wohlgemerkt: für sechs Einzelstücke! Doch für die Massenproduktion, für welche die »109« noch berühmt werden wird, ist das Verfahren wie geschaffen. Gearbeitet wird nach dem Normenkatalog des militärischen Flugzeugbaus, der mit der deutschen Gründlichkeit jeden Aspekt rationeller Serienfertigung mit Listen und Daten festhält.

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Der auffallend hohe Bauaufwand für eine Handvoll Wettbewerbsmaschinen entgeht dem RLM nicht; Messerschmitt muss sich erklären. Im Februar 1934 darf sich BFW offiziell an der Ausschreibung des Technischen Amts beteiligen; mit ihr will die Luftwaffe ihren neuen Jäger herausfiltern. Jetzt wird’s in Augsburg richtig hektisch!

Messerschmitt Bf 108: Beim Triebwerk gibt es keine große Auswahl

Neben einer »109«-Attrappe legt man die Werknummer 695 auf. Es ist die erste »108«, noch mit Holzfläche, anklappbar, gemäß Ausschreibung. Eine Besonderheit sind zweiteilige Vorflügel und Fowlerklappen über die gesamte Spannweite; für die Wertung beim Europarundflug zählt unter anderem ein möglichst großer Geschwindigkeitsbereich. Da die komplette Flügelhinterkante an die Landeklappe vergeben ist, ersetzt eine »Unterbrecherklappe« (Bremsklappe) auf der Oberseite die Querruder.

1936 geht die Bf 108 als B-Version in Serie. Produziert wird in Glattblechbauweise, zunächst in Augsburg, später im Messerschmitt-Werk Regensburg.

Beim Triebwerk besteht keine große Wahl: Das RLM liefert an alle deutschen Teilnehmerfirmen identische Motoren von Argus und Hirth. Im April 1934 wird die erste Bf 108 endmontiert. Wenige Wochen später kann auch die »109«-Attrappe in Augenschein genommen werden.

Carl Francke übernimmt den Erstflug der Messerschmitt Bf 108

Luftwaffen-Erprobungsstelle Rechlin, 13. Juni 1934. Carl Francke übernimmt den Erstflug der Bf 108. Bis zur Verkehrszulassung muss die D-IBUM 200 Stunden fliegen, die anderen fünf Exemplare sind noch im Bau.

Die Erprobung verläuft nicht ohne Zwischenfälle. Der zweite Bf 108-Prototyp verliert eine Fowlerklappe, dennoch bringt BFW-Werkspilot Otto Brindlinger die D-ILIT kunstvoll runter. Dann stürzt am 27. Juli 1934 die D-IBUM ab, als sie im Anflug auf Augsburg in Rückenlage gerät. Wolf von Dungern, zuständig für die Erprobung der Wettbewerbsmuster im Auftrag des RLM, überlebt den Unfall nicht; er sei mit den Spoilern nicht zurechtgekommen, heißt es.

Schon die BFW M 29, die am Europarundflug 1932 hätte teilnehmen sollen, war nach zwei mysteriösen Unfällen gegroundet worden. Eine persönliche Niederlage für ihren Schöpfer Willy Messerschmitt. Für die BFW mit ihren Jäger-Ambitionen steht jetzt viel auf dem Spiel.

Beim Europarundflug 1934 machen vier Messerschmitt Bf 108 mit

Als Konsequenz aus dem Unfall der D-IBUM werden bei den verbliebenen fünf Bf 108 die Bremsklappen arretiert. Die großen Landeklappen verkürzt man, damit ein kleines Querruder Platz hat. Die Vorflügel bleiben vorerst. Ihr äußerer Teil fährt Anstellwinkel-abhängig automatisch aus, der innere ist mit den Landeklappen gekoppelt. Kaum getestet geht der ehrgeizige Vogel in den Wettbewerb.

Nach dem Europarundflug 1934 erhält die D-IJES die Tragfläche der B-Serie. Mit dieser Maschine geht Elly Beinhorn 1935 auf Rekordjagd.

Am Europarundflug 1934 nehmen vier Bf 108 A teil. Technisch und konstruktiv stellen sie die konservative Konkurrenz aus Holz, Stoff und Stahlrohr in den Schatten. Die technischen Prüfungen, insbesondere Kurz- start und -landung, sind knallhart und fordern Mensch und Maschine alles ab. Der eigentliche Rundflug vom 7. bis 15. September führt gut 9500 Kilometer durch Europa und Nordafrika.

Die B-Version hat mehr Spannweite und keine Spoiler mehr

In der Gesamtwertung landet die Bf 108 auf den bescheidenen Plätzen 5, 6 und 16. Schwamm drüber – in Augsburg hat man größere Pläne: Am 28. Mai 1935 fliegt die Bf 109 V-1. Die »108« geht zwar 1936 in Serie, genießt aber keine Priorität mehr. Diese B-Version hat mehr Spannweite, nur noch die äußeren automatischen Vorflügel und keine Spoiler mehr, bloß noch Querruder.

Eine der Wettbewerbs-Bf 108 bleibt in Augsburg. Was nun folgt, gehört zu den glücklichen Zufällen in der deutschen Luftfahrt. Die unbeachtete D-IJES wird im Sommer 1935 von Elly Beinhorn entdeckt und zu ihrem neuen Rekordflugzeug erkoren. Und so beweist die BFW-Leihgabe, was in dem Muster steckt: Am 13. August 1937 schwirrt Beinhorn in 13,5 Stunden vom schlesischen Gleiwitz nach Istanbul und zurück nach Berlin.

Der Mythos Taifun, Beinhorns pfiffige Wortschöpfung, nimmt Fahrt auf – als sportliche Reisemaschine, die ihrer Zeit weit vorausflog und ihre Gene an den deutschen Standardjäger weitergab.

Text: Stefan Bart Fotos: Dehla

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