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Notverfahren bei Triebwerksausfall: Wenn aus Übung plötzlich Ernst wird

Einen Notfall zu üben, ist auch in der Fliegerei immer eine gute Idee. Doch man muss die Limits der jeweiligen Maschine kennen und einhalten – sonst wird aus der Übung schnell Ernst.

Von Martin Schenkemeyer
Heftiger Aufprall: Der Kontrollverlust kommt plötzlich, die zweimotorige Beechcraft dreht sich auf den Rücken und stürzt aus wenigen Metern Höhe ab. Die Propeller reißen dabei ab, teilweise auch die Motoren. Beide Piloten überleben den Unfall nicht. Bild: BFU

Zweimotorige Kolbenflugzeuge versprechen Sicherheit, schließlich verbleibt bei einem Triebwerksausfall ein weiterer Motor für den sicheren Weiterflug. Doch gerade der zweite Motor wird in bestimmten Situationen und bei Fehlbedienung zum Problem. Wie kritisch das sein kann, zeigen immer wieder Unfälle, bei denen die Notverfahren beim Triebwerksausfall geübt werden sollten. So auch ein Unfall im August 2018.

Pilot und Prüfer wollen Notverfahren beim Triebwerksausfall üben

Die zweiköpfige Besatzung einer Beechcraft Baron G58 will am Flugplatz Münster-Osnabrück (EDDG) verschiedene Manöver üben. Der 64 Jahre
alte niederländische Pilot und sein 59-jähriger Prüfer aus Deutschland brechen morgens dorthin von Lelystad (EHLE) zu einem kombinierten Ausbildungs- und Prüfungsflug nach Instrumentenflugregeln auf.

Schneller Oldie  Die Beechcraft Baron G58 stammt aus den sechziger Jahren, wird aber noch immer produziert. Im Bild ein baugleiches Muster, das aktuelle Modell von 2021. Foto: Hersteller

Nach mehreren Übungsanflügen soll es anschließend wieder zurück nach Lelystad gehen. Der Pilot will mit dem Flug die an einer niederländischen Flugschule begonnene Ausbildung zum Erlangen der Klassenberechtigung für mehrmotorige Flugzeuge (MEP) inklusive des noch fehlenden Theorietests abschließen.

Triebwerksausfall wird simuliert

Der Start in Lelystad um 11.04 Uhr und der Flug in Richtung Deutschland verlaufen ereignislos. Am Zielflughafen angekommen, führt die Besatzung einen ILS-Anflug auf die Piste 07 durch. Nach dem Durchstarten lotst die Flugsicherung die zweimotorige Maschine mit Steuerkursen wieder zurück auf den Anflugkurs und gibt sie schließlich um 11.57 Uhr für einen RNAV-Anflug auf die Piste 07 mit anschließender Landung frei.

Die in der Baron verbaute Garmin-Avionik G1000 NXi zeichnet nun auf, wie die Leistung des linken Triebwerks – vermutlich, um einen Triebwerksausfall zu simulieren – im Endanflug durch die Crew auf Leerlauf reduziert wird.

Der Pilot schaltet den Autopiloten ab

Kurze Zeit später schaltet der Pilot den Autopiloten ab und erhöht die Drehzahl des rechten Triebwerks leicht. Dabei kommt es zu einer Abweichung von der Anfluggrundlinie nach links, die der Niederländer aber kurze Zeit später korrigiert. Die angezeigte Geschwindigkeit beträgt zu diesem Zeitpunkt 110 Knoten.

Volles Programm:  Der Flug von Lelystad in den Niederlanden nach Münster-Osnabrück verläuft noch wie geplant. Foto: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung

Das Wetter ist kein entscheidender Faktor: Der Wind weht aus Richtung 60 bis 70 Grad mit sieben Knoten, bei Sichten von mehr als zehn Kilometern und einer geringen Bewölkung in 3000 Fuß. Die Temperatur liegt bei 24 Grad Celsius.

Flugzeug schlägt in Rückenlage neben der Piste auf

Um 12.01 Uhr reduziert der Pilot die Leistung des rechten Motors auf 1880 Umdrehungen pro Minute. Der Fahrtmesser zeigt jetzt nur noch 77 Knoten an. Kurz darauf erhöht er die Drehzahl des rechten Triebwerks auf 2600 Umdrehungen pro Minute. Nun nimmt das Unglück seinen Lauf: In drei bis fünf Metern Höhe, nach etwa einem Drittel der Pistenlänge, rollt das Flugzeug abrupt um die Längsachse nach links und schlägt in Rückenlage neben der Piste auf. Beide Insassen werden dabei tödlich verletzt.

Zur Erklärung der Unfallursache zitiert die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) im Untersuchungsbericht aus dem Flughandbuch der Baron. Hier wird allgemein erläutert, dass eine ausreichende Fluggeschwindigkeit der entscheidende Faktor ist, um im Einmotoren-Betrieb die Kontrolle über das Flugzeug zu behalten.

Was bedeuten Vmca und Vsse?

Wichtige Geschwindigkeiten für zweimotorige Flugzeuge sind dabei die Vmca und die Vsse. Die Vmca ist die Geschwindigkeit, bis zu der die Richtung der Zweimot beim Ausfall eines Triebwerks mit eingefahrenem Fahrwerk und Landeklappen in der Startposition noch kontrolliert werden kann; bei der Baron 84 Knoten.

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Die Vsse ist eine Geschwindigkeit, die sowohl über der Vmca als auch über der Abriss-Geschwindigkeit Vs liegt. Damit bietet sie eine Sicherheitsmarge bei einem Motorausfall: 88 Knoten bei der Beech Baron.

Durchstarten mit voll ausgefahrenen Landeklappen ist nicht erlaubt

Im Flughandbuch steht darüber hinaus, dass ein Durchstarten mit voll ausgefahrenen Landeklappen nicht zulässig ist. In jedem Fall darf bei diesem Manöver eine Geschwindigkeit von 101 Knoten nicht unterschritten werden. Wie die Untersuchung des Wracks jedoch ergibt, waren die Landeklappen zum Zeitpunkt des Durchstartens voll ausgefahren.

Im Zusammenhang mit der niedrigen Fluggeschwindigkeit, die weit unter der Vmca lag, kam es durch den einseitigen Schub des 300 PS starken IO-550-C-Triebwerks zu einem unkontrollierbaren Rollmoment. Doch warum haben sowohl Flugschüler als auch Flugprüfer diese massive Unterschreitung der sicheren Fluggeschwindigkeit für den Betrieb mit nur einem Motor nicht bemerkt oder gar in Kauf genommen?

Flugprüfer galt als sehr erfahren

Mit einer Gesamtflugerfahrung von mehr als 4900 Stunden und Ausbildungs- und Prüfberechtigungen für diverse Flugzeugmuster und -klassen  galt der Flugprüfer als sehr erfahren. Seine Flugerfahrung auf mehrmotorigen kolbengetriebenen Luftfahrzeugen betrug jedoch lediglich zirka 110 Stunden. Die BFU fand in seinen Unterlagen keine Hinweise, dass er Erfahrung auf dem Muster Beechcraft Baron G58 besaß.

Auch die vorgeschriebene Unterschiedsschulung für die G58 war nirgendwo verzeichnet. Die Unfalluntersucher vermuten, dass ihm spezifische Kenntnisse des Flugzeugs, wie zum Beispiel das Durchstarten mit einem Triebwerk bei voll ausgefahrenen Landeklappen und mögliche Folgen dessen, höchstwahrscheinlich nicht bekannt waren.

Flugzeugmuster: Eine gründliche Einweisung ist sehr wichtig

Auch der links sitzende Prüfling war mit einer Zahl von 1842 Flugstunden erfahren, er besaß die Musterberechtigung für den dreistrahligen Jet Falcon 7X. Die MEP-Klassenberechtigung für die von ihm erst vor wenigen Monaten gekaufte G58 sollte sein fliegerisches Portfolio erweitern. Laut den Unfallermittlern hatte er beim Unfallflug handschriftliche Aufzeichnungen über Leistungseinstellungen und Fluggeschwindigkeiten bei sich, die unzureichende Kenntnisse offenbarten und sich lediglich auf den Normal- und nicht auf den Einmotoren-Betrieb der Baron bezogen.

So zeigt sich, wie elementar die gründliche Einweisung in die Besonderheiten eines spezifischen Flugzeugmusters ist. Umso mehr gilt das für Fluglehrer oder Prüfer, die Notverfahren üben oder prüfen wollen.

Text: Martin Schenkemeyer

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Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

Schlagwörter
  • Notfallübung
  • Flugzeugmuster
  • Flugzeugabsturz
  • Beechcraft Baron G58