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Vom Plan zur Praxis: IFR-Flug über die Alpen nach Cannes

Wie Piloten IFR-Flüge über die Alpen sicher planen: Routenwahl, Wetteranalyse und Entscheidungshilfen – Erfahrungsbericht mit einer Cirrus SR22T.

Von Thomas Borchert
Mehr geht nicht - aus FL 160 bietet sich ein toller Blick über die Alpen. Hinten links ist die wolkenbedeckte Po-Ebene bereits zu erkennen. Bild: Thomas Borchert

Beim IFR-Flug geht es nicht nur um Technik, sondern um gute Entscheidungen – besonders dann, wenn das Wetter unberechenbar ist. Unser Flug zur fliegermagazin-Leserreise ans Mittelmeer zeigt, wie flexibel man als Pilot bleiben muss, wenn der Plan nicht mit der Realität übereinstimmt.

Ausgangspunkt ist Hamburg. Das Ziel: Cannes an der Côte d’Azur. Wir fliegen mit einer Cirrus SR22T, ausgestattet mit Sauerstoffanlage und TKS-Flüssigkeitsenteisung – also für „Flight into Known Icing“ (FIKI) zugelassen. Theoretisch perfekt gerüstet, um auch bei schwierigen Bedingungen sicher über die Alpen zu kommen. Doch Anfang Oktober ist das Wetter alles andere als stabil.

Ursprünglicher Plan – und warum er nicht aufging

Eigentlich wollten wir am frühen Morgen IFR von Hamburg (EDDH) nach Colmar (LFGA) fliegen, dort die übrigen Crews der Leserreise treffen und anschließend VFR über das Rhônetal nach Cannes (LFMD) weiterfliegen. Doch schon Tage vorher zeichnet sich ab: Der Süden Frankreichs steckt im Stau des Südwinds. Wolken, Regen, schlechte Sicht – VFR wird zunehmend unrealistisch.

Während andere Crews ihre Flüge vorverlegen, bleiben wir zunächst beim ursprünglichen Plan. Doch am Abflugtag ist klar: Das angekündigte Regengebiet kommt schneller als erwartet. Im Radarbild liegt es genau auf unserer Route – mit eingelagerten Cumulonimbus-Wolken und Vereisungsgefahr bis über Flugfläche 160.

Drei Limits im IFR-Flug

Beim IFR-Fliegen gibt es drei natürliche Grenzen: Gewitter, Vereisung und Nebel. Alle drei können schnell zur Herausforderung werden. Für unseren Flug ist Nebel zwar kein Thema, aber Eis und Turbulenzen schon. Der Westen ist dicht – also suchen wir nach Alternativen.

Ein Gespräch mit einem anderen Teilnehmer, der in einer Turbo-Cirrus aus Landshut über den Brenner fliegen will, bringt die Lösung: Der Ostkorridor über Augsburg und die Alpenroute via Brennerpass ist frei. Die Strecke ist zwar länger, aber sicherer – und der Sprit reicht bei einem Tankstopp in Augsburg problemlos.

Entscheidung für die Ostroute

IFR-Flüge brauchen klare Entscheidungen, und diese fällt schnell: Statt nach Colmar geht es nach Augsburg (EDMA). Dort tanken wir, bevor wir weiter über den Brenner und die Po-Ebene Richtung Monaco und Cannes fliegen. Dank ForeFlight gelingt die Routenplanung mit wenigen Klicks – inklusive Freigaben durch Eurocontrol.

Trotz einiger Wolken unterwegs verläuft der Flug ruhig. Nur leichte Vereisung, keine Turbulenzen. Drei Liter Enteisungsflüssigkeit verbrauchen wir – ein guter Tausch für Sicherheit und Komfort.

Über den Alpen: Sonne, Aussicht und Strategie

42 Minuten nach der Landung in Augsburg heben wir wieder ab. Über München hinweg genießen wir in Flugfläche 160 ein beeindruckendes Alpenpanorama. Der Brennerpass, die Gipfel Tirols, dahinter die Po-Ebene – perfekte Sicht und ruhige Luft. Nur weiter südlich liegt eine geschlossene Wolkendecke über Norditalien.

Während sich im Westen das Rhônetal mit Gewittertürmen füllt, bleiben wir auf der Ostseite in ruhiger, stabiler Luft. Ein direkter IFR-Flug über die Alpen erfordert hier große Höhen, doch der Aufwand lohnt sich: kein Stress mit Turbulenzen, keine Eiswarnungen – und freie Sicht bis zum Mont Blanc.

Spannung im Anflug auf Cannes

Der Anflug auf Cannes ist anspruchsvoll. Das Gelände steigt direkt hinter dem Platz an, die Verfahren sind steil, und das Wetter am Ziel bleibt wechselhaft. Die ATIS meldet 1.400 Fuß Wolkenuntergrenze – genug für den RNP-Anflug auf die Piste 35, der ein Minimum von 880 Fuß vorsieht.

In etwa 1400 Fuß kam die Crew in Cannes aus den Wolken – 420 Fuß über dem Minimum des »RNP 35 Z«-Anflugverfahrens auf Piste 35. Hinter dem Flugplatz steigt das Gelände zu den Alpen hin an. Nach Westen hin lagen die Wolken auf.
Bild: Thomas Borchert

Im Sinkflug durch die Wolken hören wir im Funk, dass die TBM vor uns durchstarten muss. Kein gutes Zeichen – aber die Bedingungen bleiben stabil. Schließlich bricht unter uns das Mittelmeer hervor, die Küstenlinie von Cannes liegt im Sonnenlicht. Der Anflug ist mit vier statt drei Grad etwas steiler als üblich, aber problemlos. Hier das Video dazu:

Nach 2 Stunden 53 Minuten Flugzeit rollen wir auf dem Vorfeld aus. Das Fazit ist eindeutig: Die spontane Routenänderung über den Brenner war die richtige Entscheidung.

Flexibilität ist das wichtigste Instrument

Wetterberichte, Flugplanungstools und Erfahrung helfen, aber die wichtigste Fähigkeit beim IFR-Flug bleibt Flexibilität. Die ursprüngliche Route über das Rhônetal wäre an diesem Tag kaum machbar gewesen – zu viel Eis, zu viel Risiko. Die längere Strecke über den Osten bedeutete zwar mehr Flugzeit, aber dafür einen entspannten Flug über den Wolken und eine sichere Ankunft.

Wer IFR über die Alpen fliegt, muss vor allem eines lernen: Wetter nicht nur zu lesen, sondern zu verstehen – und die Entscheidung zu treffen, die im Cockpit den besten Kompromiss aus Sicherheit, Effizienz und Gelassenheit bietet.

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Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

Schlagwörter
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