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Schwerelosigkeit bei Parabelflügen: Achterbahn für die Wissenschaft

Regelmäßig hebt ein Airbus A310 ab, um im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR Flüge zu machen, bei denen für 22 Sekunden Schwerelosigkeit herrscht. Wir haben es ausprobiert!

Von Redaktion
Experimente
Als wennste schwebst: Die Kabine der A310 ist gefüllt mit Geräten – und den Wissenschaftlern, die damit Experimente in der Schwerelosigkeit machen. Foto: Timo Breidenstein

Über die Lautsprecher ertönt eine Ansage: Die nächste Parabel kommt in 30 Sekunden. Abrupt wird der Airbus A310 hochgezogen. Sofort fühle ich mich schwerer, um genau zu sein: 1,8-mal schwerer. Die Piloten ziehen die Maschine in etwa sechs Kilometern Höhe bei 815 km/h in einen Steigflug mit 50 Grad Neigung. In 20 Sekunden steigen wir 2500 Meter und halbieren die Speed.

Dann heißt es aus den Lautsprechern: „Injection!“ Die Piloten bringen die Triebwerke in den Leerlauf und drücken das Steuerhorn nach vorne. Wir sind schwerelos! Ich stoße mich vorsichtig vom Boden ab – und auf einmal schwebe ich. Was für ein einmaliges Gefühl! Nach 15 Sekunden greife ich eines der vielen Seile in der Kabine, um mich wieder auf den Boden zu ziehen. Wer möchte schon hart auf dem Boden landen. Nach 22 Sekunden Schwerelosigkeit ist das Gefühl der Leichtigkeit schon wieder wie weggeblasen: In der Abfangphase herrscht für 20 Sekunden erneut das 1,8-fache der normalen Schwerkraft. Dann heißt es: „steady flight“. Und alles geht von vorne los, 31-mal pro Flug.

Durchgeführt werden die Parabelflüge im Ex-Regierungsflieger

Seit den fünfziger Jahren wird Schwerelosigkeit bei Parabelflügen mit Flugzeugen untersucht. In Europa hat sich das Unternehmen Novespace mit seinem Airbus A310 Zero G auf diese Art von Flügen spezialisiert. Novespace ist eine Tochter des nationalen französischen Raumfahrtzentrums (CNES). In Westeuropa wurden Parabeln anfangs mit Caravelle geflogen, dann mit Airbus A300. Im April 2015 wurde dann der A310 Zero G in Betrieb genommen. Er hat früher bei der deutschen Flugbereitschaft die Bundesregierung transportiert.

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Zweites Leben: Der Airbus A310 Zero G war früher für die deutsche Flugbereitschaft im Einsatz.

A310 Zero G in Betrieb genommen. Er hat früher bei der deutschen Flugbereitschaft die Bundesregierung transportiert. Die Kabine des A310 wurde komplett umgebaut, das Cockpit jedoch kaum verändert. Bis auf zwei zusätzliche Geschwindigkeitsmesser sieht es wie bei jedem A310 aus. In der Kabine gibt es Polstermatten und eine durchgehende Führungsstange, um während der Zero-G-Phase Unfälle zu vermeiden. Der hintere Teil des Flugzeugs ist noch mit Originalsitzen ausgestattet und wird von den Passagieren bei Start und Landung genutzt.

Bei Parabelflügen zählt jede Sekunde Schwerelosigkeit

Sobald die Anschnallzeichen erloschen sind, springen die Wissenschaftler auf, um ihre Experimente vorzubereiten. Die Zeit vor der ersten Parabel ist kurz, und jede Sekunde Schwerelosigkeit zählt. Speziell bei den Experimenten mit menschlichen Probanden ist Vorbereitung notwendig. So müssen auf der Haut angebrachte Elektroden mit den Computern im Rack verbunden werden.

ForschungForschung
Abheben für die Forschung: Jeweils nur für 22 Sekunden sind Menschen und Maschinen in der A310 schwerelos. Medizin ist ein großes Forschungs- thema: Was sich im menschlichen Körper verändert, wenn er der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist, wird an Bord untersucht.

Ich bleibe während der ersten beiden Parabeln sitzen, um mich einzugewöhnen. Zwischen 0 und 4 Teilnehmer pro Flug leiden an der Reisekrankheit, die von einfachem Unbehagen bis hin zu Übelkeit und Erbrechen reicht. Jean-Francois Clervoy, ehemaliger Astronaut und Gründer von Novespace, erklärt den Parabelflug in einfachen Worten: Werfen Sie einen Ball im Bogen von einer zur anderen Hand. Im Bogen herrscht bei Aufund Abstieg Schwerelosigkeit. Anstelle des Balls fliegt jedoch die A310 den Bogen.

Drei Piloten steuern den Airbus

Dazu braucht es eine gut harmonierende Cockpitcrew. Während zwei Piloten vor den Steuerhörnern sitzen, bedient ein dritter auf dem mittleren Sitz die Triebwerke. Ein Pilot kümmert sich ausschließlich um die horizontale Neigung, der zweite erledigt die Rollbewegung. Insgesamt sind auf jedem Flug vier Piloten tätig, drei arbeiten, der vierte hat Pause. Nach jeweils fünf oder zehn Parabeln wird gewechselt, so vermeidet man, dass die Piloten ermüden. Das richtige Timing der Parabel ist essenziell für einen erfolgreichen Flug.

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Upset Recovery Training: Eine sinnvolle Erweiterung?

Viele der Novespace Piloten kommen aus dem militärischen Bereich und haben dort schon Kampfjets oder Airliner geflogen. Wichtig für neue Piloten ist vor allem der Simulator, hier werden die Parabeln und Notfallszenarien ausführlich trainiert. Nach Abschluss des Simulator-Trainings werden Testflüge ohne Passagiere durchgeführt, ehe die Piloten dann für Novespace Wissenschaftler und Passagiere fliegen dürfen. Aufgrund der begrenzten Zahl an Flügen pro Jahr fliegen einige Piloten nebenbei bei Airlines oder sind als Testpiloten bei Herstellern angestellt.

Experimente in der Schwerelosigkeit

Das fliegende Labor, so wird das Flugzeug auch genannt, ist für Wissenschaftler von großer Bedeutung. Auf der Erde ist die Schwerkraft durchgehend vorhanden. In wichtigen Bereichen der Medizin, der Biologie, der Physik oder auch bei Materialwissenschaften ergeben sich spannende Erkenntnisse, wenn diese allgegenwärtige Kraft nicht wirkt. Deshalb bietet das Programm „Forschung und Exploration“ der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR die Parabelflüge als Teil des deutschen Raumfahrtprogramms an.

Es verfolgt das Ziel, grundlegende Lebensfunktionen, die Entwicklung neuer Diagnostikmethoden und Therapien, die Erweiterung der Horizonte in der physikalischen Forschung oder die innovative Materialforschung unter Weltraumbedingungen zu erkunden.

WissenschaftlerWissenschaftler
Do it yourself: Die Wissenschaftler können ihre Experimente selbst durchführen und überwachen – anders als etwa auf einer Raumstation.

Während der 39. Parabelflugkampagne der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR waren zehn verschiedene Experimente aus den genannten Bereichen an Bord. Einige sind neu, andere waren bereits bei früheren Kampagnen am Start. Hier werden neue Fragestellungen oder Materialien getestet oder der Kreis um neue Testpersonen erweitert.

Wie verhält sich Feuer in der Schwerelosigkeit?

Eines der Themen ist etwa die Ausbreitung der Flammen eines Feuers ohne Schwerkraft. Im Experiment wurde die Flammenausbreitung unter geringen Temperaturen in der Schwerelosigkeit beobachtet. Dies ist wichtig, um zukünftig besser zu verstehen, welchen Einfluss die Gravitation auf die Flammendynamik und eine mögliche Brandentwicklung im Weltraum hat. Mit anderen Worten: Was passiert, wenn es in einem Raumschiff brennt?

SpacebikeSpacebike
Radeln ohne Schwerkraft: Was sich dabei im Kopf verändert, lässt sich genau messen. Daraus entstehen auch Schlussfolgerungen für längere Aufenthalte im All.

Auf dem Spacebike wird der Einfluss von Schwerelosigkeit auf die Belastbarkeit des menschlichen Körpers erforscht. Wenn der Weltraum auf langen Flügen erforscht werden soll, muss man die Auswirkungen von Mikrogravitation auf die Bewegungsaktivität des Menschen verstehen. Also fahren in der A310 Probanden auf einem Fahrrad-Ergometer, dem Spacebike. Während der Parabel wird die Nervenaktivität im Gehirn sowie die Aktivierung der Muskeln aufgezeichnet. Das Experiment ist nicht nur für die Raumfahrt interessant, sondern auch von großer Bedeutung für den Rehabilitationsprozess bei cerebralen Schädigungen wie bei einem Schlaganfall.

Kann ich bei Parabelflügen mitfliegen?

Auch die Betankung von Raumschiffen in der Schwerelosigkeit ist ein Forschungsthema. Mit Hilfe des Parabelflugs soll ein Konzept zum Transfer von Flüssigtreibstoffen in der Schwerelosigkeit getestet werden. Bei einem positiven Ergebnis soll das Experiment für weitere Tests auf die Internationale Raumstation gehen.

Nach jedem Flug steht noch das Debriefing an. Zuerst berichtet die Cockpitcrew über die Qualität der geflogenen Parabeln und ob es Probleme gegeben hat. Im Anschluss berichtet dann jedes Wissenschaftler-Team über die gewonnenen Erkenntnisse. Ebenfalls gibt es schon erste Analysen, was zukünftig besser gemacht werden kann. Nach dem Flug ist vor dem Flug, so bereiten einige Wissenschaftler im Flugzeug schon die angepassten Experimente für den kommenden Tag vor.

Wer als Privatperson Lust auf einen Parabelflug bekommen hat, kann sich übrigens auf der Webseite von Novespace (www.airzerog.com) für 6900 Euro ein Ticket für einen „Jedermann-Flug“ buchen und sich für einen Tag als Astronaut fühlen.

Text & Fotos: Timo Breidenstein

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