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Umkehrkurve: Leistungsverlust nach dem Start

Beim Start lässt die Nähe zum Boden buchstäblich wenig Spielraum bei Problemen. Besonders gefährlich ist der Impuls, dann sofort zum Flugplatz zurückzukehren.

Von Redaktion
Flugzeugabsturz Umkehrkurve
Trümmerfeld: Die Zerstörungen nach dem Aufschlag sind immens, der vorn sitzende Pilot erleidet tödliche Verletzungen, der Fluglehrer hinter ihm überlebt schwer verletzt. Foto: BFU/Polizei

Ein Motorausfall während des Anfangssteigflugs gehört sicherlich zu den Horrorszenarien eines jeden Piloten einmotoriger Flugzeuge. Vorfälle dieser Art enden nicht selten mit schweren Unfällen. So auch am 17. September 2020 beim Absturz einer De Havilland DHC-1 MK 22 Chipmunk.

Die zweiköpfige Besatzung des Oldtimers aus dem Jahr 1952 bricht an diesem Donnerstag am Flugplatz Bienenfarm (EDOI) zu einem Übungsflug auf. Halter des Spornradflugzeugs ist ein Verein, der sich den Erhalt und Betrieb von Oldtimer-Flugzeugen zum Ziel gesetzt hat. Je nach Wert, Ersatzteilverfügbarkeit und Komplexität der Maschine gibt der Verein unterschiedliche Einweisungsprogramme und Voraussetzungen für Neulinge auf dem jeweiligen Muster vor. Die Chipmunk entspricht Kategorie »A«: Vereinsmitglieder, die eine SEP-Klassenberechtigung sowie eine Unterschiedsschulung für Spornrad besitzen, dürfen den Klassiker fliegen – gründliche Einweisung vorausgesetzt.

Platzrunden mit einer De Havilland DHC-1 MK 22 Chipmunk fliegen

Auf dem hinteren Sitz nimmt an diesem Tag ein 38-jähriger Fluglehrer Platz, vor ihm ein 68-jähriger Pilot. An den beiden vorherigen Tagen flogen sie bereits gemeinsam mehrere Platzrunden in Bienenfarm und Oehna (EDBO). Einen Tag vor dem Unfallflug absolvierte der einzuweisende Pilot drei Platzrunden im Alleinflug, womit das vom Verein vorgegebene Einweisungsprogramm erfolgreich abgeschlossen wurde. An diesem spätsommerlichen Tag wollen sie einige weitere Platzrunden fliegen. 

Unauffällig  Die Untersuchung des Triebwerks vor Ort ergibt keine offensichtlichen Hinweise, warum der Motor zu wenig Leistung brachte.

Nachdem die DHC-1 bereits fünf Platzrunden absolviert hat, beschleunigt sie um 10.19 Uhr erneut auf der Betriebspiste 12. Das Wetter ist gut: Der zwanzig Nautische Meilen entfernte Flughafen Berlin-Tegel (EDDT) meldet eine Sichtweite von mehr als zehn Kilometern und geringe Bewölkung in 3200 Fuß. Jedoch zeigt sich der Wind launisch und weht in Bienenfarm zum Unfallzeitpunkt aus nördlichen Richtungen mit zehn Knoten. In Böen frischt er gar auf bis zu fünfzehn Knoten auf. Ein ortsansässiger UL-Fluglehrer sagt später aus, dass er geplante Schulungsrunden mit einer C42 an diesem Morgen abgebrochen habe.

Zunächst soll der Steigflug normal gewesen sein

Als die Chipmunk auf der 860 Meter langen und 40 Meter breiten Graspiste zum sechsten Mal abhebt, beschreiben Zeugen den Steigflug zunächst als normal. Doch plötzlich verändern sich die Motorgeräusche, es sind Motoraussetzer und Fehlzündungen zu hören. Zu diesem Zeitpunkt ist die Maschine zwischen dem Ende der Piste 12 und einer an der Grenze des Flugplatzgeländes quer verlaufenden Baumreihe angelangt.

Sie fliegt geradeaus und scheint zu steigen. Ein weiterer Zeuge gibt nach dem Unfall an, er habe dunklen Rauch aus der Abgasanlage des Oldies entweichen sehen.

Tandemsitzer schlägt mit rechter Tragfläche auf einem Feld auf

Schließlich leitet die Besatzung eine Rechtskurve ein. Der Flugzustand wird von einem Anwesenden als überzogen geschildert, die Geschwindigkeit sei zudem insgesamt gering gewesen. Nach einer Kursänderung von 90 Grad sieht es für einige Beobachter so aus, als würde die Kurve noch ausgeleitet. Andere Zeugen meinen den Versuch erkannt zu haben, eine Umkehrkurve einzuleiten, und dass das Flugzeug direkt aus der Rechtskurve heraus abgestürzt sei. Die durch die Augenzeugen geschätzte Höhe zu Kurvenbeginn schwankt zwischen 200 bis 300 Fuß und 150 bis 180 Meter über Grund. 

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In steilem Winkel schlägt der Tandemsitzer mit der rechten Tragfläche und dem Motor auf einem abgeernteten Feld auf, etwa 675 Meter vom Pistenende 12 entfernt und 140 Meter südlich der Abfluggrundlinie. Für den vorn sitzenden Piloten kommt jede Hilfe zu spät, er stirbt gleich beim Aufprall. Der hinten sitzende Fluglehrer überlebt schwer verletzt und erinnert sich im Nachhinein nicht mehr an den Flugverlauf sowie das Unfallgeschehen.

Ursache für mögliche Triebwerksprobleme bleibt unklar

Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) finden vor Ort keine augenscheinliche Ursache für eine Triebwerksstörung. Wegen der teils starken Beschädigungen lässt sich jedoch nicht mehr feststellen, ob Vergaser, Zündanlange und weitere Aggregate korrekt funktioniert haben. Die letzte Zehn-Stunden-Kontrolle der Maschine wurde erst vier Tage vor dem Unfall durchgeführt. So bleibt die Ursache für Triebwerksprobleme bis auf weiteres unklar. 

Klassiker: Die De Havilland Chipmunk (hier ein baugleiches Muster) hat eine lange Tradition als Militärtrainer und ist ein begehrter Oldtimer.

Allerdings sind Motorstörungen nach dem Start eine häufige Unfallursache, so die BFU in ihrem Zwischenbericht – vor allem dann, wenn Piloten versuchten, in Richtung einer Notlandefläche zu kurven oder gar zum Flugplatz zurückzukehren. Oft wird dabei die Mindestfahrt unterschritten, es folgt Kontrollverlust und Absturz. 

Eine Umkehrkurve sollte nicht zu tief eingeleitet werden

Bereits 1983 hatte die BFU in einer Veröffentlichung darauf hingewiesen, dass die Außenlandung in Abflugrichtung in der Regel die sicherste Variante ist. Die Pilotenvereinigung AOPA verweist in ihrem Safety Letter Nr. 43 von 2019 auf eine Untersuchung über einen Zeitraum von fünf Jahren mit dem Ergebnis, dass durch Unfälle kurz nach dem Abheben im Vergleich zu allen anderen Flugphasen die meisten Insassen ums Leben kommen: 25 Tote und 11 Schwerverletzte bei 33 Unfällen.

Letztlich gibt es je nach den örtlichen Gegebenheiten unterschiedliche Varianten für die richtige Reaktion bei einem Leistungsverlust im Anfangssteigflug. Wenn überhaupt, darf eine Umkehrkurve nicht zu tief eingeleitet werden, denn die Gefahr eines Strömungsabrisses ist zu groß. Wenn unmittelbar voraus kein landbares Gelände ist, könnte man mit einem ortskundigen Fluglehrer mögliche Szenarien durchzusprechen und einstudieren. Erfahrene Flieger achten bereits beim Anflug auf »fremde« Plätze auf mögliche Notlandeflächen des späteren Abflugsektors. 

Denn eins ist gewiss: Für eine umfassende Entscheidungsfindung ist bei einem Triebwerksausfall kurz nach dem Abheben keine Zeit mehr. Gute Vorbereitung rettet hier Leben – wie so oft in der Fliegerei.

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